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Wanderserie
02.08.2019

Ab in den Süden! Wir suchen das Zentrum der Region

Viele kleine Straßen führen nach Süden. Ohne Mittelstreifen – aber mit Blühstreifen!
14 Bilder
Viele kleine Straßen führen nach Süden. Ohne Mittelstreifen – aber mit Blühstreifen!
Foto: Doris Wegner

In vier Etappen wandern wir in diesem Sommer durch das Journal-Land. Folge 1: Von Nord nach Süd durchs Ries. Viel Weite und erstaunliche Begegnungen.

Roter Faden? Entlang dieser Wanderung entspinnen sich davon mehrere. In allen Farben. Der nie abreißende Blühstreifen neben den kleinen Straßen ist einer, das Dunkelgrün der allgegenwärtigen Maisfelder ein anderer. Oder das immer gleiche Schild an den Gartenzäunen der Ortschaften: „Altgold ist Bargeld“. Man könnte auch die stillen Dörfer aneinanderreihen, in denen der Wanderer den Wind und die Vögel hört und sonst nicht viel. Heuberg, Enkingen, Grosselfingen, Ziswingen, Untermagerbein … Oder die Namen der Gasthöfe, die als Gebäude noch dastehen, aber längst geschlossen sind. Gasthof Rehklau. Brauereigasthof Bergdolt. Martinsklause …

Dies ist die Geschichte einer Nord-Süd-Expedition, einer Wanderung durch das Ries bis nach Bissingen, entlang einer mit dem Kugelschreiber auf der Landkarte gezogenen Linie, deren größeren Teil bis ins Unterallgäu wir unmöglich schaffen konnten in zwei Tagen. Wir laufen auf gut Glück. Haben nichts gebucht, nichts gegoogelt vorher, sind offen für das, was kommt. Vor allem aber ist dies eine Geschichte über Zufallsbegegnungen am Wegesrand und eine Ermutigung, sich seinen Mitmenschen anzuvertrauen. Herrn Gruber und Alice zum Beispiel, oder Franz Recht, dem Schreitmüller Gerhard. Sie treten noch segensreich in Erscheinung im Verlauf dieser Wandergeschichte, in der es viele einsame Kilometer ebenso gibt wie Gespräche mit geselligen Leuten.

Der Reihe nach. Wir starten in Ehingen am Ries. Das ist unser Nordpol: Von hier an, vom Kirchberg droben, geht es zwei Tage südwärts, durch den Rieskrater, durch schöne Landschaft, deren Weite – in alten Wanderführern hätte man gelesen: das Herz öffnet. Zwei Wörter pflücken wir gleich auf dem Weg durchs Dorf. „Gemeindekanzlei“ das eine, „Güllefass-Verleih“ das andere. Was heißt eigentlich Dorf heute, Land? Das Plakat „Linkes Sommerfest“, die Werbung für eine „Beach Party“, die Einladung zur „1. Tattoo- und Bike-Messe“? Auch.

Genauso wie die drei Riesentöpfe, die fürs Fest der Kirchengemeinde an diesem Sonntag auf Herdplatten schon bereitstehen. Die Kirche, Sankt Georg, vor der viele Autos parken: Sie gehört allen. „Die Evangelischen sind grad raus, jetzt kommen die Katholiken. Das ist so bei uns in Ehingen“, erzählt uns eine Frau, die gerade ihren Hof kehrt. „Geht’s heut wandern?“ Schon sind wir im Gespräch. Ab halb fünf an diesem Morgen habe es gehagelt. Nur hier in Ehingen am Ries. Überall liegt zerfetztes Laub herum. Nun soll alles ordentlich sein zum Gemeindefest. Heute kommen alle zusammen. Der Ort habe sich schon verändert. Früher habe es zwei Lebensmittelgeschäfte und ein Elektrogeschäft gegeben. Jetzt kaufen alle in Oettingen ein. Die beiden Gaststätten, der Linsenmeyer und der Fuchs oben am Berg, öffnen nur noch für Hochzeiten und Geburtstage. Ein schnelles Bier? Das ist nicht mehr möglich in Ehingen am Ries.

Wir wandern Richtung Heuberg und rufen uns Superlative zu. „Wahnsinnig schön, die Landschaft!“ – „Der Wolkenhimmel – malerisch“. – „Sieh mal, was hier alles blüht!“ – „Und gar keine Bienen dran – undankbares Volk …“ Der Blick geht weit übers sanft gewellte Land. In der Ferne, linker Hand, blinken die Silberkessel der Oettinger Brauerei. Einzelne Bäume ragen aus der Landschaft – und Kirchtürme. Kein Kilo vom Rucksackgewicht drückt die Euphorie. Eine Verkehrszählung ergibt: 17 Autos, drei Radfahrer, zwei Mopedfahrer, ein Traktor und zwei Fußgänger – das sind wir. Die vorbildlichen Blühstreifen werden alle paar Meter von Schrifttafeln gewürdigt, die sehr neu aussehen und sehr viel Ministeriumsselbstlob verkünden. „Mehr Mut zu mehr Unordnung“ lesen wir. Was heißt eigentlich Dorf heute, Land? Jetzt auch das: Mut zu mehr Unordnung.

In Heuberg stehen Leute auf der Straße – mit Fotoapparat in der Hand. Heuberger? Nein. Aber so etwas wie Ur-Heuberger dann doch. Hartmut Gruber lebt schon lange in Gröbenzell, aber er nutzt seinen Ruhestand, die Familiengeschichte zu erforschen. Jetzt steht er gerade vor dem ehemaligen Wohnhaus seines Ur-Vorfahren. Ein typisches Ries-Haus, schmuck und stilsicher saniert, die Blumen davor eine Augenweide. Längst gehört es einer anderen Familie. „Die haben das ganz hübsch gemacht“, sagt der 77-Jährige.

In diesem Haus also hat sein erster ihm bekannter Vorfahr gelebt. Ab 1603. Das ist nachgewiesen. Natürlich ein Gruber. Er war Söldner im Dreißigjährigen Krieg. Das weiß man. 1766 zogen die Grubers dann weg nach Balgheim und ihre Geschichte in Heuberg hört auf. All dies Wissen zusammenzutragen, das kostete ja wohl den halben Ruhestand? Hartmut Gruber lächelt und erzählt eine kuriose Geschichte, die jeden Ahnenforscher glücklich machen würde. Als er beim Bürgermeister von Balgheim wegen Informationen über seine Familie vorsprach, habe dieser seinen Computer hochgefahren und ihm alles über die Ur-Ur-Ur-Grubers weitergegeben. Ein Archivar von Oettingen hatte ganze Arbeit geleistet. Hartmut Gruber zieht es immer wieder zurück nach Heuberg. Wenn er auf Verwandtenbesuch ins Ries fährt, macht er Halt, zeigt anderen Verwandten den Ort und auch das Haus, die Keimzelle der Familie. So auch an diesem Sonntag. Längst haben sich viele Vorhänge bewegt. So viele Menschen auf der Straße, was ist da los in Heuberg?

Der Blick fällt auf ein schönes altes Schulgebäude, auf dem in alter Schrift noch „Schule“ steht. Aber drin ist keine Schule mehr, so wie nebenan kein Gasthaus mehr drin ist, obwohl ein schmiedeeiserner Ausleger noch Schatten wirft. Auf einem Erinnerungsstein lesen wir: „Ein Dorf im Wandel der Zeit. Strukturen erhalten. Dorferneuerung Heuberg, August 2004.“ Das mit dem Wandel der Zeit hat geklappt, die Sache mit dem Erhalt der Strukturen nicht so ganz. Am Ortsausgang ein Haus mit dem gemalten Schriftzug: „Karl Medrichowitz, Kolonialwaren.“ War einmal. Drinnen wird gewerkelt. Ob ein Lebensmittelladen …? Wohl kaum.

Auf dem Weg nach Dürrenzimmern dann eine Überraschung: Wir gehen nicht auf irgendeiner Landstraße ohne Mittelstreifen, sondern wir wandeln auf der Römerstraße. Stille. Verkehrszählung eingestellt. Hier also verlief zu Zeiten des Kaisers Trajan (53 – 117 n. Chr.) die Grenzstraße des sogenannten Alb-limes. Die Nordgrenze des Römischen Reiches unter den Füßen, sehen wir einen Hinweis auf eine „Gedenkstätte Flugplatz Heuberg“. Wir folgen ihm nicht, aber notieren: Später mal nachsehen. (Ein ehemaliger Militärflughafen aus der Nazizeit, erbaut 1934 bis 1937, hier wurden sowjetische Kriegsgefangene interniert, 1946 diente das Gelände als Lager für Heimatvertriebene.)

Vor Dürrenzimmern stehen auf einem toten, zugewachsenen Bahngleis einige uralte Waggons in Hellblau, die wohl seit Jahren nicht bewegt worden sind. Im Bahnhof ist heute eine Steuerkanzlei. Busse, Züge? Hier fährt nichts. Unsere Idee, auf dem Weg Richtung Mindelheim hier und da ein paar Zwischenkilometer in Bus und Bahn einzuschieben, war gut – aber ziemlich unrealistisch, wie sich noch zeigen wird. Auf gut Glück heißt in diesem Fall: Pech gehabt. Jedenfalls: Große Fußabdrücke, gemalt auf den Gehsteig, ziehen sich durch Dürrenzimmern. Sie enden vor einem Transparent: „Hier entsteht das Podologische Fußzentrum Ries.“ Noch haben wir keinen Bedarf, es läuft rund, das Blasenpflaster ruht im Rucksack.

Der Mais steht fast zwei Meter hoch. Der Weg führt aus Dürrenzimmern heraus nach Pfäfflingen, wo es kurz vorbei ist mit dieser idyllischen Ries-Ruhe. Bundesstraße! Die B466. In dem Augenblick, wo wir den dahinrauschenden Verkehrsstrom realisieren, fliegt ein großer Vogel über unsere Köpfe hinweg. Ein Storch! Ausgerechnet an der verkehrsreichsten Stelle der Wanderung bis hierher, das schönste Naturerlebnis. Wir queren die B466 und tauchen im Ort wieder ein in Sonntagsruhe. Jemand grillt und grüßt durch Rauchschwaden zurück, ansonsten rührt sich nichts. Der Gasthof Götz hat zu, im „Rieser Tanz-Zentrum“ im Hof dahinter steppt nicht einmal ein Bärchen.

Was heißt eigentlich Dorf heute, Land? Ja, es gibt den einen oder anderen Schottergarten in Pfäfflingen, aber auch einen großen Bio-Hof. An eine Hauswand hat jemand „Rädelsführer“ gesprüht – und ein anderer hat es wegzuwischen versucht. Wanderer laufen einfach nur durch – manchmal ist es vielleicht ganz gut, dass man nicht alles weiß aus dem Dorfleben. Ein solches gibt es sicher, aber nicht jetzt, nicht um 12 Uhr mittags, sonntags. Auf einem Plakat wird gleichwohl versprochen: „Der Krater bebt in Megesheim.“ Der Ries-Krater. Unser Versuch, im gewaltig großen Buswartehäuschen zu pausieren, scheitert an Mückenschwärmen. Na dann: weiter, immer weiter.

Auf der DON7 geht es nach Deiningen. Autos kommen fast keine, sodass wir in aller Ruhe staunen können über die weiße breite Farbspur, die sich kilometerweit in Schlaufen und Kurven über die Landstraße schlängelt. Seltsam. Ein Scherz? Rache eines erwischten Alkoholfahrers, den sein Schlangenlinienkurs verraten hat? Straßenmarkiertrupp auf Betriebsausflug?

Rechter Hand sehen wir das Gut Klosterzimmern, das einmal viele Schlagzeilen gemacht hat, weil die Gemeinschaft der „Zwölf Stämme“ sich dort eingerichtet hatte. Man erinnert sich an Prügelvorwürfe, Prozesse um die Schulpflicht und anderes. Die sektenähnliche Gruppe ist längst fortgezogen, ein Münchner soll das 130 Hektar große Gelände erworben haben, erfahren wir ein paar Kilometer Blühstreifen später.

Deiningen also. Größer als Heuberg, größer als Pfäfflingen. Biergartenhoffnung strafft die Waden. Kein Schild, kein Mensch. Bei der Kirche aber raschelt es im Gemeindebau. Der Kindergottesdienst zum Thema Abraham ist gerade zu Ende. Sachen werden in Kisten verpackt. „Entschuldigung, wo können wir denn hier etwas zu essen bekommen?“ – „Oh“, sagt eine der Frauen. „Hier gibt es nicht mehr viel.“ Mit einer Empfehlung für einen Biergarten und für „einen Italiener“ ziehen wir weiter. Nicht ohne nachgefragt zu haben, wo man in der Gegend vielleicht übernachten könnte. „Oh“, sagt die Frau. „Aber wir haben ein Zelt für euch!“ Wie ermutigend! Doch es ist ja erst kurz nach eins. Im Moment gibt es nur eine Priorität: Wir brauchen ein Weißbier! Der Marsch über die DON7 in der Mittagshitze eine einzige Durststrecke. Priorität 2: keine.

Die Ortsdurchfahrt ist ein riesiger Sandkasten. Gesperrt, Großbaustelle. Beim Rathaus, auf dessen Dach ein Storchennest thront, ist der Biergarten. Er öffnet erst am späten Nachmittag. Da sind wir entweder schon verdurstet oder liegen heulend im Blühstreifen. Dann aber, unser letzter Trumpf, die letzte Chance, der größte Deiningen-Joker – das Ristorante Donau-Ries. Offen! Leben! Menschen! Terrasse! Und Alice, unser Engel vom Ries. In Windeseile kommen Salat, Nudeln und Weißbier an den Tisch und wir mit Alice ins Gespräch. „Alice, wie die im Wunderland“, stellt sie sich vor. Nach dem langen Marsch nur an geschlossenen Gaststätten vorbei kommt uns das Ristorante Donau-Ries tatsächlich wie ein Wunderland vor.

Eigentlich heiße sie ja Azize, denn sie komme aus der Türkei. Aber ihr Vater habe ihr geraten, sich Alice zu nennen, das sei einfacher und passe auch besser nach Deutschland. In Deiningen fühlt sie sich wohl. „Es ist ruhig und man bekommt doch alles!“ Es gibt einen Metzger, einen Bäcker, eine Sparkasse, eine Apotheke und einen Tante-Emma-Laden, aber den vielleicht nicht mehr lange. Seit zehn Jahren führt Alice die Pizzeria nun schon. Bis nach Mönchsdeggingen und Wemding fährt der Pizzaservice. Die junge Frau, die so herzlich lächeln kann, zählt zu den zupackenden Menschen, die nicht lang zögern, sondern gleich handeln. „Um Gottes willen, das würde ich mich ja nie trauen“, sagt sie, als wir ihr erzählen, dass wir einfach so losgewandert sind, und verschwindet über die kleine Treppe in die Gaststätte. Zurück kommt sie mit vier Übernachtungsadressen und dem Telefon, wir sollen doch gleich mal anrufen. Doch noch wollen wir uns weitertreiben lassen, die Adressen stecken wir liebend gerne ein. Und noch einen Tipp gibt sie uns mit auf den Weg. „Nehmt den Weg an der Eger, der ist schön, da gehe ich immer mit dem Hund.“

An diesem Flüsschen entlang wagen wir uns weiter. Zwei Botschaften am Wegesrand: Eine amtliche: „Vorsicht! Eichenprozessionsspinner. Allergiegefahr!“ Eine poetische, selbst gemalte: „Loslassen. Setzte dich an einen Bach, sei einfach da. Das Lied des Wassers wird deine Sorgen aufnehmen und sie zum Meer tragen.“ Dann kommen wenigstens die Sorgen weiter als wir, die wir mutmaßlich an dieser ersten Tagesetappe nicht aus dem Rieskrater herauskrabbeln werden. Auf dem Block eine Strichliste „Tiere“. An der Eger kann notiert werden: drei Graureiher, ein Hase. Weniger schön sind die Brennnesseln, durch die wir durchwaten wie durch Flammen. Denn leider endet der Weg an der Eger vor einer grünen Wand. Oh, Alice, wo hast du uns da hingeschickt? Zurückgehen würde zu viel Zeit kosten. Umgehen geht – aber eben durch: Brennnesseln, Maisfeld, Schilf, Schlammgraben, Kletteninsektengemisch.

Ein Tief? Ja. Ein Tief. Aber wir gehen weiter. Langsam kommt die Frage auf: Wo können wir eigentlich übernachten? „Es gibt hier doch nichts, das wird schwer ..., wir sollten uns bald kümmern.“ – „Ach was, wir laufen zur Not bis Mönchsdeggingen, es ist doch ewig hell abends, irgendwo unterwegs finden wir sicher was.“ Wandermodus auf Autopilot. Der führt uns nach Grosselfingen. Altglascontainer – aber kein Gasthaus. Dafür kreuzt ein mittelalter Mann auf dem Fahrrad. Wir kommen ins Gespräch. „Könnt mich duzen, ich bin Zimmermann, vom Bau, da ist nichts mit Sie.“ Wohin des Weges? Von wo kommts ihr? „Was?! Ehingen am Ries? Oh, oh, da kommt die Frau her, die mich vor zwei Wochen verlassen hat…“, sagt der Radfahrer mit der Goldrandsonnenbrille. Nun, das tut uns leid… „Mittagspause in Deiningen? Was? Da hat sie gewohnt, die Frau!“ Aber er nimmt uns das nicht übel, es ist halt nur noch so frisch, die Trennung. Wo er denn hinfahre mit seinem E-Bike? „Wemding. Man muss was tun.“ Na dann: Viel Glück dir. Der Mann vom Bau ruft vom Rad: „Bergan geb ich Vollgas!“

Der Glückliche. Wir schleichen über die Ebene nach Enkingen, wieder an der Eger entlang. Bienenvölker summen um eine Siedlung aus Holzkisten, von Bauernhöfen schauen Pferde herüber. Kein Mensch, nirgends. Jetzt die Füße in die Eger, das wäre was. Aber du kommst nicht ran ans Wasser, nicht ohne Kapriolen. Und für Kapriolen sind wir zu müde. Wir sind im Schlurfmodus. Es kommt jetzt vor, dass wir längere Phasen schweigen und schicksalergeben vor uns hinschwitzen. Wieder endet der Weg an der Eger jäh im Nichts. Ein Pfad – dann querfeldein. Auf der Wiese weiße Wolken von Scharfgabe und Maiswände. In Sichtweite: große Hallen. Möttingen. Und eine Straße, auf der viel los ist. Blick auf die Karte: aha, die Romantische Straße.

Die B25 geht durch Möttingen. Zwei Tankstellen! Freizeitkarawane. Cabrios, Wohnmobile, Lastwagen. Zwischen Bahnlinie (links) und einem gigantisch großen Entsorgungsbetrieb, dessen Gelände voller Container ist (rechts), kommen wir aus dem Abseits zurück in den Transit. 14000 Autos durchqueren Möttingen täglich auf der Romantischen Straße. Wir fremdeln und trinken mit klebrigen Händen Bier im Gasthof Zur Hall. Der wird unser Quartier – wir bekommen mit Dusel noch zwei Monteurszimmer. Alle Anfragen in Mönchsdeggingen sind auf Anrufbeantwortern versickert. Duschen. Rucksack abwerfen. Wanderer, die nicht mehr wandern müssen, sind glückliche Menschen. Danach könnte man durch die Luft bis Mindelheim tänzeln. Immer entlang der Linie, die wir für unser Projekt in die Landkarte gezeichnet haben natürlich. Es bleibt aber bei einem Dämmerspaziergang durch Möttingen, wo ein sehr gelungenes neues Bürgerzentrum auffällt. Qualitätsbau! Gestaltet von einem Münchner Architekturbüro. Es sieht aus wie die typischen Häuser hier. Aber größer und ganz modern. Klare Linien, helle Wände, dunkelgraue Fenster, Türen und Jalousien. Und doch fügt es sich harmonisch in das Ensemble der alten Häuser. Durch die Fenster flimmert blaues Licht. Wir sind allein. Doch da kommt Frau Bilbeber aus dem Friedhof. Sie hat noch gegossen nach dem heißen Tag, und ja, das Schneckenkorn musste auch sein, sagt sie lächelnd. Dringend notwendig sei das neue Bürgerhaus gewesen, das gebaut wurde, damit „die Leute im Ort wieder heiraten können“. Der Sohn der Bürgermeisters habe erst kürzlich hier gefeiert. Einzige Möglichkeit im Ort sei sonst der alte Saal des Gasthof Biber gewesen, viele seien aber auch bis nach Wemding gegangen. Aber egal, ob der alte Biber und das neue Bürgerzentrum, das Catering sei Sache der Hochzeitsgesellschaft. Im Gebäude haben auch der Posaunenchor und die Schützen ihre Räume – und natürlich der Bürgermeister und die Gemeindeverwaltung. Doch ja, sie sei froh über das Bürgerhaus. „Ein Ort braucht doch ein Zentrum!“ Nur eines sei ihr ein Rätsel. Warum nur wurde die E-Bike-Station an dieser Stelle installiert? „Hier findet sie doch keiner.“ Das sagt sie und holt ihr ganz normales Fahrrad aus der neuen Station. Bevor sie davonradelt, schenkt uns Frau Bilbeber noch einen goldwerten Tipp: „In Mönchsdeggingen geht’s ihr unbedingt in die Wies von Ries“! Die Wies vom Ries?

Tag zwei. Es geht auf nach Mönchsdeggingen, weg von der Romantischen Straße, auf der seit fünf Uhr früh die Lastwagen vibrieren. Im Block steht: Schöner Himmel. Mais, Mais, Mais. Und wie aus einer anderen Welt taucht am Ortseingang diese Oldtimer-Oase mit Retro-Tankstelle und US-Schlitten in den Werkstätten auf. Mönchsdeggingen als Arche Noah uralter Autos. Daneben parkt ein Käsbohrer-Bus, durch den sich der Rost gefressen hat. Oben auf einer Anhöhe: Die Wies vom Ries. Aber erst einmal kaufen wir unten im Supermarkt ein. Schließlich hat uns der Wirt vom „Hall“ eingeschärft: Danach kommt nichts mehr, nix!

Wir brauchen Brezen, Bananen, Käse. Wasser haben wir genug. Der Supermarkt ist ein Alleskönner. Hier gibt es alles – vom Putzschwamm bis zur Paprika. Wir stopfen die Einkäufe an der Kasse in den Rucksack und kommen ins Gespräch. Kein hektisches Gedränge wie sonst an Supermarktkassen. Kaufen die Mönchsdegginger hier auch ein? Es sei halt wie überall, sagt die Kassen-Dame. Manche halten dem Markt die Treue, viele füllen nur ihre Lücken zu Hause auf. „Wenn die Chefin in den Ruhestand geht, ist hier Schluss.“ Ganz sicher.

Wir gehen jedenfalls noch mit dem guten Gefühl, auch für kilometerweite Einsamkeit ausgerüstet zu sein, wandern zur Wies vom Ries hinauf und fallen oben fast vom Glauben ab. So schön, so groß, so leer. Die Martinsklause, das Gasthaus am Eingang ist zu verpachten, die riesigen Klostergebäude vereinsamt, der Garten leicht verwildert, doch der heilige Michael sticht unverdrossen auf einer Säule, den Teufel nieder. Die Kirche ist zu, da sind wir uns sicher. Doch die wuchtige Holztür mit dem filigranen Fisch als Türgriff lässt sich aufziehen. Wow! Was für ein Juwel. Barocke Opulenz! Wir können uns gar nicht sattsehen, an den Fresken, den Putten, den Votivtafeln, lesen in einem Buch, in das ein Bub geschrieben hat: „Ich mag dich, lieber Gott“. Zehn Beichtstühle gibt es in Sankt Martin. Zehn!

Auf dem Friedhof erhoffen wir uns einen Blick über das Ries und treffen auf Franz Recht. „Ah, jetzt bekomme ich endlich zwei Helfer“, ruft er uns zu. Es ist heiß, Franz Recht hat schon eine Schubkarre voll Unkraut aus dem Kiesweg gerupft. Der Kirchenpfleger wischt sich den Schweiß von der Stirn und erzählt uns die Geschichte des Klosters. Pater Benno, der letzte Mönch der Mariahiller, wurde 2010 abgerufen. 30 Jahre hatte er hier gelebt und das Gemeindeleben aufrechterhalten. Seitdem steht das Kloster leer. Vor kurzem hat es ein Privatmann aus Bobingen erworben, der darauf spekuliert, dass das geplante Geoparkzentrum in Mönchsdeggingen angesiedelt wird.

Die Kirche unterhalte lediglich noch den Friedhof und die ehemalige Wallfahrtskirche. „Wunderschön“ sei das Kloster innen. Viele Stuckdecken. Da er eh gerade die Biotonne holen müsse, wolle er uns noch eine Besonderheit der Wies vom Ries zeigen. Wir machen ratlose Gesichter, als Franz Recht auf eine Holzkiste im Chorraum der Kirche zeigt. Und was ist das jetzt? „Eine liegende Orgel“, nur zwei weitere gebe es. In Füssen und in Ulm. Die Mönche hätten die Orgel für ihre Andachten genutzt. Nun kommen Experten von überall her, um sie zu spielen. Ein Professor aus Leipzig wolle die liegende Orgel von Mönchsdeggingen mit seinen Studenten sogar nachbauen. Manchmal gebe es auch Konzerte. Einmalig sei das dann.

Auch Franz Recht lässt uns nicht ohne Tipp weiterziehen. „Geht über die Aussichtsplattform, da könnt ihr das ganze Ries sehen.“ Der Weg dorthin steigt sanft an, kein Asphalt unter den Füßen. Auf 492 Meter blicken wir über und in den Rieskrater: Das sind wir alles gelaufen! Auftrieb! So sieht Strecke aus! Es rundet sich: Auf der Panoramatafel ganz hinten ist Ehingen am Ries markiert! Über 30 km entfernt. Wir haben unsere Nord-Süd-Achse gehalten. Durch ein Wäldchen voller bemalter Bäume führt der Weg auf die Staatsstraße 2221, an der der jüdische Friedhof liegt. Den wollten wir unbedingt sehen, bevor wir Mönchsdeggingen verlassen. Denn im Ort sind wir auf ein schön restauriertes jüdisches Bad von 1841 gestoßen, daran eine Inschrift. Danach hat ein gewisser Johann Friedrich Wiedemann den Friedhof am 27. Juni 1939 der israelitischen Kultusgemeinde Nördlingen abgekauft und so vor der geplanten Zerstörung durch die Nazis bewahrt.

Nächstes Ziel: Untermagerbein. So skurril schön ist dieser Ortsname, dass wir ihn, vorbei an prächtigen Distelstauden, wie eine Litanei immer wieder ausrufen. Untermagerbein liegt tief unten in einem Kessel. Wir drehen eine Runde durch die Straßen, die still sind und leer. Montag! Das Gasthaus zur Sonne, berühmt für seine Dienstagsfrühschoppen, hat Ruhetag. Aufgeben? Wir läuten hinterm Haus – und tatsächlich, die Hintertür öffnet sich. Also, der Recht Franz hat gesagt, wir bekommen bei Ihnen ein Bier… Gerhard Schreitmüller lächelt. Na dann. Wir sollen uns auf die Terrasse setzen. Dann kommt er mit zwei kühlen Gläsern heraus. Er ist gerade beim Schlachten und Wurstmachen. Aber ein Plausch geht schon. Schreitmüller, der als Wirt und Caterer viele Feste in der Umgebung bedient, erzählt vom Leben in Untermagerbein. Was heißt eigentlich Dorf heute, Land? Der äußere Eindruck täuscht. Tote Hose? Von wegen! Sie feiern am Wochenende das Ende der ewigen Baustellen, denn im Dorf sind Strom, Kanal und Internet verlegt worden. Aber die Baufortschritte, die haben sie auch immer schön gefeiert. Und wenn einer abends auf WhatsApp schreibt: Eine Halbe in zehn Minuten – dann sind in zehn Minuten zehn Leute an der Linde. Gerhard Schreitmüller ist seit 40 Jahren bei der Feuerwehr Untermagerbein, war auch lange Kommandant. Er mag seinen Ort, lobt den Zusammenhalt. Er kennt noch die Zeit, als der Tourismus hier blühte! Als Eltern aus NRW ihre Kinder für drei Wochen abgaben, überall Zimmer vermietet wurden und man sogar als fescher Untermagerbeiner Jüngling im eigenen Dorf „auswärts“ übernachtete …

Mit zwei Paar geräucherten Bratwürsten im Rucksack laufen wir weiter Richtung Tuifstädt und um den Michelsberg. Karl-May-Landschaft – bloß war es bei Winnetou nicht so heiß. In Fronhofen liegen wir in der Bushaltestelle, groggy. Draußen brüllen Kühe, und wir starren auf den Busfahrplan. In zweieinhalb Stunden käme einer. Man könnte auch beim Kartoffelmann mitfahren – doch der fährt in die falsche Richtung.

Also: Aufraffen, letzte Etappe, leichte Abweichung nach Osten – es geht nach Bissingen, Landkreis Dillingen. Das Abenteuer Ries ist zu Ende.

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