Feldpost: Heute noch und gerade zu Weihnachten wichtig
Die Feldpost der Bundeswehr liefert in die ganze Welt. Dorthin, wo deutsche Soldaten im Einsatz sind. In der Festzeit haben sie viel zu tun. Ein Ortsbesuch.
Mittwoch und Sonntag sind zwei kleine Feiertage in Gao, Mali. Denn dann gibt es Post. Aus der Heimat, aus Deutschland. Dorthin, wo Sandstürme in der Regenzeit mehrmals pro Woche ihre raue Fracht bis in die kleinste Ritze drängen und über die Welt einen rötlichen Schleier legen. Bei Gao sind Soldaten der Bundeswehr im Camp Castor stationiert.
Eine, die sich Woche für Woche auf diese Tage freut, ist Elisabeth R. 27 Jahre alt, Hauptfeldwebel und seit September in ihrem zweiten Auslandseinsatz. „Die Post erhält hier für mich und meine Kameraden eine völlig neue Bedeutung“, erklärt sie am Telefon. Schließlich sei man tausende Kilometer vom Zuhause entfernt. Eine Postsendung sei das, was einer tatsächlichen Berührung der Liebsten am nächsten komme. Dabei müsse es nicht immer ein Päckchen oder ausführlicher Brief sein, eine kurze Postkarte tue es auch.
Während zumindest die Postkarte heute eine Renaissance erlebt, muss man sich um den Brief wohl Sorgen machen. Er ist heute der Dinosaurier der Kommunikation: langsam, seit Jahrtausenden nahezu unverändert, manchmal auch furchteinflößend. 2008 beförderte die Deutsche Post noch 16 Milliarden Briefsendungen, 2017 waren es bereits weniger als 13 Milliarden. Die wenigsten davon sind heute noch private Briefe. Wie die Reptilien damals stirbt der Brief wohl langsam aus. Nicht nur die Männer und Frauen in Gao sehen das wohl anders. Auch in der Major-Karl-Plagge-Kaserne bei Pfungstadt ist der Brief gut gelitten. Muss er auch.
„Wenn Sie so weit weg von den Lieben daheim sind...“
Denn hier schmiegt sich die Feldpost der Bundeswehr in die rot und orange bewaldeten Hügel des Odenwalds, ohne Briefe kommt hier kein Arbeitstag aus: ein- und mehrblättrige, hand- und computergeschriebene, verzierte und ganz nüchterne, aus edlem Büttenpapier oder ausgerissenem Notizzettel, mit Lippenstiftkuss oder Parfümhauch, herzzerreißende und amüsante. Welche mit wenigen Zeilen, nicht viel mehr als ein knappes Hallo. Und Briefe, die viele Zeilen und Gedanken, ein ganzes Leben in einem anderen Land, umfassen, an der Obergrenze von einem Kilo Gewicht reißend. Allein 15.000 von ihnen versandte die Feldpost zur vergangenen Weihnachtszeit, dieses Jahr werden es wohl ähnlich viele. Seit 1999 ist sie in Pfungstadt beheimatet.
Wie bei der zivilen Post gilt auch bei der militärischen Schwester das Briefgeheimnis. Petra Leimböck, 61 Jahre alt und als Postbeamtin bereits von Raketenbeschuss in Afghanistan bei ihrer Arbeit unterbrochen worden, erklärt sich das so: „Wenn Sie so weit weg sind von den Lieben daheim, dann spielen Briefe eine ganz besondere Rolle. Das kann der tägliche Kontakt per Smartphone nicht ersetzen. Ein Brief ist etwas Ernstes, da überlegt sich jemand etwas, zerbricht sich den Kopf über Formulierungen und den Platz. Den kann ich auch noch Jahre später hervorholen und mich daran erfreuen.“ Daher seien sie und ihre Kollegen – in der Truppe meist nur „Posti“ gerufen – mehr als nur die Briefträger. „Wir sind oft die ersten Ansprechpartner bei Problemen.“ So spreche mancher Soldat mit dem Posti über die Briefe.
Rund 4000 Soldaten sind aktuell weltweit für die Bundeswehr im Einsatz, allein in Afghanistan sind es mehr als 1000; circa 500 Männer und Frauen sind in Jordanien, Syrien und dem Irak stationiert und knapp 1000 in Mali. In Gao besteht das Feldpostamt aus zwei Containern. Innen ein Tresen, zahlreiche Kartons und Umschläge verschiedener Größen. Weihnachtsschmuck findet man hier zumindest zu Dezemberbeginn nicht, der beschränkt sich bisher auf Aufenthaltsräume. Hauptfeldwebel R. erzählt lachend, warum trotz der Hitze dennoch Weihnachtsstimmung bei der Truppe aufkommt. „Aus der Heimat kommen bereits Plätzchen und Stollen, die schmecken auch in Mali.“ Viele ihrer Kameraden würden in der Adventszeit Päckchen aus Deutschland ordern und sie in Mali mit einer persönlichen Note versehen, ehe sie als Geschenke in die Heimat kommen. Sie selbst habe aber bereits vor ihrer Abreise Geschenke gekauft und verpackt. „Ich muss lediglich meine Verstecke verraten.“
Die Postplombe muss sein
Bei der Bundeswehr herrscht im Auslandseinsatz laut Leimböck eine Dreieinigkeit: Küche, Post, Pfarrer. „Vor mir stand an Weihnachten schon mal ein General mit tränenverschmiertem Gesicht, in der Hand ein Brief mit von seinen Kindern gemaltem Weihnachtsbaum – das bedeutet die Feldpost.“ Dabei hat es mit dem Posti eine besondere Bewandnis. Er ist nämlich kein wirklicher Soldat, eher Hälfte, Hälfte. Vier bis sechs Monate dient Leimböck bei der Feldpost, aber nur wenn sie sich meldet. Die restliche Zeit arbeitet sie bei der Post in Gersthofen (Landkreis Augsburg).
Sie ist Reservistin und hat eine verkürzte Grundausbildung absolviert, war bereits in Bosnien, im Kosovo oder in Afghanistan. Als Posti hat man verschiedene Arbeitsplätze zur Auswahl. Entweder in einem der zwölf Auslandsstandorte oder im Zentrum bei Pfungstadt. In der Weihnachtszeit arbeiten dort 15 Postis, ansonsten elf.
Eine Lagerhalle, vielleicht 100 Meter lang. Abgetretener Boden in kettenrauchergelb und betongrau. Dutzende hüfthohe Plastikkisten und fast mannshohe Holzkisten stehen in Reih und Glied, im hinteren Teil findet sich eine Röntgenstation mit Förderband. Wie am Flughafen, nur kleiner. Die Plastikkisten sind mit rotem Sand bedeckt, sie kommen aus Mali und dem Irak. Im Gebäude verlieren die Lieferungen ihre ginstergelbe Farbe und nehmen bronzegrüne Töne an. Morgens bringen die Post und andere Lieferdienste die Sendungen hierher. Feldjäger durchleuchten in der Ecke mit Röntgenstrahlen die Lieferungen. Anschließend werden sie von den Postis sortiert und in Kisten verpackt. In die großen Behältnisse gelangen Päckchen, Briefe kommen in kleine gelbe Kisten, wie man sie in jeder Postfiliale sieht. Ehe die Paket-Kisten ihren Weg in Hände und Herzen der Auslandstruppen finden, braucht es einen letzten Handgriff: die Männer und Frauen greifen zu Zange und Zängchen, ummanteln die Truhen mit stählernen Bändern und versiegeln diese mit einer Postplombe. Pakete von Soldaten im Ausland durchlaufen den umgekehrten Weg, von der Auslands-Feldpost über Pfungstadt und den Zoll in Speyer, ehe sie zu Verwandten und Freunden gelangen.
135.000 Pakete gehen von der Feldpost jedes Jahr ins Ausland
Einer der Dienstältesten hier ist Oberstabsfeldwebel Axel Ehrhardt. Er arbeitet bereits seit 1997 für die Feldpost, zuvor war er Zeitsoldat. Der großgewachsene Norddeutsche, Bürstenschnitt und freundliche, blaue Augen, erzählt von berührenden und kuriosen Briefen und Päckchen, die er in all diesen Jahren in der Hand hatte. „Als ich in Bosnien stationiert war, kam einmal eine Geburtstagstorte an. Ohne Dellen, glänzend und duftend.“ Eines von 135.000 Paketen, die von der Feldpost jedes Jahr ins Ausland gehen. Und die seien immer etwas Besonderes. Klar, dass das die Feldpostler und Soldaten sagen. Aber auch jemand, der nicht nur unmittelbar mit der Auslandspost in Berührung kommt – Christian Seidel ist Truppenpsychologe bei der Bundeswehr. Fünf Mal war er bereits im Ausland, hat dort die „Magie eines handgeschriebenen Briefes“ erfahren, wie er es nennt.
Gerade an Weihnachten erlebe man einen intensiveren Bezug zur Heimat durch die Feldpost. „Soldaten können sich so aber auch über Gefühle und Eindrücke aus den Einsätzen klar werden, sich auch mal Stress von der Seele schreiben.“ Denn jeder Auslandseinsatz sei per se eine Belastung, erklärt der Psychologe. Das fange schon mit Heimweh an. Und eine materielle Verbindung zur Heimat – ob Essen, Schmuck oder ein Brief – könne man sich auch über das Bett hängen. „Elektronische Medien sind flüchtig. Aber gerade, wer Monate von zu Hause weg ist, braucht eine greifbare Bindung zu den Liebsten.“ Und für die Daheimgebliebenen sei es ebenfalls tröstlich, etwas Greifbares von ihrem Mann oder Frau, ihrem Sohn oder Tochter aus dem Einsatzgebiet zu haben.
Die Feldpost unterliegt den gleichen Regeln wie die zivile Post
Das hat sich über die Jahrhunderte nicht geändert. Bereits während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 gab es die erste Verwendung von Feldpost in größerem Umfang. Allein 1870 sollen etwa zehn Millionen „Feldpost-Correspondenzkarten“ nach Deutschland gelangt sein. Damals wurde der Versand mit Pferd und Eisenbahn erledigt. Heute geht das alles schneller und über enorme Distanzen. Die gut gesicherten Postkisten bringt die Bundeswehr mit Lastwagen und Flugzeugen in die Einsatzorte. Bis Mali oder Afghanistan braucht es dennoch zehn bis vierzehn Tage. Verloren geht kaum einmal etwas. Nur Sendungen, welche die Regeln der Feldpost missachten, dürfen nicht in die Einsatzgebiete.
Hier gelten die gleichen Vorgaben wie bei der zivilen Post. Mehr als 31,5 Kilo darf kein Paket wiegen. „Sie würden sich wundern“, erklärt Ehrhardt, „was die Leute alles verschicken wollen. Wir hatten hier schon Waschmaschinen.“ Neben den Gewichtsbestimmungen gelten verschärfte Regeln für gefährliche Gegenstände. Feuerwerk ist zum Beispiel nicht erlaubt. Trotz der Bestimmungen, trotz digitaler Kommunikation, bleibt die Anzahl der Sendungen stabil. Ehrhardt sagt, er sei überzeugt, „die Feldpost wird es geben, bis die Menschen die Teleportation erfinden.“ Oder zumindest solange es notwendig ist, Soldaten in den Einsatz zu entsenden.
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