Ein gutes Ende für ein Buch von Michael Ende
Noch einmal gibt es ein Buch, dessen erste Kapitel von dem großen Erzähler stammen. Wieland Freund hat „Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe“ fortgeführt.
„Schreiben ist für mich ein Abenteuer, bei dem man nie weiß, wohin es mich führen wird“, hat der Schriftsteller Michael Ende einmal gesagt. Ergebnis dieses Abenteuers sind wunderbare Bücher wie „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, „Momo“ oder „Die unendliche Geschichte“, die Millionen von Kindern und Erwachsenen in eine eigene Welt entführten und fürs Lesen begeisterten. Kurz vor seinem Tod hatte sich der Erzähler noch einmal an solch ein Abenteuer gewagt, hatte drei Kapitel zu einem neuen Kinderbuch in die Maschine getippt. Doch „Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe“ blieb als Fragment zurück, als Michael Ende 1995 in Filderstadt starb. Vielleicht, weil er den doppelten Boden für diese Buchidee noch nicht gefunden hatte, vermutet sein langjähriger Lektor und Freund Roman Hocke, der das Manuskript zwei Jahre nach dessen Tod in Endes Archiv fand und in dem posthum herausgegebenen Band „Der Niemandsgarten“ schon einmal veröffentlichte.
Michael Ende wäre in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden, und vermutlich deshalb kam der Thienemann Verlag, in dem die erfolgreichen Bücher Michael Endes erschienen sind, auf die Idee, das Werk nun vollenden zu lassen. Eine kühnes Vorhaben, denn wer will sich schon mit einem Meister des Kinderbuchs wie Michael Ende messen? Wieland Freund, Redakteur der Welt und selbst Autor mehrerer erfolgreicher Kinderbücher, ließ sich auf dieses ambitionierte Vorhaben ein. „Michael Ende ist so etwas wie meine Joanne K. Rowling gewesen“, stellt Freund seinen Bezug zu dem großen Autor dar. Als Zehnjähriger habe er sich in der „Unendlichen Geschichte“ in Bastian Balthasar Bux hineinversetzt, der ein Buch liest und in die Geschichte dieses Buches geworfen wird. „Und jetzt, 30 Jahre später, wurde ich in ein Buch Michael Endes geworfen“.
Zunächst waren da „unglaubliche Manschetten“
Natürlich habe er zunächst „unglaubliche Manschetten gehabt“, ans Werk zu gehen. Den Anspruch, nun wie Michael Ende zu schreiben, habe er aber nie gehabt. „Die Fortsetzung dieses Buches ist zu hundert Prozent meine, und sie ist ein riesengroßes Dankeschön an Michael Ende geworden.“ Wieder und wieder gelesen habe er den Stapel Kopien. „Bei jedem Lesen wurde es reicher“, erzählt Wieland Freund, „und ich sah immer mehr Spuren, die ich verfolgen konnte“.
Die Spuren, von denen Freund spricht, finden sich in einem Wagen voller Marionetten, mit denen die Puppenspieler Mama und Papa Dick und ihr Sohn Knirps unterwegs sind. Der Junge entflieht dieser beschaulichen Welt, weil er der Knappe des schrecklichen Raubritters Rodrigo Raubein werden möchte. Doch dafür muss Knirps beweisen, dass er „vor nichts Angst hat und vor keiner Untat zurückschreckt“. Er wird ausgeschickt, eine Probe zu bestehen. Was Knirps nicht weiß: Der fürchterliche Ritter ist ein Hasenfuß, hat all seine Untaten nur erfunden und traut sich selbst nicht heraus aus seiner Schauderburg im Bangewald.
Damit hatte Ende in seinen drei Kapiteln bereits Motive hinterlassen, die Freund nun als zusätzliche Bedeutungsebenen für die Geschichte um einen ungewöhnlichen Jungen, der ein großes Abenteuer erleben will, nutzt: Angst und ihre Überwindung durch Mut als Grundidee, dazu das Thema, die eigene Bestimmung zu finden. Nicht nur der Räuber ist ganz anders als er vorgibt, auch Papa Dick ist ein lausiger Marionettenspieler, und auch sonst gibt es noch einiges Personal, das seinen wahren Platz noch nicht gefunden hat.
Mit König, Zauberer und Drache
Für die weiteren Figuren der Geschichte wird Wieland Freund im Puppenwagen fündig: der König, die Prinzessin, ein Drache, ein Zauberer hängen dort als Marionetten. Ihnen gibt er Namen und spinnt die Geschichte mit kühnen Kapriolen weiter. Knirps entführt die Prinzessin Flip, um seine Probe zu bestehen, kommt damit aber einem Zauberer und einem Drachen in die Quere, die einem trübsinnigen König Reichtum und Macht entreißen möchten. Wirklich spannend ist das bis zum guten Schluss zu lesen. Wieland Freund findet einen Rhythmus in Klang und Sprache, der an Michael Ende erinnert, ohne ihn zu imitieren.
Zur Hommage an den großen Erzähler Ende wird „Rodrigo Raubein“ auch dadurch, dass die Kunst des Geschichtenerzählens selbst zum Thema wird und Wieland Freund die eigene Rolle reflektiert. Der Papagei Sokrates wird sein Alter Ego, immer auf der Suche nach dem richtigen Fortgang der Geschichte. Wie sie Michael Ende weiter erzählt hätte, weiß man nicht. Wie sie jetzt Wieland Freund fortgeführt hat, ist aber auf jeden Fall lesenswert.
Michael Ende, Wieland Freund: Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe. Thienemann, 206 S., 17 € – ab 6 Jahren
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