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Interview
11.06.2019

Ferdinand von Schirach: "Ich eigne mich nicht zum Revolutionär"

Im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses stellte sich Bestsellerautor und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach den Fragen der Leserinnen und Leser – und den Strahlen der Pfingst-Sonne.
Foto: Ulrich Wagner

Exklusiv Von Schirach erzählt bei "Augsburger Allgemeine Live", was er an seinem Leben als Schriftsteller schätzt – und weshalb er glaubt, dass wir alle Verbrecher bewundern.

Herr von Schirach, wir haben als Gastgeber ein schlechtes Gewissen. Wenn Sie im Berliner Ensemble auftreten, dürfen Sie auf der Bühne rauchen. Warum lassen Sie sich nicht in jeden Ihrer Auftritte hineinschreiben, dass Sie rauchen dürfen, egal wo?

Ferdinand von Schirach : Tue ich ja, aber Sie haben sich geweigert.

Das tut uns leid. Reizt es Sie als kleiner Rebell, nun erst recht eine anzuzünden?

Von Schirach: Ich eigne mich nicht zum Revolutionär. Aber ich finde es unangenehm, dass man sich dauernd demütigen lassen muss. Neben den Verboten gibt es außerdem diese unfassbare Übertreibung. Neulich habe ich den Fernseher angemacht und es kam eine Werbung für einen Klostein. Es wurde gesagt: Wenn ich diesen Klostein kaufe und in mein Klo hänge, verändert das mein Leben. Das ist doch unfassbar.

Sie haben einmal gesagt, dass Ihr neues Buch „Kaffee und Zigaretten“ kein Ernährungsberater sei. Sie standen dauernd auf Platz eins der Bestsellerliste. Daneben stand ein Ernährungsberater bei den Sachbüchern.

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Von Schirach: Das Merkwürdige ist, dass diese Ernährungsberater sich wahnsinnig gut verkaufen. Ich gebe Ihnen einen Tipp, wenn Sie ein Buch schreiben wollen: Schreiben Sie einen Ernährungsratgeber. Weil Sie literarisch interessiert sind, gebe ich Ihnen auch den Tipp für den besten Titel. Er lautet: Abnehmen mit Thomas Mann. Funktioniert 100-prozentig. Wenn es gut läuft, macht der Verlag eine Reihe daraus. Abnehmen mit Stefan Zweig…

Wenn wir schon bei Thomas Mann sind. Er hatte ja einen extrem strukturierten Tagesablauf, und Sie auch. Sie schreiben dreieinhalb Stunden am Tag, abends gehen Sie essen und ins Kino, meistens…

Von Schirach: …oder ins Bett. Das ist wahnsinnig langweilig. Sind Sie auf den Tagesablauf eifersüchtig?

Schon ein bisschen. Alles wirkt so schön planbar, so vorhersehbar.

Von Schirach: Es ist ein langweiliges Leben, aber ich mag es gern. Ich finde Aufregung nicht so angenehm.

Mögen Sie Ihr Leben als Schriftsteller mehr als Ihr früheres Leben als gefragter Strafverteidiger?

Von Schirach: Ich glaube, es ist immer so, dass wir unser Leben nur in der Rückschau verstehen. Wenn man im Tagesgeschäft ist, sieht man das nicht. Als ich sehr jung war, wollte ich unbedingt schreiben und stellte mir das Schriftstellerdasein als großartiges Leben vor. Aber alle sagten mir, dass Schriftsteller arm werden, in feuchten Kellern leben und Tuberkulose bekommen. Deshalb habe ich Jura studiert. Ich möchte die Zeit als Anwalt nicht missen. Tatsächlich glaube ich aber, dass das Schreiben das Eigentliche und mir näher ist.

Ferdinand von Schirach erzählt bei "Augsburger Allgemeine Live", was er an seinem Leben als Schriftsteller schätzt – und weshalb er glaubt, dass wir alle Verbrecher bewundern.

Wie erklären Sie sich den Erfolg Ihrer Geschichten über Verbrecher? Vielleicht damit, dass Leute Verbrecher insgeheim doch bewundern, weil die sich nicht an Regeln im Alltag halten müssen?

Von Schirach: Es gibt eine alte Erklärung: Aristoteles sagt, dass das Anschauen eines Verbrechens eine Entlastungsfunktion hat, weil man es dann nicht selbst begehen muss. Es ist zweifelhaft, ob das stimmt. Das Zweite ist das, was Sie sagen. Sie sitzen in einem Restaurant und bestellen einen Kaffee, aber er kommt nicht. Sie warten 30 Minuten und sind sauer auf den Kellner. Was machen sie? Sie geben ihm Trinkgeld. Die Soprano-Brüder aber würden ihn ohrfeigen oder gar erschießen. Irgendwie hat man es doch gern, wenn man sieht, was man nicht selbst machen kann. Der dritte Grund, der am ehesten auf meine Bücher zutrifft: In vielen der Fälle finden wir selbst uns in schwächerer Form wieder. Ein Beispiel: Ein Ehepaar ist 40 Jahre zusammen, sie hat ihn 40 Jahre lang jeden Tag gequält, dann bringt er sie um.

Das geht in allen Ehen so?

Von Schirach: Das war die erste Geschichte, die ich öffentlich vor zehn Jahren vorgelesen habe – bei einer Vertreterversammlung im Verlag. Ich bin beim letzten Satz und habe das letzte Wort noch nicht ganz gesprochen, da steht jemand auf und sagt: Genau so ist es.

Sie tragen einen besonderen Namen - und haben einmal gesagt, dass Sie aus Wut und Scham vor den Verbrechen Ihres Großvaters, des NS-Reichsjugendführers Baldur von Schirach, zu dem geworden sind, der Sie sind. Wie abgeschlossen muss man sich die Auseinandersetzung mit Ihrer Familie vorstellen?

Von Schirach: Das ist nichts, was sich abschließt. Ich bin jetzt 55 Jahre alt und beschäftige mich damit, seit ich 15 bin. Ich kann das nicht abschließen. Ich trage diesen Namen und bekomme keinen anderen. Letztlich ist es so, dass man zu einer Haltung kommt. Wenn man jung ist, glaubt man, dass man Schuld an den Dingen mitträgt. Das ist totaler Unsinn. Aber es gibt die Verantwortung dafür. Die werde ich nicht los, ich muss sie ernst nehmen.

Ferdinand von Schirach stellte sich bei "Augsburger Allgemeine Live" im Goldenen Saal den Fragen von Chefredakteur Gregor Peter Schmitz, Kultur-Redakteurin Stefanie Wirsching und AZ-Lesern.
13 Bilder
Ferdinand von Schirach zu Gast bei "Augsburger Allgemeine Live"
Foto: Ulrich Wagner

Sie haben lange über andere Menschen und deren Kipppunkte im Leben geschrieben. Im aktuellen Buch „Kaffee und Zigaretten“ schreiben Sie über Ihre Kipppunkte. Warum jetzt erst?

Von Schirach: Weil es das logisch nächste Buch war. Es gibt darin drei Geschichten, die von mir handeln.

Bewegende Geschichten, zum Beispiel über Ihren Selbstmordversuch.

Von Schirach: Das muss man schreiben. Deshalb habe ich das an den Anfang gesetzt. Sonst versteht man die anderen Geschichten nicht. Wenn ich das weglasse, macht man etwas, das man nur bei Ernährungsratgebern machen darf: Man ist nicht mehr wahrhaftig. Ein Schriftsteller muss aber wahrhaftig sein, sonst taugt es nichts.

Das ist das einzige Kriterium?

Von Schirach: Ich glaube, es ist so: Bei aller Kunst, ob nun Musik, Malerei oder Film, gibt es nur ein Kriterium, das zählt: Berührt es uns oder berührt es uns nicht?

Sie sprechen offen über Ihre Depressionen. Was hilft Ihnen dabei, sich trotzdem dem Leben zu stellen?

Von Schirach: Ich erkläre Ihnen das mit einem Bild, das lange über meinem Schreibtisch hing. Es heißt pale blue dot – blasser blauer Punkt – und ist das Foto einer Satellitenkamera, das einzige Bild, das die Erde von einem Punkt jenseits unseres Sonnensystems zeigt. Sie ist ein winziger Punkt, blauer als der Rest. Mir hilft das Wissen, dass wir Menschen alle zusammen diesen winzigen blauen Punkt bewohnen, dieses Staubkorn im Kosmos. Deshalb müssen wir als Menschen zusammenhalten, deshalb gibt es Begriffe wie Würde. Weil wir so verletzlich und unbedeutend sind, müssen wir zusammenhalten.

Wie politisch muss man sich Sie vorstellen? Derzeit wird Robert Habeck als möglicher nächster Kanzler gehandelt, der auch früher Schriftsteller und Philosoph war. Brauchen wir mehr solche Menschen in der Politik?

Von Schirach: Ich glaube, jedenfalls mehr als eine Andrea Nahles, die immer „Ätschi Bätschi“ oder „In die Fresse“ gesagt hat.

Was fasziniert Menschen an Habeck?

Von Schirach: Ich finde ihn einen sehr beeindruckenden Menschen. Es gibt niemanden, der in einer so kurzen Zeit eine solche politische Karriere gemacht hat und das, obwohl er kein einziges dieser Politikerklischees erfüllt. Man fragt ihn etwas und er antwortet. Das ist erstaunlich. Sie erinnern sich, wenn man Hans-Dietrich Genscher etwas gefragt, hat er eine lange Antwort gegeben, in der er nichts gesagt hat. Bei Habeck ist es genau umgekehrt. Was ich auch so sympathisch finde, er räumt seine Fehler ein. Er macht irgendeinen Quatsch mit Twitter und sagt am nächsten Tag, ich habe da Quatsch gemacht. Ob seine Partei, die Grünen, wirklich etwas bewegt, wenn sie ziemlich sicher in eine Regierungsverantwortung kommt, ist eine andere Frage. Aber wie Herr Habeck auftritt, ist allemal besser als Ätschi-Bätschi-Nahles, weil es jünger ist, halbwegs vernünftig und uns entspricht.

Liegt das auch daran, dass Kanzlerin Merkel sich viele Verdienste erworben hat, aber kaum Verdienste um die deutsche Sprache und Rhetorik?

Von Schirach: Das sehe ich anders. Sicher, Frau Merkel ist jetzt nicht das Sprachgenie. Aber die Vorwürfe an Frau Merkel waren immer, dass sie die Teflon-Merkel ist, an der alles abprallt. Dann macht sie in der einen entscheidenden Minute bei der Flüchtlingsfrage das Richtige, Gütige und menschlich Anständige. Später gibt es auch wieder Dummheiten an dieser Stelle. Aber das war eine große Tat. Ich bewundere Frau Merkel. Das ist die Politikerin, die am meisten für dieses Land erreicht hat. Ich bin aufgewachsen in einem irrsinnig spießigen Deutschland, das klein und eng war. Und mit Merkel wurde es zu einem internationalen Land. Das ist schon wirklich ihr zu verdanken. Ich lasse überhaupt nichts auf Angela Merkel kommen.

Ferdinand von Schirach war zu Gast bei "Augsburger Allgemeine Live". Im Video spricht der Schriftsteller über sein neues Buch "Kaffee und Zigaretten", seine Wahrnehmung des Erfolgs und seine Leidenschaft für Zigaretten.
Video: Stefanie Dürr

Jemand, der die Einsamkeit und die Langsamkeit so sehr mag wie Sie, lebt seit 30 Jahren mitten in Berlin. Wie passt das zusammen?

Von Schirach: Furchtbar. Ich finde es irre anstrengend. Ich glaube, ich ziehe nach Augsburg (lacht). Nein, im Ernst: Berlin ist eine unendlich anstrengende Stadt. Erstens ist die Stadt unfassbar hässlich. Es ist von allen Städten dieser Welt die hässlichste. Zweitens ist sie enorm laut. Immer ist es laut, weil immer gebaut wird. Und dann haben wir Taxifahrer, die so unverschämt sind, dass Sie sich das nicht vorstellen können. Drei Tage ist das jetzt her, Pariser Platz. Ich steige in ein Taxi und sage: „Ich möchte nach Potsdam“. Dann sagt der Taxifahrer: „Potsdamer Platz ist mir zu nah“. Ich sage: „Nee, nicht Potsdamer Platz, sondern Potsdam“. Dann sagt er: „Das ist mir zu weit.“ So ist alles in Berlin.

Jetzt schwärmen Sie vom ruhigen Leben in Augsburg, aber Sie haben auch schon gesagt, dass Sie gerne mal Opium rauchen würden. Also doch ein wilder Rebell?

Von Schirach: Aber das ist doch das Gleiche. Opium ist das langsamste Rauschmittel, das Sie sich vorstellen können. Ich habe noch nie Opium geraucht, aber ich weiß alles über Opium. Wenn sie Opium rauchen, wird die Welt noch viel langsamer, als ich sie mir wünsche. Sie haben keine Lust mehr auf Sex, auch nicht auf Essen, alles uninteressant. Das ist eine Art Idealzustand für mich.

Zur Person Ferdinand von Schirach, 55, hat als Strafverteidiger zahlreiche große Prozesse bestritten, etwa den gegen Mitglieder des SED-Politbüros. 2009 veröffentlichte er mit „Verbrechen“ seinen ersten Erzählband. Es folgten rasch weitere Bestseller, aber auch Theaterstücke, Drehbücher und Essays. Heute lebt von Schirach ausschließlich als Schriftsteller. Der Enkel des NS-Reichsjugendführers Baldur von Schirach hat sich intensiv mit der eigenen Familiengeschichte auseinandergesetzt und zuletzt die Kunstsammlung seiner Familie auf NS-Raubkunst untersuchen lassen.

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