Gesichter eines Superstars
„Rocketman“, ein Film über das Leben des Popmusikers Elton John, feiert Premiere in Cannes. Im dortigen Wettbewerb wahrt ein alter Bekannter seine Chancen auf einen Rekord
Humpelnd wegen eines verletzten Knöchels kommt Elton John im Festivalpalast an der Croisette in Cannes an. Die Gala-Gäste jubeln dem Musiker zu, doch allzu lange feiern lassen will sich Elton John nicht: Er nimmt schon bald im Kinosessel Platz und macht klar, dass er jetzt lieber erst einmal den Film sehen möchte. Den Film über ihn selbst: „Rocketman“. Der startet ziemlich düster. Denn der Film-Elton, im flamboyanten Outfit in grellem Orange, ist am Ende. „Ich bin ein Alkoholiker, drogenabhängig, sexsüchtig und kaufsüchtig“, so stellt er sich vor, bevor die Handlung zurückgeht in die Kindheit: Der Vater ist fast nie da, die Mutter unglücklich. Die Großmutter aber erkennt das Talent des kleinen Reginald Dwight, wie er eigentlich heißt, und unterstützt seine musikalische Ausbildung.
Dexter Fletcher hat „Rocketman“ gedreht, der Regisseur, der auch schon beim Oscar-prämierten Drama „Bohemian Rhapsody“ über die Band Queen hinter der Kamera stand. In „Rocketman“ hakt er alle wichtigen Stationen von Elton Johns Karriere ab. Die enge Zusammenarbeit mit dem Liedtexter Bernie Taupin, ihre ersten Erfolge, der Durchbruch in den USA, die Beziehung zu seinem Manager John Reid und der Absturz mit Alkohol und Drogen – trotz der Dramatik alles eher konventionell erzählt. Die Stärke des Films sind die Musical- und Musik-Sequenzen, voller Energie und mitreißend inszeniert. Den Auftakt macht „The Bitch Is Back“, dann folgen Songs wie „Saturday Night’s Alright for Fighting“ und „I’m Still Standing“. Zu den emotionalen Höhepunkten gehören „I Want Love“ und „Your Song“, für den es während der Cannes-Premiere spontanen Szenenapplaus für den Hauptdarsteller Taron Egerton gibt.
„Rocketman“ läuft nicht im Wettbewerb des Festivals an der Côte d’Azur. Dort hat in diesem Jahr ein Regisseur die Chance, zum dritten Mal den Hauptpreis zu gewinnen: Ken Loach. Nach „The Wind That Shakes the Barley“ und „I, Daniel Blake“ könnte das nun mit „Sorry We Missed You“ gelingen. Der 82-jährige Loach nimmt sich hier die Gig Economy vor, jene Art der raffinierten Ausbeutung, die dem Arbeiter das Letzte nimmt, was er noch hatte: den ausbeuterischen Chef. Denn das große Stichwort der Gig Economy ist die Selbstständigkeit. Die Fahrer des Lieferdiensts, bei dem Familienvater Ricky Turner (Kris Hitchen) anheuert, sind „Eigentümer-Fahrer“. Was bedeutet, dass man sich den Wagen erst noch selbst kaufen muss, mit dem er dann im Akkord die Pakete an den Mann bringen soll. Der wichtigste Tipp, den Ricky von einem Kollegen bekommt, ist die leere Milchflasche: Für Pinkelpausen wird in seinem 14-Stunden-Tag keine Zeit bleiben. Selbstausbeutung, Prekariat und Digitalgeräte, die den Fahrer überwachen: Es sind alles wahre Dinge, die Loach in „Sorry We Missed You“ auf den Punkt bringt.
Aber der Wettbewerb in Cannes hat gerade erst begonnen, und in der insgesamt 20 Filme umfassenden Konkurrenz warten bis zur Preisverleihung am kommenden Wochenende noch etliche weitere Kandidaten. (dpa, epd)
Die Diskussion ist geschlossen.