
Wolfgang Dauner war der Freigeist unter den Jazzern

Wolfgang Dauner war ein Forscher und Visionär, ein kantiges Original, das den Jazz in Deutschland populär machte und von den USA emanzipierte. Er wurde 84 Jahre alt.
Welche Bilder bleiben, wenn jemand geht? Von Wolfgang Dauner ist es eine Flut. Da wäre zunächst der Videoclip, der ihn mit seiner Frau, der Kostümbildnerin Randi Bubat 2017 beim Lesen der Bibel im Spartensender „Bibel TV“ zeigt, irgendwie ungewohnt. Oder der Moment, als sich im Mai 2019 die Philharmoniker und die SWR Big Band zu einem Orchester vereinten und mit Stuttgarts OB Fritz Kuhn Dauners Lebenswerk würdigten. Hoch verdient und – wie wir jetzt wissen – sein letzter öffentlicher Auftritt.
Es gibt aber auch unglaublich viele Szenen aus der Vergangenheit, die symbolisch für das Leben und Schaffen des Pianisten, Komponisten und schillernden Freigeistes stehen. So schrieb man das Jahr 1968, als er und seine Mitverschwörer beim Deutschen Jazzfestival in Frankfurt mit einer Mao-Bibel auftraten und nach einer chaotischen Performance in eine Art Meditationsschlaf fielen. 1971 bei den Donaueschinger Musiktagen komponierte Dauner ein Werk, in dem Hunderte von Pingpongbällen und ein leuchtender rosa Fallschirm in den Saal geblasen wurden, während sich ein Chor unters Publikum mischte.
Einen sündteuren Steinway abgefackelt
Dann war da noch das Bild vom brennenden Klavier, einem sündteuren Steinway, den er zur selben Zeit einfach abfackelte und dazu ungerührt die Hände in den Taschen seiner eleganten Smokinghose vergrub. Über Schwaben sagt man, sie seien fleißig, penibel und vor allem sparsam. Und dann steht da einer aus dem Ländle, noch dazu der mit Abstand interessanteste Tastenvirtuose der deutschen Nachkriegszeit, scheinbar völlig teilnahmslos dabei, während sein Lieblingsspielzeug in Flammen steht!
Eine Provokation folgte auf die nächste. „Es war halt die Sturm- und Drangzeit“, lächelte Dauner über 40 Jahre später entschuldigend. „Man wird im Laufe der Jahre ja auch milder.“ Das Foto gefiel ihm auch später noch, so dass er es für seine letzte Solo-CD „Tribute To The Past“ (HGBS) von 2010 und seine Biografie „Das brennende Klavier“ von Wolfgang Schorlau verwendete. Ein tieferer Sinn musste also in diesem vermeintlichen Akt der Zerstörung liegen. „Die Klaviere brennen bei mir immer noch, aber musikalisch“, klärte Dauner auf. „Dieses Instrument verlangt von jedem Pianisten, egal welcher Couleur, sich täglich mit ihm zu beschäftigen, wenn er sein einmal erreichtes Niveau halten möchte.“ Im Prinzip ging es jedoch darum, gewohnt offensiv zu proklamieren, dass der fantasievolle Tastenakrobat selbst bis ins hohe Alter hinein lichterloh brannte.
Einer jener herausragenden Künstler, die den Jazz hierzulande gepflegt haben
Denn Dauner war in der Tat ein kantiges Original mit einem faszinierenden Spektrum, das nahezu alle Bereiche der modernen Musik berührte und sogar angrenzende Medien befruchten konnte. Einer jener herausragenden Künstler, die den Jazz hierzulande zuerst gepflegt und dann zu einer von amerikanischen Vorbildern unabhängigen Musikform emanzipiert haben. Albert Mangelsdorff war so einer – Dauners liebster Duopartner – Klaus Doldinger, Eberhard Weber, Manfred Schoof, Gunter Hampel, Heinz Sauer, und aus dem Osten Günter „Baby“ Sommer, Ernst-Ludwig Petrowsky und Ulrich Gumpert. Sie alle legten Fährten – auf ihre Weise. Mitten unter ihnen war Dauner der vielleicht offenste, vielseitigste.
Ein Forscher und Visionär, ein Stachel im Fleisch des traditionellen, bisweilen spießbürgerlichen Musikbetriebs, aber auch ein Bindeglied zwischen den Extremen. Ganz früher begleitete er Schlagerstars wie Zarah Leander, Lale Andersen und Marika Rökk auf Tourneen. Als krasser Kontrapunkt stehen die Jazzoper „Der Urschrei des Musikers“, eine bissige Parabel auf die Abhängigkeit von der Tonträger-Industrie, Soundtracks für Spielfilme, Kirchenmusik, das Kindermusical „Das Auto Blubberbum“ und die Kollaboration mit dem Liedermacher Konstantin Wecker.
Im Mittelpunkt stand immer der Jazz
Und dann gab es noch die „Glotzmusik“ und „Päng“, frühe Fernsehformate, mit denen der fantasievolle Schwabe mit dem Zopf, dem Schnauzer und der Sonnenbrille Eckpfeiler der klanglichen Früherziehung bundesdeutscher Kinder in den Boden rammte. „Das waren Sendungen mit experimentellem Charakter“, analysierte Dauner. Etwas, das es heute so nicht mehr gibt.
Aber selbst wenn es manchmal nicht unbedingt den Anschein hatte: Im Mittelpunkt stand immer der Jazz, die Musik der mannigfaltigen Ausdrucksmöglichkeiten. Schon in den 1960ern nahm der gelernte Trompeter dies wörtlich und rief mit dem Trio um den Bassisten Eberhard Weber und den amerikanischen Schlagzeuger Fred Braceful eine der Keimzellen der westdeutschen Freejazz-Bewegung ins Leben. Mit „Knirsch“ an der Seite von Larry Coryell und Jon Hiseman platzierte Wolfgang Dauner 1972 den ultimativen Jazzrock-Meilenstein in die Musik-Landschaft.
Trotz schwerer Krankheit setzte er weiter rastlos Impulse
Welch immenses kommerzielle Potenzial der Jazzrock besaß, zeigte Wolfgang Dauner 1974 eindrucksvoll mit der Gründung des United Jazz + Rock Ensembles, einem der langlebigsten und erfolgreichsten Bigband-Projekte der Welt. Die Superstar-Combo mit Musikern wie Albert Mangelsdorff, Volker Kriegel, Charlie Mariano und Barbara Thompson konnte Hallen mit mehreren tausend Besuchern füllen und bestand bis 2002.
Trotz schwerer Krankheit setzte er weiter rastlos Impulse, probierte, tüftelte und entfachte pausenlos Lunten, die nicht nur Klaviere, sondern bisweilen sogar die eigene Familie entflammen ließen. Sohn Flo Dauner etwa prägt am Schlagzeug als einflussreicher Schattenmann den Sound der Fantastischen Vier. Am vergangenen Freitag ist Wolfgang Dauner im Alter von 84 Jahren gestorben.
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