Warum das kleine Wort "triftig" zurzeit groß raus kommt
In Corona-Zeiten wirbelt auch die Sprache durcheinander. Das sieht man an dem Wort "triftig". Eine Betrachtung.
Im Ausnahmezustand fremdelt der Bürger gelegentlich mit der angelernten Vernunft und wird sonderlich. Die einen verschanzen sich hinter einem Schutzwall aus Klopapierrollen, andere verabschieden sich aus der Welt in den Netflix-Kosmos. Und: Corona-Zeiten wirbeln auch die Sprache durcheinander. Nach oben gespült werden Wörter, die längst ins Trübe abgetaucht waren. Triftig ist so ein Wort. Es gibt keine Verwandtschaft zur Kontinentaldrift oder dem Abdriften. Laut malerisch führt uns triftig auch auf eine falsche Fährte– es hat mit siffig, giftig, miefig oder triefend nichts zu tun.Jetzt, da Grenzen geschlossen werden und die Reise- und Bewegungsfreiheit immer mehr eingeschränkt wird, ist „triftig“ einmatt schillerndes Zauberwort, so wertvoll wie ein Passierschein. Nur wer „triftige Gründe“ vorweisen könne, dürfe noch reisen, erklärte Innenminister Seehofer. Was „triftig“ ist und was nur läppisch und also nicht triftig genug, das entscheidet nicht der Reisende selbst. Deshalb ist manchem der im Wort„triftig“ enthaltene Spielraum nicht ganz geheuer. Triftig ist so weich wie die Uhren auf einem Gemälde von Salvador Dalí. Etymologisch ist das Wort laut Fachliteratur „offenbar von trift als Verbalabstraktum zu treffen, also treffend abgeleitet“. Man muss erst lernen, sich selbstbewusst auszuweisen im Unterwegssein. „Ich bin aus triftigem Grunde unterwegs“ oder„Lassen Sie mich durch, ich bin triftig“. Triftig ist Warenverkehr,nicht aber Verwandtenbesuch.Nicht die Sehnsucht ist triftig,wohl aber der Arbeitsplatz. Triftig? „Mit Worten lässt sich trefflich streiten“ (Goethe, Faust 1).
In der Kolumne "Auf ein Wort" betrachtet das Feuilleton unserer Zeitung jede Woche einen Begriff ganz besonders. In Corona-Zeiten ist daraus ein kleines Corona-Vokabular entstanden. Lese Sie auch "Überdesinfizieren" und "vorübergehend".
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