Autor Veit Heinichen über die Corona-Zeit: "Triest ist im Moment anders"
Der Schriftsteller Veit Heinichen lebt im italienischen Triest. Im Interview spricht er über seine Wahlheimat, Frisuren in Corona-Zeiten und seinen nächsten Roman.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel ist Teil eines Reise-Blogs unserer Redakteurin Lea Thies. Alle Blogeinträge finden Sie hier.
Viel über „die Stadt der Winde“ am nordöstlichsten Zipfel Italiens und ihre bewegende Geschichte lernt man auch in den Büchern des deutschen Bestseller-Autors Veit Heinichen. Er wohnt seit über 20 Jahren in Triest, ist dort eine Person des öffentlichen Lebens und gilt als Kenner der Region – im Jetzt wie im Gestern. Bekannt wurde er durch seine Triest-Krimis um Commissario Proteo Laurenti, in denen er reale Triestiner Geschichte mit fiktiven Kriminalfällen verwebt.
Vor über zehn Jahren traf ich Veit Heinichen per Zufall auf dem Karst, er sprach uns an, weil wir mit deutschem Kennzeichen verloren in der Gegend rumstanden, und fragte, ob er helfen könne. Schließlich gab er uns einen „ultimativen Restaurant-Tipp“, nämlich das Scabar der Spitzenköchin Ami Scabar, die heute seine Frau ist. Da er sicher auch in Corona-Zeiten ein interessanter Gesprächspartner ist, habe ich ihn spontan kontaktiert – und er hat spontan zugesagt.
Veit Heinichen ist der Schöpfer von Commissario Laurenti
Wir haben uns also in seinem Lieblingslokal beziehungsweise seinem zweiten Büro, der Gran Malabar im Herzen Triests, getroffen. Es sei der erste Termin, den er seit dem Lockdown in der Stadt ausgemacht habe, sagt er. Wie es Proteo geht? „Der lässt mich arbeiten“, sagt Heinichen lachend. Allerdings habe das Schreiben in Corona-Zeiten nicht so geklappt wie sonst, wo er zehn Stunden am Stück am Schreibtisch sitze und in die Abgründe der Menschheit abtaucht. Zu viel Ablenkung, zu wenig Konzentration. Der Haushalt, der Garten. Seine Frau und er seien zu Hause geblieben, hätten nur die nötigsten Besorgungen gemacht, viel gekocht. Der Garten, in dem er unter anderem Koriander, Zitronengras und Peperoni anpflanze, sei gepflegt wie nie.
Veit Heinichen wohnt etwas außerhalb an der Küste, räumlich betrachtet sei die Quarantäne für ihn wesentlich angenehmer gewesen, als für eine Familie in einer Stadtwohnung ohne Balkon. Trotzdem habe er sie auch als belastend empfunden. Nicht nur wegen der Zahlen, der Nachrichten, der Bilder aus Bergamo. Triest, die Stadt mit den meisten Alten in ganz Italien, habe ausgesehen, „als hätte jemand eine Neutronenbombe reingeworfen“. Kein Leben zu sehen. Ab und zu dann aber doch Menschenschlangen vor den Supermärkten. Die Leute seien immer zur selben Zeit zum selben Supermarkt gegangen, hätten angestanden – obwohl im nächsten, ein paar hundert Meter weiter, selbe Qualität, nichts los war. „Der Mensch ist dem Schaf doch am nächsten“, kommentiert Heinichen.
Am Anfang habe ihn die Corona-Krise an den 11. September erinnert, aber bald habe sie sich als viel schlimmer herausgestellt, sagt er. „Nine-Eleven war ein Event, das zu einer bestimmten Uhrzeit an einem bestimmten Datum stattfand. Im Falle von Corona wissen die Leute aber bis heute nicht, wie es ausgehen wird.“ Er auch nicht.
Normalerweise ist Veit Heinichen viel unterwegs
Gerade bekomme er die Corona-Krise auch beruflich und finanziell zu spüren, berichtet Heinichen. Normalerweise ist er viel unterwegs, Lesungen, Recherchen, Zeitzeugengespräche, Menschen treffen. Sein neues Buch „Borderless“ kam gerade auf Italienisch raus, sei kurz auf der Bestsellerliste gewesen – und dann kam der Lockdown: Alle 35 Lesungen wurden abgesagt, die Buchläden waren geschlossen. „Das holst du nicht mehr auf“, weiß er. Vor unserem Gespräch habe er die erste „Borderless“-Lesung für Mitte Juli in der Gegend angenommen. Der Filmvertrag sei unterschrieben, aber die Produktionsfirma könne gerade nicht mit der internationalen Koproduktion loslegen.
Hinzu komme, dass das Restaurant seiner Frau nach wie vor geschlossen ist – auf dem Level zu kochen rechne sich nicht für ein paar Gäste. Wie lange sie diesen Totalausfall durchhalten, wisse er nicht. Und dann erzählt Veit Heinichen aus der Lockdown-Zeit. Dass die Leute immer weniger auf ihr Äußeres achteten. Weil die Friseure geschlossen waren, seien die Frisuren länger geworden. „Es gab den Witz: Nach zwei Monaten Lockdown gibt es 80 Prozent weniger Blondinen.“
Triest ist umsturz- und krisenerprobt – hilft das auch in Corona-Zeiten? „So was hinterlässt schon Spuren in der DNA“, glaubt der Autor. Die Menschen ließen sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Hinzu komme, dass Triest eine der reichsten Städte Italiens sei. Weniger Sorgen also. Die Menschen hätten sich sehr diszipliniert gezeigt. Allerdings sei das in ganz Italien so gewesen.
Covid-19 will Heinichen nicht in seinen Büchern verarbeiten
Während wir uns draußen auf Abstand unterhalten, wird Heinichen immer wieder von vorbeigehenden Freunden begrüßt, die winken oder auch für ein kurzes Gespräch stehen bleiben. Er kann blitzschnell umschalten, von Italienisch auf Deutsch, von kurzem Smalltalk mit Bekannten zu ernsten Themen. Etwa seinem neuen Laurenti-Roman, in dem es um die Gräueltaten der Nazis in der Region gehen soll, Arbeitstitel „Massaker“. Als er davon spricht, bebt seine Stimme, er ist ergriffen von den schrecklichen Dingen, die er herausgefunden hat, von den „Löchern in den Geschichtsbüchern“.
Ob er auch Corona und Covid-19 in einem neuen Roman verarbeiten wird? Nein, sagt er, da sei nichts geplant. Im Januar waren er und seine Frau auf einer Recherchereise in Tanger, Ceuta, Melilla und Gibraltar. Letztlich hätten sie aber viel Zeit im Hotel verbracht, denn plötzlich hatten sie Fieber, Schmerzen in der Brust und trockenen Husten – klassische Covid-19-Symptome. Ob sie es hatten? Er weiß es nicht. Das Wissen würde ihm auch nichts bringen, meint er, schließlich sei noch nicht erwiesen, dass man nach einer Infektion immun sei.
Hat sich Triest nun verändert durch Corona? „Die Seele ist dieselbe geblieben, aber Triest ist im Moment schon anders“, meint Heinichen. Es gebe eine große Zurückhaltung im öffentlichen Leben. Dann deutet er mit der Hand gen Norden. „Ein paar Kilometer entfernt, in Monfalcone, befindet sich die weltweit größte Werft für Kreuzfahrtschiffe.“ Da sei dieser Tage ein Riesenschiff zur Probefahrt gestartet. Platz für mehr als 5000 Menschen. „Was wird passieren?“, fragt der Autor und gibt gleich die Antwort mit einem erneuten Schaf-Mensch-Vergleich und: „Meiner Einschätzung nach werden auch diese Dinger wieder fahren, selbst wenn es keine Sicherheit gibt.“ Man müsse in diesen Tagen wirklich aufpassen, kein Misanthrop zu werden.
Dass er vom Menschenfeind aber weit entfernt ist, zeigt auch das Ende unseres Gesprächs. Bevor er aufbricht, hilft er wieder weiter, zückt sein neues Handy, wählt eine Nummer und klärt, ob der Campingplatz auf dem Karst mit Blick auf Triest schon geöffnet hat. Es war wieder ein „ultimativer Tipp“.
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