Nicht nur lackiert: Der Kult um die Fingernägel
Fingernägel werden immer aufwendiger in Szene gesetzt. Dahinter steckt eine Branche, die um Ausbildung, Auflagen und ein besseres Image kämpft.
Es gibt Geschichten, die klingen ein klein wenig ausgedacht. Als ob man noch etwas daran geschönt hätte, damit sie sich besser erzählen lassen, auch wenn es nicht so ist. Beginnen wir mit der von Manuela Neumann, früher Bahnangestellte und Nagelbeißerin, wie sie sagt, heute Nageldesignerin und Kosmetikern mit eigenem Studio. Name: „Das Schönheitsprinzip.“ In dem sie neben dem Behandlungstisch eine Karte mit einem Zitat von Winston Churchill platziert hat. „Man muss dem Körper Gutes tun, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen.“ Keine Ahnung, woran Winston Churchill, Zigarrenschmaucher, Whiskytrinker, bei diesen Worten dachte, vermutlich aber nicht an Hände und Fingernägel. Genau deswegen hat ihr das Zitat aber auch so gut gefallen, sagt Manuela Neumann, ausgerechnet Churchill. Ausgerechnet sie.
Nagelstudio? Das kannten nur Amerikanerinnen
Wobei man auch mit Terri Malon, Gründerin des Verbandes Deutscher Nageldesigner, beginnen könnte. Auch eine tolle Geschichte. Gelernte Krankenschwester, arbeitete beim amerikanischen Militär, liebte ihre Nägel! Als sie in Fürth vor 32 Jahren eines der ersten Nagelstudios in Deutschland eröffnete, kamen erst nur die Frauen der amerikanischen Soldaten, die kannten das von zu Hause, dann ganz langsam auch die deutschen. Ihr Studio lag in einem Ärztehaus, „da konnten meine Kundinnen reingehen, und später sagen, ich war beim HNO-Arzt“.
Malon, drei Kinder, alleinerziehend, führte später sieben Nagelstudios und einen Großhandel, gründete eine eigene Zeitschrift, gab auch das alles wieder auf, aber nach wie vor kämpft sie: für eine bessere Ausbildung, für ein besseres Image. „Nennen Sie mich ruhig den Dinosaurier der Branche“, sagt Malon und lacht. Sie ist im Übrigen auch die Erfinderin des Babyboomer-Looks, den man vielleicht am besten so beschreiben kann: Der Übergang zwischen dem Nudeton der Nägel und dem Nagelweiß an der Spitze verläuft fließend, ohne Smile-Line. Dazu gleich mehr.
Zwei kleine Geschichten also, die gut in eine große, auch ziemlich verrückte passen. Stichwort: Manimania! Das irre Geschäft mit den Nägeln. Salonfähig mittlerweile auch in Deutschland. 70 bis 80 Prozent der Frauen hätten keine schönen Naturnägel, sagt Malon. Was die früher eigentlich gemacht haben? Knipsen, feilen, verschämt an der Nagelhaut knibbeln? Jedenfalls: „Für die gibt es jetzt Gott sei Dank Nagelstudios“, sagt Malon. Und dahinter eine wummernde Industrie, die jedes Jahr neue Trends auf den Markt wirft, für die Außenstehende erst einmal Übersetzungshilfe brauchen. BareNails, Nude Nails, Rainbow Nails oder eben eine neue Form der Smile-Line, die Linie zwischen Nagelspitze und Nagelbett: Zaubert ein Lächeln auf die Nägel!
Laut der Zeitschrift Instyle zählen zu den Trends für 2020 matt lackierte Nägel, es gibt dafür einen speziellen Überlack. Die Bunte sieht Punkte auf den Nägeln im Kommen, laut Vogue sind überlange Glasnägel der Knaller, aber auch knallbunte kürzere und Nagellack, der von Natur aus schon so aussieht, als sei er abgeblättert. French Nails sind dagegen auf dem absteigenden Ast, glaubt Manuela Neumann. Für die Branche gilt das ganz sicher nicht.
Der kleine Luxus für den Alltag
Gefühlt gibt es in Deutschland mehr Nagelstudios als Metzgereien. Tendenz, eher verschärfend. Vor zehn Jahren etwa habe der große Boom begonnen, sagt Malon, auch als Folge der Wirtschaftskrise. „Wenn du dir den großen Luxus wie eine Fernreise nicht mehr leisten kannst, dann zumindest den kleinen.“ Kurze Auszeit, Hände auf den Tisch, entspannen. Mittlerweile kommt kein größeres Einkaufszentrum mehr ohne Studio aus. Das Stadtportal München.de listet allein für den Großraum 378 Studios auf, Nagelrot, Nail4you, American Nails, Coco-Nails … Für ganz Deutschland schätzt Malon die Zahl auf etwa 60.000. Das wären zehn Mal so viele Nagelstudios wie Buchhandlungen. Nur so als Vergleich ... Wobei Studio nicht gleich Studio ist. Und nicht nur, wenn es nach Terri Malon geht, sollte es von der einen Sorte eher mehr und von der anderen Sorte eher weniger geben. Dann, sagt Malon, wäre auch das Image ein anderes.
"Hilfe, der Nagel ist abgebrochen!"
„Das Schönheitsprinzip“ von Manuela Neumann in Augsburg zählt zu der Sorte Salon, von der die Branchenkämpferin Malon gerne mehr hätte. Farbton Cremeweiß, Loungemusik, Blumen, Kerzen, aber worauf es ankommt, ist eigentlich etwas anderes: Sterilisierte Nagelzangen zum Beispiel, eine eigene Feile für jeden Kunden … Und eine Ahnung von dem, was man tut, wenn man zum Beispiel Gel oder Acryl auf die Nägel aufträgt, um sie zu verschönern. Als sie mit dem Job anfing, damals noch als kreatives Hobby, hatte sie die auch nicht, sagt Manuela Neumann. Eine Ein-Tages-Schulung zur Nageldesignerin, das war’s. „Der Einstieg ist unkompliziert.“ Sie hat sich damals über den Versandhandel ein Komplettpaket bestellt. Inhalt: ein paar künstliche Nägel, ein Töpfchen Gel, Pinsel, Feile und UV-Lampe mit einer Röhre … „Eine Röhre reicht natürlich nicht, aber das wusste ich da noch nicht.“ Als Versuchsmodelle dienten vor allem die eigenen Hände oder die von Freundinnen. Am Sonntag kamen dann manchmal Anrufe: „Hilfe, der Nagel ist abgebrochen.“ Neumann sagt, da sei ihr schon klar gewesen, ganz so unkompliziert ist es eben doch nicht.
Am beliebtesten: der natürliche Look
Ihre Kundinnen wollen zum Beispiel derzeit am liebsten Nägel, die ganz natürlich aussehen, „so als habe Mutter Natur ihr Bestes gegeben“. Mit am schwierigsten. Die Nägel sollen also schön dünn sein und auf keinen Fall aus Zehn-Meter-Entfernung schon als Gelnägel zu erkennen sein, aber natürlich auch super haltbar. Dass zum Beispiel auch bei der Gartenarbeit nichts bricht. Wichtig daher: Der Stresspunkt muss richtig ausmodelliert sein, sagt Neumann, weil der die meiste Belastung aushält. Der Stresspunkt ist im Übrigen die Stelle des Nagels, an der sich die Farbe ändert, wenn man auf den Nagel drückt. Nur so nebenbei.
Neumann hat sich ihre Fortbildung schließlich selbst zusammengestellt, bevor sie ihr Studio eröffnete, einen Kurs hier, einen da, „weil es vor 15 Jahren schwierig war, überhaupt jemanden zu finden, der einen ausbildet“. Auch vor der Handwerkskammer hat sie eine Prüfung abgelegt, alles optional für die Branche. Seit Jahren bietet sie nun selbst Schulungen an, einen Ein-Tage-Workshop für Hobbydesignerinnen, vier Tage für jene, die damit vielleicht einmal Geld verdienen wollen. Selbst das sind aber für manche vier Tage zu viel. „Ich bekomme immer wieder mal Anrufe, ob man sich das Zertifikat denn nicht einfach nur kaufen könne …“
Arbeiten unter erbärmlichen Bedingungen
Die andere Sorte Studio also. Von denen es dann die anderen Geschichten gibt. Wo in manchen Fällen auch die Polizei einschreitet wie im November in Münster, Verdacht auf Menschenhandel. „Da arbeiten Frauen oft unter erbärmlichen Bedingungen, eingeschleust mit einem Touristenvisum aus Vietnam“, sagt Terri Malon, „und die Kundin geht rein und ist happy, wenn sie eine Gelmodellage für 25 Euro bekommt.“ Etwa 50 Prozent in dieser Branche seien keine Profis, glaubt Malon. Zertifikate gibt es tatsächlich zu kaufen, im Internet, gekoppelt ganz einfach an einen Online-Kurs. Sie selbst wundert sich immer – über die Kundinnen. Ihr Auto würden die meisten Menschen doch selbstverständlich nur zum Meisterbetrieb bringen, aber was die Hände betrifft: „Die halten da einfach ihre Griffel hin.“ Als ob man mit Nägeln nicht viel falsch machen könnte … Falsch natürlich.
Sie kennt Bilder von Händen, sagt Malon, „da stellen sich einem die Fingernägel auf“. Zu dicke Nägel, kaputte Nägel, durchgefeilte Nagelplatten, quergefräste Nägel, Nägel mit Pilz oder – auch gar nicht schön – grüne Nägel, in die sich das Feuchtbakterium Pseudomonas aeruginosa eingenistet hat. Der Preis, den man in Billigstudios eventuell zahlen muss, wo die Kundinnen in langen Reihen sitzen, es manchmal schon an der Verständigung hapert. Obwohl doch, so Malon, am Anfang jeder ordentlichen Nagelbehandlung eigentlich ein Beratungsgespräch stehen sollte … Zur Frage zum Beispiel, ob Gel oder Acryl. Oder vielleicht doch Schellack, ein Trend der letzten Jahre, besonders haltbarer Lack, lässt sich aber zu Hause auch nicht einfach mit ein bisschen Nagellackentferner beseitigen.
Was das Image betrifft, da stecke die Branche wie in einem Hamsterrad, sagt Malon. „Ich ziehe Menschen in den Beruf, die nichts können, keine Ausbildung nachweisen müssen, überprüfe sie auch nicht und dann machen sie schlechte Arbeit ...“ Und über die anderen wird nicht gesprochen. „Wenn wir Presse haben, dann schlechte.“ Wie das sich ändern ließe: „Ausbildung, Ausbildung, Ausbildung“, sagt Malon. Außerdem Auflagen, „wir haben noch nicht einmal eine einheitliche Hygieneverordnung in ganz Deutschland.“ Und Aufklärung bei den Kundinnen. „Fingernägel sind Luxus, und Luxus ist nicht für 300 Euro im Jahr zu haben.“ Wenn sie Kolleginnen fragen, sagt sie ihnen, nehmt auf jeden Fall einen Euro pro Minute. Trauen sich aber manche nicht. Malon berät im Übrigen auch vietnamesische Kollegen. „Die zahlen selbstverständlich ordentlich und arbeiten auch so.“ Nehmen auch gute Lacke …
Für 2020 heißen die Neuheiten von Chanel übrigens Daydream und Mirage aus der Kollektion Le Vernis. 2010 gab es Engpässe beim Trendlack Jade. Mit etwas Glück konnte man eines der Fläschchen für 150 Euro bei Ebay ersteigern. Verrückte Geschichte. Ab und zu sagt selbst Terri Malon: „Es sind doch nur Fingernägel!“
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