Der neue Tarantino: „Once Upon a Time in Hollywood“
Der Kultregisseur stellt beim Festival in Cannes seinen neuen Film vor, in dem er vom alten Hollywood erzählt - mit Brad Pitt und Leonardo DiCaprio
Wenn der Jubel vor Filmbeginn ein Gradmesser wäre, dann hätte Quentin Tarantino die Goldene Palme beim Filmfest in Cannes in diesem Jahr sicher. Denn noch bevor im Premierensaal sein mit Spannung erwartetes Werk „Once Upon a Time in Hollywood“ begann, wurden der Regisseur und seine Stardarsteller Brad Pitt, Leonardo DiCaprio und Margot Robbie frenetisch gefeiert. So eine Hysterie löste in diesem Jahr keine andere Premiere beim Festival aus – genau ein Vierteljahrhundert, nachdem Tarantino in Cannes die Goldene Palme für „Pulp Fiction“ gewonnen hatte. Bemerkenswert auch, welche Sogwirkung „Once Upon a Time in Hollywood“ auf andere Prominente hatte. Zu den Galagästen gehörten am Dienstagabend unter anderem Fatih Akin, Adrien Brody, Andie MacDowell und Timothée Chalamet. Ein bisschen mussten sie sich aber alle gedulden, denn Tarantino ließ zunächst noch eine Nachricht verlesen: Er wünsche sich, dass hinterher nichts Entscheidendes über den Film verraten wird.
Was Tarantino zum Ereignis macht und was ihn gleichzeitig zum Zentral-Idol des Festivals an der Croisette werden lässt, ist seine unbedingte, ja obsessive Liebe zum Kino. Zum Kino, wie es früher war, muss man hinzufügen. Mit seinen Helden und Bösewichten, seinem Macho-Gehabe und seinen Zelluloid-Filmrollen. „Once Upon a Time in Hollywood“ funktioniert als Film genau da bestens, wo Tarantino diese Obsession bis ins kleinste Detail der Ausstattung auslebt. Leonardo Di Caprio spielt Rick Dalton, einen in die Jahre gekommenen Star, dessen Western-Serie gerade abgesetzt wurde und den nächtens beim sechsten Glas Whisky weinerlich die Selbstzweifel überkommen. Schlimmeres verhindert sein von Brad Pitt gespielter Stuntman Cliff Booth, der auch außerhalb der Dreharbeiten einspringt, sei es als Fahrer oder als schweigsames Gegenüber.
Mit Manson-Clan und Roman Polanski
Man schreibt das Jahr 1969, und um seine beiden Helden herum rekonstruiert Tarantino das Los Angeles dieser Zeit mit den Lokalen und Gebäuden, in denen damals „Hollywood“ verkehrte, mit jeder Menge beiläufig platzierter Filmplakate und ein paar Quasi-Cameos wie dem von Damien Lewis als Steve McQueen. Wenn Brad Pitt als Booth den breiten Schlitten seines Arbeitgebers durch die Gegend fährt, fällt sein Blick ab und an auf leicht bekleidete trampende Hippies mit langen Haaren. Ach, und in die Villa neben Dalton am Cielo Drive ist gerade der polnische Regisseur Roman Polanski mit seiner Frau Sharon Tate (Margot Robbie) eingezogen.
Denn das ist nun mal die andere Obsession von Tarantino: die Gewalt – und die starken, wie Drogen wirkenden Bilder, die das Kino daraus machen kann. Als bekannt wurde, dass der Regisseur in seinem neuen Film die Morde der berüchtigten Manson-Bande behandeln würde, löste das alles andere als Begeisterung aus. Niemand traute Tarantino einen geschmackvollen Umgang mit einer solch realen Tragödie zu. Im Film kommt nun alles etwas anders und in jedem Fall weniger schlimm als befürchtet. Ob das von Anfang an so geplant war, sei dahingestellt, Charles Manson (Damon Herriman) jedenfalls taucht nur sehr kurz auf. Mehr zu verraten, wäre Spoiler-Territorium.
Preisverdächtig: Regisseur Tarantino und Darsteller Pitt
Aber wie noch in keinem Tarantino-Film sind die Gewaltszenen in „Once Upon a Time in Hollywood“ das Schwächste. Der Film lebt und atmet, wenn er seine ausgestellt altmodischen Helden durch das Hollywood jener Jahre streifen und von früher schwärmen lässt: Es ist in Nostalgie gepackte Nostalgie. Die Tarantino noch einmal steigert, wenn er Dalton bei Dreharbeiten zeigt und Szenen nachstellt aus den Serien der Zeit, die ihrerseits die Klischees des Genre-Kinos von früher ausschlachten. Ein Spiegelkabinett der Referenzen, das wehmütig dem „guten Alten“ frönt.
Mit dieser Beschwörung des Kinos trifft Tarantino in diesem Jahr den durch die Auseinandersetzung mit Streaming-Konkurrenz Netflix blank liegenden Nerv in Cannes in besonderer Weise. Es wäre deshalb gut vorstellbar, dass Tarantino zum Klub der Zwei-Goldene-Palmen-Besitzer aufsteigt. Sehr gut denkbar wäre aber auch eine Palme für Brad Pitt, der als Stuntman Cliff scheinbar mühelos eine so abgründig-absolute Coolness ausstellt, wie man sie eben nur im Kino erleben kann. Bis Samstag ist noch Wartezeit, dann werden in Cannes die Preise vergeben.
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