DJ Ötzi über sein neues Album und seine schwierige Kindheit
DJ Ötzi zieht in seiner Autobiographie Bilanz. Ein Gespräch über eine schwierige Kindheit, erlebtes Mobbing, das Ötztal, die Selbstliebe und warum er sich jung fühlt.
Gerry, auf deinem Album „Sei du selbst“ wie auch in deiner Biographie „Lebensgefühl“ gibst du sehr offen, bisweilen auch schonungslos über dich Auskunft. Warum war es dir wichtig, deine Geschichte aufzuschreiben?
DJ Ötzi: Ich wollte meine Vergangenheit in aller Klarheit auf den Tisch legen, damit ich mit ihr abschließen kann. Ich will ja auch nicht ewig zurückschauen und das Geschehene immer weiter mitschleppen. Also habe ich die Vergangenheit in Songtexten und in meiner Autobiografie aufgearbeitet, was zum Teil sehr schwierig und emotional war. Mir war wichtig, kein Wischi-Waschi-Buch zu schreiben, sondern die Dinge wirklich so zu erzählen, wie sie passiert sind. Ich denke, ich habe jetzt alles reflektiert und das Beste aus meinen Erfahrungen mitgenommen in mein jetziges Leben.
Du bist Anfang des Jahres 50 geworden. Ist das ein gutes Alter für eine solche Lebensbilanz?
DJ Ötzi: Ja, ganz sicher. Das ist der richtige Zeitpunkt.
DJ Ötzi hatte keine einfache Vergangenheit
Dein Leben war kein leichtes. Du bist bei Pflegeeltern aufgewachsen, warst obdachlos, littest an Depressionen und hast zeitweise zu viel getrunken. Das Aufschreiben dieser Erinnerungen stelle ich mir nicht einfach vor.
DJ Ötzi: Das war auch nicht einfach. Ich empfand es als unangenehm und quälend, dorthin zurückzugehen und mich in diese schmerzhaften Situationen noch einmal reinversetzen zu müssen, obwohl ich sie ja eigentlich längst hinter mir gelassen habe.
Wie wichtig ist dieser Schmerz für deine Karriere heute? Wären die mehr als 20 Erfolgsjahre überhaupt vorstellbar, wenn du nicht so eine unglückliche Kindheit und Jugend gehabt hättest?
DJ Ötzi: Nein, bestimmt nicht. Ich wäre nie der, der ich jetzt bin, wenn ich das nicht erlebt hätte. Deshalb kann ich heute nur sagen „Danke für die Zeit“. Aus heutiger Sicht haben mich die Erfahrungen mehr gestärkt als geschwächt. Ich habe aus dem Minus ein Plus gemacht.
Du sagst über „Sei du selbst“, das Titelstück deines neuen Albums, es sei ein Anti-Mobbing-Song.
DJ Ötzi: Viele haben in ihrer Jugend erlebt, dass sie nicht gemocht werden. Dass sie beim Fußball immer als letzter gewählt wurden. Oder dass ihnen gesagt wurde, sie seien pummelig. Aber jeder Mensch hat Gefühle und einen Wert. Deshalb ist es furchtbar und tut so verdammt weh, so behandelt zu werden. Diese Emotionen wollte ich beschreiben.
"Wir müssen alle viel achtsamer miteinander umgehen"
Wie gut kennst du das Gefühl, gemobbt oder ausgeschlossen zu werden?
DJ Ötzi: Sehr gut sogar. Das war in meinem Leben definitiv ein Thema. Ich weiß noch, wie ich in der Klasse meinen ersten epileptischen Anfall hatte und der Lehrer, der auch der Schuldirektor war, das gar nicht wahrgenommen hat. Er meinte, ich würde nur den Klassenkasperl spielen und solle mich nicht so anstellen. Aus heutiger Sicht betrachtet ist das unglaublich krass. Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch Respekt verdient hat. Wir müssen alle viel achtsamer miteinander umgehen. Heute spielt sich das meiste Mobbing in den sozialen Medien ab. Schrecklich finde ich das. Es ist total verrückt, wie wenig wertschätzend die Menschen zueinander sind.
Wo hast du denn als Jugendlicher Wertschätzung erfahren?
DJ Ötzi: Wenn, dann vielleicht bei meiner Oma. Sie sagte immer „Junge, mach dir nichts draus, Kinder sind, wie sie sind“. Ach, es ist Vergangenheit. Ich habe das niedergeschrieben, und gut ist. Ich bin mit niemandem im Groll.
Du sagst auf dem Album auch „Fang nie an aufzuhören, dich zu lieben“. Wie wichtig ist Selbstliebe?
DJ Ötzi: Selbstliebe ist der Grundsatz von allem. Viele Leute meinen, sie müssten hier helfen und da helfen. Ich sage: Helft euch doch erst einmal selbst. Wer anderen helfen will, muss zuerst bei sich selbst nachschauen und sich selbst annehmen. Nur wenn du dich liebst, kannst du Liebe weitergeben. Wenn du dich nicht liebst, so wie ich lange Zeit, dann kannst du auch niemand anderes lieben.
Du bist ein nachdenklicher Mensch, der künstlerisch jedoch von Partystimmung lebt. Wie bist du durch die letzten anderthalb Jahre gekommen?
DJ Ötzi: Die ersten Tage hatte ich Angst, die Welt geht unter. Ich bin ein lösungsorientierter Mensch, aber ich konnte das Außen nicht beeinflussen. Also begann ich damit, an Lösungen für die Zeit danach zu arbeiten. Diese Fähigkeit kannte ich noch von meiner Kindheit. Ich war oft krank, und dann freute ich mich immer schon darauf, dass nach dem Tal wieder ein Berg kommt, oder zumindest ein Hügel.
Durch TikTok sich weiterhin jung fühlen
Der „Anton aus Tirol“ passierte dir 1999, acht Jahre später folgte „Ein Stern (…der deinen Namen trägt)“. Wie schaffst du es, dass deine Hits noch immer so jung wirken?
DJ Ötzi: Weil ich mich selbst jung fühle. Ich liebe es zum Beispiel, auf TikTok unterwegs zu sein, dieser App für Teenager. Dort nehme ich Kontakt auf zu meinem inneren Kind. Und dann lasse ich das raus.
Du sagst, der Ötztaler an sich sei eher verschlossen. Und wenn er eine Freundin aus dem Nachbardorf hat, dann ist das für viele schon zu weit weg. Bist du ein typischer Ötztaler?
DJ Ötzi: Natürlich ist meine Vita sehr eng mit dem Ötztal verwoben. Die Leute sagen über uns, wir seien stur, aber sehr bestimmt. Das kommt hin. Die Berge sind steil im Ötztal, du musst schauen, dass du überlebst. Als Jugendlicher musst du dort irgendwann raus, sonst erdrücken die Berge dich. Und es gibt einen großen Unterschied zwischen dem unteren und dem oberen Ötztal. Wenn du im unteren Ötztal ein Kind bekommst, dann hast du im oberen noch nicht einmal geküsst. Die einen sind offenherzig, die anderen nicht.
Wo bist du großgeworden?
DJ Ötzi: Als Bub bin ich im unteren Ötztal aufgewachsen und von dort ins obere gezogen. Das war nicht einfach, aber ich bin froh, dass ich beides erlebt habe.
"Die Berge geben mir ein Urvertrauen"
Was bedeuten dir die Berge?
DJ Ötzi: Ich bin naturverbunden und sehr froh, dass es die Berge gibt. Sie geben mir ein Urvertrauen. Bei den Bergen weißt du, dass sie auch morgen noch dastehen. Diese Gewissheit tut mir sehr gut. Es gibt weniges, auf das im Moment so sehr Verlass ist, wie auf die Berge. Außerdem tun sie, genau wie der Wald, meiner Seele sehr gut.
„Nach all den Jahren“ ist ein Lied über das Verhältnis zwischen dir und deinem verstorbenen Vater. Ist der Song wichtig für dein Seelenheil?
DJ Ötzi: Ja, sehr. Dieser Song musste unbedingt aufs Album. Ich lege da wirklich die Karten auf den Tisch, aber ich tue mich schwer, über meinen Vater und mich zu sprechen. Es geht in dem Lied nicht um Vergebung, sondern um Versöhnung. Denn ich will nicht im Unfrieden mit meinen Lieben oder überhaupt mit anderen Menschen auseinandergehen.
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