Vom Überwinden der Ekelschranke
Hermann Nitsch, der Schöpfer des blutigen Orgien-Mysterien-Theaters, ist 80 Jahre alt
Das Schloss Prinzendorf ist ein Prachtbau. „Der Kauf war eine besondere Geschichte“, erinnert sich Hermann Nitsch nicht ohne Vergnügen. Der malerische Fleck in Niederösterreich gehörte der Kirche, genauer dem Stift Klosterneuburg. Dank einer kleinen Erbschaft seiner Frau interessierte sich Nitsch 1972 – damals in Österreich wegen Gotteslästerung und Pornografie angeklagt – für das unrenovierte Gebäude aus dem 18. Jahrhundert. „Gegen Ende der Verhandlungen sind sie plötzlich draufgekommen, wer ich bin – und wollten alles rückgängig machen“, erzählt der Mann mit dem markanten grauen Rauschebart.
Aber Nitsch hatte bereits bezahlt und den Schlüssel bekommen – das galt als Vertragsabschluss. Fortan wurde Prinzendorf zum zentralen Punkt seines „Orgien-Mysterien-Theaters“. 2020 will der Aktionskünstler dort ein zweites Mal ein komplettes Sechs-Tage-Spiel mit viel Blut und unter Anrufung aller Sinne veranstalten.
Ein Vorgeschmack dazu ist aus Anlass seines 80. Geburtstags am heutigen Mittwoch geplant: Im Mistelbacher Nitsch-Museum, zehn Autominuten vom Schloss entfernt, soll am 1. September unter dem Titel „Aktion mit Sinfonie“ ein Happening stattfinden – das erste in Österreich seit einer Aktion 2005 im Wiener Burgtheater. Auf der dortigen Bühne hatte Nitsch acht Stunden lang ein Ritual mit 100 Mitwirkenden, toten Schweinen, einem frisch geschlachteten Stier sowie viel Obst und Gemüse inszeniert.
Nitsch hatte schon als 19-Jähriger die Idee für ein sechs Tage dauerndes Festspiel, das als Gesamtkunstwerk alle fünf Sinne ansprechen sollte. Eine Ambition, die auf sein malerisches Tun ausstrahlte. Er – und andere Künstler – begriffen in „Schüttbildern“ die Farbe als Materie. „Wir haben geschüttet, geschmiert, geknetet, gekritzelt“, sagt der heute weltweit geachtete Künstler, dessen Werke in Häusern wie dem Museum of Modern Art in New York zu finden sind.
Die Verbindung zwischen Malen, Musik und Performance war vor 50 Jahren ein spektakulärer Akt. Dass Blut, Gedärme, Tiere eine zentrale Rolle spielten, hält Nitsch für angemessen. „Ein Überwinden der Ekelschranke ist Aufgabe der Kunst.“ Gleichwohl galt der Vertreter des Wiener Aktionismus’ in seiner Heimat fast als Geächteter.
„Happenings sind jene fragwürdigen Veranstaltungen, die aus viel Klamauk und nur wenig Kunst bestehen. Man schlachtet Tiere, streicht junge Mädchen mit Eidotter an, und bietet damit zahlenden Gästen eine Show, die ein Mittelding zwischen Striptease und absurdem Theater ist“, befand die Kronen Zeitung 1966, als Nitsch und sein Galerist wegen Religionsstörung zu sechs Monaten strengem Arrest verurteilt wurden – zur Bewährung ausgesetzt. Das war der Anlass für Nitsch zur Flucht nach Deutschland. Dort war die Aufregung nicht ganz so groß, sondern herrschte – so Nitsch – wesentlich mehr Respekt.
Zwei mal nahm Kitsch an der Documenta Kassel teil. In Österreich wurde er erst spät anerkannt: Eine besondere Ehre war die Verleihung des Staatspreises und des Professoren-Titels 2005. (dpa)
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