Was von der Mode der 68er geblieben ist
Cordhosen, Pullis, lange Haare: Die 68er drückten ihre Anti-Haltung optisch aus. Die politische Bedeutung ist heute fast vergessen.
Feierabend im Jahr 1968. Ein Mann steigt aus seinem Opel Kadett B aus, das Haar kurz geschoren, die Krawatte am Polyesterhemd ist verrückt. Drinnen im Wohnzimmer wartet seine Frau im Kostüm und mit Turmfrisur. Es könnte so ein schöner Abend sein, wenn da nicht die Kinder mit den langen Haaren und ihren Schlaghosen erklärten, nicht mehr mitzumachen in der kapitalistisch organisierten Welt. Die Revolutionäre mit ihrer Anti-Mode.
Der Protest wird der Gesellschaft nicht nur verbal mitgeteilt, sondern auch mit Kleidern und Frisuren. Die Arbeiterkleidung findet ihren Weg in die Kleiderschränke der Studenten. Ordentlich aussehen? Bloß nicht! Der Kampf gegen das Establishment beginnt in den 68ern im Wohnzimmer: „Lange Haare bei Männern waren oft ein Stoff für Diskussionen zu Hause“, sagt Elisabeth Hackspiel-Mikosch, Professorin für Modetheorie und Modegeschichte an der AMD Akademie Mode & Geschichte in Düsseldorf. Die junge Generation Ende der 60er Jahre versteht ihre Kleidung als Provokation gegenüber prüden Moralvorstellungen. Kleidung und Frisuren werden zum politischen Statement. Ein kurzer Überblick über den Mode-Kanon der 1968er:
Minirock: In den 1960er Jahren ist von der Gleichberechtigung von Frauen und Männern noch nicht viel zu spüren. Aber: Das Selbstbewusstsein der jungen Frauen steigt und die Anti-Baby-Pille schafft Räume für die sexuelle Freizügigkeit. Modetechnisch zeigt sich das an den Beinen der jungen Frauen, von denen immer weniger bedeckt wird. Der Rocksaum rutscht nach oben. Mit Miniröcken zeigen Frauen, dass sie sich mit Spießig und Brav nichts mehr zu tun haben. In Perfektion wird der „Mini“ durch das britische Model Twiggy, das aus der Arbeiterklasse stammt, verkörpert: Ihr kindlicher, unschuldiger Charme wird zum Vorbild für viele. Und die Minis werden noch kürzer, bis sie fast gar nichts mehr verhüllen. Die jungen Frauen zeigen sich so, wie sie sind.
BH: Diese Entwicklung der Freizügigkeit macht oberhalb des Bauchnabels keinen Halt. Der BH gilt der 68er Bewegung als Symbol männlicher Unterdrückung und biederer Körperkultur. Und die 1968erinnen treiben den Älteren die Schamesröte ins Gesicht, wenn sie den BH einfach weglassen und transparante Blusen tragen. Viele deutsche Frauen empfinden den Verzicht auf den Büstenhalter als Befreiung. Und sie lassen sich dabei auch von einer Bewegung aus den USA beeinflussen: Dort verbrennen Aktivistinnen ihre Büstenhalter öffentlichkeitswirksam.
Arbeiterkleidung: Die 68er-Bewegung ist in erster Linie an den Universitäten zu Hause. Aber mit den Talaren und dem Muff von 1000 Jahren wollen sie brechen. Statt einer Anbiederung durch Kleidung an die Professoren provozieren die Studenten, indem sie in den Seminaren wie Arbeiter sitzen: in altgedienten Cord- und Jeanshosen und mit Lederjacken. Diese Kleidungsstücke, bisher von der Arbeiterklasse getragen, werden so auch an den Universitäten schick. Sie lösen Anzug, Krawatte und Hemd ab. Der auch als „Gammler“ verpönte Look transportiert eine politische Aussage: „Diese Kleidung ist eine Art von Anti-Mode“, sagt Elisabeth Hackspiel-Mikosch. Der Bruch mit der älteren Generation wird besonders deutlich, denn die Jugend zeigt, dass sie sich nicht mehr wie ihre Eltern kleiden möchte. Diese Mode wird von Frauen und Männern gleichermaßen getragen, beide Geschlechter nähern sich dadurch optisch an.
Hippiemode: Ende der 60er Jahre kommen Inspirationen für mutige Kombinationen aus der Popkultur. Ein wichtiges Ereignis ist die Reise der Beatles nach Indien im Februar 1968 oder das Musical „Hair“. Die Jugendlichen pilgern in Scharen nach Indien oder Südamerika, lassen sich von der Hippie-Mode inspirieren: „Frauen färbten etwa Herrenunterhemden ein – heute als T-Shirt bekannt – und bestickten ihre Jeans selbst“, sagt die Modehistorikerin Elisabeth Hackspiel-Mikosch. Frauen und Männer bringen von ihren Reisen nach Afghanistan oder Indien abgerockte Felljacken oder eigenwilligen Schmuck und Patchworktaschen mit. Damit haben die Träger auch ihr Markenbewusstsein abgelegt: Wilde Eigenkreationen stehen über Designermode, die längst als spießig empfunden wird.
Lange Haare: Es ist der wohl revolutionärste optische Protest Ende der 1960er Jahre: Junge Männer lassen ihr Haupthaar wachsen. Der Stunk deswegen beschränkt sich nicht nur auf deutsche Wohnzimmer: Sogar deutsche Gerichte befassen sich damit, ob das Tragen von langem Haar der Norm entspricht. Langhaarige sehen sich in der Öffentlichkeit übelsten Beschimpfungen ausgesetzt. Langhaarträger aus den 68ern erinnern sich daran, dass sie in Restaurants nichts zu essen bekommen haben oder sich mit Kurzhaarperücken für Jobs beworben haben. Die jungen Männer grenzen sich mit ihrer Frisur von den kurzen, akkurat geschnittenen Haaren ihrer autoritären Väter ab.
Hautenge Kleidung: Bezeichnend für die 68er ist, dass die Jugend zeigt, was sie hat. „Die Menschen wollten mit ihrer Kleidung ihre Jugendlichkeit ausdrücken“, sagt Modehistorikerin Hackspiel-Mikosch. Während die Eltern ihre korpulenten Körper in Kostümen verstecken, kann die Kleidung für die junge Generation nicht eng genug und die Röcke nicht kurz genug sein. Als Vorbild für diese Mode dient Sexsymbol Uschi Obermaier, die Frauen mit ihren freizügigen Fotos zu einem Bekenntnis zur eigenen Sexualität ermuntert.
Parka: Mitte der 1960er Jahre von den „Mods“ in Großbritannien etabliert, entdeckt die Studentenbewegung den Parka 1968 für sich. Von der US-Army und der Bundeswehr als Uniform genutzt, steht der Parka bei den Teilnehmern der Studentenrevolten als Anti-Kriegs-Symbol. Dem Parka wird als eigentlich militärisches Symbol seine ursprüngliche Funktion genommen und in einen neuen, politischen Kontext gesetzt.
Einige Kleidungsstücke von damals sind heute wieder präsent. Der Parka wird heute als Übergangsjacke von Männern und Frauen getragen. „Die politische Bedeutung dieser Kleidungsstücke ist aber verloren gegangen, die junge Generation kann die Mode kaum noch historisch verorten“, sagt Elisabeth Hackspiel-Mikosch. Wenn überhaupt, stecke beim Kauf eher ein spielerischer „Retro-Gedanke“ dahinter.
Das Thema lange Haare bei Männern ist heute wieder angesagt. Eine Rebellion gegenüber gesellschaftlichen Verkrustungen ist für Elisabeth Hackspiel-Mikosch dahinter nicht mehr zu erkennen. Heute werden Trends aus den vergangenen Jahrzehnten ohne politische Bedeutung wieder inszeniert. Klassiker wie die Lederjacke kommen und gehen. Doch das Lebensgefühl ihrer damaligen Träger transportieren sie nicht mehr. Und so ist die damalige Anti-Mode heute längst kein politisches Statement mehr.
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