Reich mit Sprüchen: Wie man im Internet zu Geld kommt
Fühlt sich nicht nur gut an: Mit Sinnsprüchen in den „Sozialen Medien“ lässt sich längst auch Geld verdienen.
Aristoteles war Naturwissenschaftler und Philosoph. Einer der größten Denker der Geschichte. Er schrieb sehr viel. Einer seiner berühmtesten Sätze lautet:
„Sei immer du selbst. Außer du kannst ein Einhorn sein. Dann sei ein Einhorn.“
Quatsch! Großer Quatsch selbstverständlich, weil Aristoteles mit Einhörnern natürlich eher wenig am Hut hatte, sie der Vollständigkeit halber nur kurz in seiner Naturgeschichte erwähnte. Richtig aber ist: Er teilt sich nun mit ihnen wie auch Oscar Wilde, Winston Churchill und Sitting Bull eine Art Lebensraum: den großen, digitalen Zitatedschungel in den sozialen Medien, in denen tausende Sinnsprüche und Aphorismen zur Erbauung kursieren, gelikt, geteilt, verlinkt, kommentiert werden. „Motivational Quotes“ heißt der passende Begriff zum Trend, wobei es im Grunde nur die digitale Fortentwicklung des bei den Großeltern sehr geliebten Abreißkalenders mit dem Besten von Goethe, Eichendorff oder Marie von Ebner-Eschenbach ist. Früher riss man, heute klickt man. Die Inhalte sind aber dann doch auch ein wenig andere … manchmal eben auch großer Quatsch. Manchmal lässt sich damit auch Geld verdienen, ein wenig oder auch mehr. Dazu später.
„Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“
Sehr schön. Das soll nun wirklich von Aristoteles sein (wobei, auch da gibt es Zweifel, könnte vom Prinzip auch ein nordfriesischer Bootskapitän gewesen sein). Klingt auf jeden Fall bedeutend. Große Denker jedenfalls sind als Sprücheklopfer in, noch beliebter aber Einhörner, Pinguine, außerdem noch Zitate aus Songs und überhaupt alles, was irgendwie schön klingt und den Nutzern von Facebook, Instagram, Pinterest oder WhatsApp ihren Hyggemoment des Tages beschert: Schnell gelesen, kurz nachgedacht, vielleicht auch mal gelacht, schon fühlt man sich ein bisschen besser. Auch weil die Erkenntnis mit einhergeht: Schau her, du bist nicht allein, andere sehen die Welt ebenso! Nur hätte man es selber halt nie so schlau formulieren können. Zum Beispiel:
Hänge deine Regenwolke zum Trocknen in die Sonne.
Was sich schön liest, sollte auch schön aussehen. Weshalb die Spruchtafeln meist mit schönen Bildern unterlegt sind: Da tummeln sich Einhörner, schmiegen sich Paare aneinander, versinkt Sonne um Sonne glühend im Meer, brennt irgendwo ein Licht … Ach! „Wohlfühl-Fugenkitt“ hat der Schriftsteller Max Scharnigg die Spruchtafeln genannt, „passen überall dazwischen und treffen immer auf Bedarf, wenn auch nur mit der Präzision von Glückskeksen“. Auch schön formuliert!
…und immer wenn wir lachen, stirbt irgendwo ein Problem.
Ungeklärte Urheberschaft, die gibt es auch in diesem Fall. Aber zu finden ist der Spruch zum Beispiel bei www.spruechetante.de, und da gehört wirklich ein Name dazu: Kerstin Kraps, 48, Webdesignerin, leidenschaftliche Sprüchesammlerin, aber auch eine, die „gerne selber mal einen raushaut“. Lustigerweise geht es Sprüchesammlern wie allen Sammlern auch: Sie brauchen irgendwann mal einen schönen Platz für ihre Schätze. Vor 17 Jahren begann Kerstin Kraps mit ihrer Website, vor zehn Jahren dann mit Facebook, mittlerweile hat sie etwa 300.000 Follower. Und ungefähr gehortete 25.000 Sprüche zu allen Lebenslagen. Einige davon auch von ihr, wobei die ihr schon lange nicht mehr allein gehören: „Es wird ja alles geklaut.“
Vom Mond aus betrachtet spielt das Ganze gar keine so große Rolle.
Auch das ist einer von Kraps’ Lieblingssprüchen. Es gibt für sie da gewisse Kriterien beim Posten. Am wichtigsten: Das Ganze muss Sinn ergeben. Das klingt vielleicht banal, aber erwähnt werden muss an dieser Stelle vielleicht ganz kurz eine wissenschaftliche Studie aus Kanada über die Sprücheflut im Internet. Die trug den Titel „Über die Rezeption und Erkennung von pseudo-tiefgründigem Mist“ und kam zum Ergebnis: Auch beim größten Blödsinn wird noch der Gefällt-Mir-Button geklickt, wenn er nur schlau genug klingt – spricht aber leider nicht für die eigene Schlauheit.
Be more Pippi less Annika.
Noch so ein Spruch, den Kerstin Kraps als Astrid-Lindgren-Fan gerne mag, sogar auf ein T-Shirt hat drucken lassen. Weil der lustig ist, nicht zu kompliziert, aber doch den Punkt trifft. Auch wenn die arme Annika dabei nicht gut aussieht. Politisches sei für sie übrigens tabu, Sarkasmus werde meist nicht verstanden. Jeden Tag stellt Kraps einen Spruch ein, meist arbeitet sie schon voraus, damit auch mal ein Urlaub drin ist. Rechnet man die Arbeit an der Website dazu, kommen zwei bis drei Stunden täglich zusammen, sagt sie. Ein bisschen verdient sie auch mit Werbung: „Centbeträge.“ Eine Art Aufwandsentschädigung, aber Kraps will sich nicht beschweren: Sie sieht das Ganze eher als Hobby – und als ein bisschen Lebenshilfe, „für diejenigen, die sich schwer tun, die richtigen Worte zu finden.“
Gedanken am Morgen, wenn der Wecker klingelt:Wie schaffe ich es, mein restliches Leben im Bett zu liegen und gleichzeitig Millionärin zu werden.
Apropos Geld. Noch ein Lieblingsspruch, aber nicht von Kerstin Kraps, sondern den Followern von Visual Statements (VS), gegründet von Benedikt Böckenförde, Jahrgang 1981. Auch für den war das Sprüchesammeln einst mal eine Art von Freunden belächelter Spleen, vor acht Jahren begann der Freiburger mit einer Facebook-Seite, vor fünf Jahren gründete er das Unternehmen, mittlerweile beschäftigt er 40 Mitarbeiter. Und, um noch ein paar beeindruckende Zahlen zu nennen: Monatlich erreicht VS mit seinem „snackable content“, also leicht konsumierbaren Inhalt, über 40 Millionen in den sozialen Netzwerken und generiert über 34 Millionen Beitragsinteraktionen. Sprich, es wird geteilt, gelikt, kommentiert. Pro Tag sind es 100 bis 150 Beiträge: vor allem Sprüche, auch Filmchen. Die Interaktionen werden ausgewertet – das macht dann auch zielgenaue Werbung möglich – und die beliebtesten Sprüche analog weiterverwertet: Auf Tassen, Postkarten, T-Shirts. Einhörner, sagt Böckenförde, seien im Übrigen eher wieder out – abgelöst von den Faultieren …
Great things never came from comfort zones.
Frage nun an Böckenförde: Wie erklärt er sich den Erfolg, den ganzen Hype? Die Millennials würden offener mit ihren Gefühlen umgehen als die Generationen vor ihnen, glaubt Böckenförde. Was sein Unternehmen ihnen liefert: „Wir erzählen universelle Geschichten, die zu persönlichen Erfahrungen führen.“ Beispiel Komfortzone, da habe jeder eine andere, darüber erzählt dann auch jeder etwas anderes … und fühlt sich doch als Teil der großen, großen Netzgemeinde. Es bleibt das gute Gefühl:
Und am Ende ergibt alles einen Gin!
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