
Anne Zohra Berrached: "Wollte sie nicht sehen, was ihr Mann plant?"

Die Filmemacherin erzählt in "Die Welt wird eine andere sein" die Geschichte einer Studentin, die sich in einen Attentäter verliebt. Was reizt die Regisseurin an dem Thema?
Nach dem Nine-Eleven-Terror haben sich viele gefragt: Was sind das für Menschen, die einen solchen Anschlag verüben? Aber nicht darüber haben Sie einen Film gemacht, sondern über eine Frau, die einen solchen Menschen geliebt hat. Was hat Sie an diesem speziellen Blickwinkel interessiert?
Anne Zohra Berrached: Ursprünglich wollte ich einen großen Liebesfilm machen, und irgendwie ist bei mir immer klar, dass die Hauptfigur in all meinen Filmen eine Frau sein muss. Mich hat hier das Innenleben einer Frau interessiert, die jemanden liebt, den wir als „das Böse“ sehen, der mit einem Terroranschlag alles verändert hat. Wie blickt diese Frau auf ihre Vergangenheit? Fragt sie sich, ob sie ihn hätte aufhalten können? Schließlich war sie die Einzige, die so nah an ihm dran war. Ich wollte herausfinden, was da in ihr drin ist, dass sie ihn nicht aufhalten konnte. Hat sie bewusst verdrängt? Wollte sie nicht sehen, was ihr Mann plant oder hat sie ihm einfach blind vertraut?
Sie haben ausführlich zum Thema „Frauen von terroristischen Attentätern“ recherchiert. Konnten Sie mit einzelnen dieser Frauen persönlich sprechen?
Berrached: Nein, mit den meisten kann man gar nicht sprechen, weil sie neue Identitäten haben. Aber ich wollte ja auch kein Biopic machen, sondern meine eigene Geschichte finden, für die ich mich einzelner Ergebnisse der Recherche bedient habe.
Welche Gemeinsamkeit haben Sie in den Biografien dieser Frauen gefunden?
Berrached: Interessant ist, dass fast alle diese Frauen mitten im Leben standen und einen Beruf hatten. Sie waren stark, emanzipiert und schlagfertig. Dennoch waren sie bereit, für die Liebe jede Vernunft aufzugeben. Verdrängung ist bei diesen Frauen ein wunder Punkt. Manche behaupten, sie hätten nichts geahnt. Aber ich weiß nicht, ob man das glauben soll. Ich denke, es gab bei vielen von ihnen einen Punkt der Bewusstwerdung oder einen Zweifel, den sie nicht weiter verfolgen wollten. Auch bei Asli gibt es im Film einen Moment, an dem sie realisiert, dass ihr Mann etwas Illegales vorhat. Sie fragt ihn: „Gehst du in den Krieg, Saeed? Was machst du? Tötest du Menschen?“ Aber das beantwortet er ihr nicht.
Wird Asli zum Opfer ihrer eigenen Liebesvorstellungen?
Berrached: Absolut, sie ist ein Opfer ihrer bedingungslosen Liebe. Asli nimmt die Heiratsversprechungen, die sie einander gegeben haben, sehr ernst. Egal was kommt, wir gehen durch dick und dünn. Wir bleiben zusammen.
Ist Aslis Liebesvorstellung auch kulturell geprägt?
Berrached: Ich möchte mir nicht anmaßen, das zu werten. Sicher, Asli ist eine Türkin, die in Deutschland aufgewachsen ist, und da spielt die kulturelle Prägung wahrscheinlich auch eine gewisse Rolle. Aber vor allem war es mir wichtig, zu zeigen, dass sie aus einer Familie kommt, in der sie nicht gelernt hat, direkt zu sein. Die volle Wahrheit war in der Familie nicht immer erwünscht. Ihre Mutter ist traditionell, aber nicht religiös. Das ist ein wichtiger Unterschied. Sie denkt konservativ und nimmt in ihrem Tunnelblick bestimmte Dinge einfach nicht wahr.

Warum sind Männer wie Saeed bereit, sich und die Liebe ihres Lebens für eine religiöse Ideologie zu opfern?
Berrached: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das Thema blende ich bewusst aus, weil ich den Film konsequent allein aus Aslis Perspektive erzähle. Aber ich zeige deutlich, dass Saeeds Gefühle zu ihr ehrlich sind. Dennoch schleicht sich in seine Beziehung zu Asli etwas ein, das für ihn stärker ist als die Liebe. Da gibt es noch ein anderes Leben, das er vor ihr verbirgt. Und das ist schlimm. Ich will keinesfalls die Schuld von ihm nehmen. Männer wie er gehören zu den größten Verbrechern des 21.Jahrhunderts. Aber Saeed ist auch ein Mensch, der liebt – und Asli ist bereit, für diese Liebe zu kämpfen. Es gibt einen Punkt, an dem sie spürt, dass sie ihn nicht zurückholen kann. Und das ist der Moment, an dem sie verstummt.
Asli ist in diesem Film die alleinige hundertprozentige Identifikationsfigur. Wie haben Sie diese totale Nähe zu Ihrer Protagonistin hergestellt?
Berrached: Durch viele verschiedene Mittel. Ich habe versucht, alles dafür zu tun, dass sich das Schauspiel authentisch und natürlich anfühlt. So sehr, wie man das in deutschen Filmen nur sehr selten sieht. Außerdem gibt es im Film keine Sekunde, die nicht aus Aslis Perspektive erzählt ist. Wenn sie einen Raum betritt, folgt ihr die Kamera und nimmt den Raum aus ihren Augen wahr. Dennoch war es nicht einfach, diese Nähe, die Verknüpfung der Zu-schauer und der Hauptfigur, über den Film hinweg zu halten.
Warum?
Berrached: Weil Asli passiv handelt und wir Passivität nicht anziehend finden. Ich wollte, dass Asli einem ein bisschen auf die Nerven geht, aber es durfte nicht zu stark sein, denn ich möchte das Publikum ja nicht verlieren. Der Zuschauer muss nicht immer mit Asli einer Meinung sein, aber man muss stets Lust haben, mit ihr auf diese Reise zu gehen. „Die Welt wird eine andere sein“ will, dass man sich fragt, kann jemand eine Mitschuld tragen, der nicht alles wusste oder nicht alles wissen wollte. Im Schlussbild des Films zeige ich meine Hauptfigur Asli stärker als je zuvor. Sie hat etwas furchtbar Traumatisches erlebt, aber sie ist an diesen Erfahrungen nicht zerbrochen und sie wird an ihnen wachsen.
Zur Person Anne Zohra Berrached wurde 1982 in Erfurt geboren als Tochter eines aus Algerien stammenden Vaters und einer deutschen Mutter. Ihr Film „24 Wochen“, einem Abtreibungsdrama mit Julia Jentsch und Bjarne Mädel, lief 2016 im Wettbewerb der Berlinale, im Jahr darauf erhielt er beim Deutschen Filmpreis die Silberne Lola in der Kategorie „Bester Spielfilm“. „Die Welt wird eine andere sein“ ist Berracheds dritter Spielfilm, Canan Kir (Asli) und Roger Azar (Saeed) übernehmen darin die Hauptrollen. Der Film startet am 12. August im Kino.
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