Wie Jamie Oliver die Welt des Kochens veränderte
Der ewige Küchenjunge? Vor 20 Jahren kam „The Naked Chef“ heraus. Was ist daraus geworden?
Bish, bash, bosh, Rezepte können so einfach sein. Man nehme: eine unaufgeräumte, beengte Küche; dazu einen unverkrampften Typen mit – „Bish, bash, bosh“ – lockeren Sprüchen. Nur eine kleine Prise Warenkunde, dafür umso mehr von der Botschaft: Meine Küche ist wie deine Küche, was ich kann, kannst du auch. Und fertig ist die Küchenrevolution.
Eine Revolution? Was das Kochen und die Machart von Kochsendungen angeht auf alle Fälle. Plötzlich war alles Oberlehrerhafte pfui und alles Lockere hui. Plötzlich trugen auch deutsche Fernsehköche bunte Hemden... Und plötzlich wollten alle sein wie Jamie Oliver. Schnoddrig, easy – ja auch ein wenig schludrig. Alles bloß nicht spießig, denn diesen Ruf hatten Kochsendungen bis dahin gemeinhin. Tim Mälzer etwa ist in diesem lässigen Fahrwasser groß geworden.
Die Revolution hat inzwischen schon einige Jahre auf dem Buckel. Vor 20 Jahren ist Olivers erstes Kochbuch „The Naked Chef“ erschienen, das die Rezepte aus seiner Kult gewordenen Fernsehshow bündelt. Im großen Jamie-Oliver-Kosmos ist das Buch ein Phänomen für sich: Drei Millionen Mal hat es sich weltweit verkauft. In 25 Sprachen wurde es übersetzt. Ein Kochbuch wohlgemerkt. Mit Nacktsein – der Titel könnte ja unterschiedlich ausgelegt werden – hat es natürlich nichts zu tun. Naked bezieht sich auf den Küchenchef, der nichts zu verbergen hat. Naked könnte aber auch als Anspielung darauf verstanden werden, dass Oliver die Zutaten stets gerne mit bloßen Fingern vermischt hat. Zum Jubiläum gibt es nun einen Nachdruck des Bestsellers auch auf Deutsch. Und siehe da, die Rezepte wirken kein bisschen aus der Zeit gefallen. Gebratene Lammkeule mit Sardellen und Rosmarin, Grünes Hähnchencurry, Ravioli mit Borretsch, Brennnessel, Majoran und frischen Ricotta – das klingt noch immer gut.
Jamie Oliver gilt als weltweit bekanntester Koch. Ihm gelang der eigentlich unmögliche Spagat, sowohl Kochanfänger als auch Hobbyköche für sich zu gewinnen – in Tokio genauso wie in Wanne-Eickel. Jeder tauschte plötzlich Jamie-Oliver-Rezepte aus … Sein Erfolgsrezept ist simpel und deshalb auch so unheimlich massentauglich: Nimm wenige, aber gute Zutaten, kauf’ frisch ein, mach’ es selbst. Dann geh’ Billardspielen... Keine Revolution, möchte man meinen, aber der dauerquasselnde Küchenjunge schlug ein wie eine Bombe. Was sicherlich durch seine Sprüche befeuert wurde: „Ein Schokoriegel oder ein Burger ist ziemlich ehrlich. Er hat dich noch nie angelogen“. Das Undogmatische in der letztendlich hehren Botschaft machte den Reiz aus. „Bish, bash, bosh, jeder kann das“ oder anders gesagt „pukka tukka alles cool“.
Er hob die Vermarktung auf ein neues Level
Der inzwischen 44-Jährige ist selbst sein bester Verkaufsschlager. Durch ihn wurde die Vermarktung von Köchen auf ein neues Level gehoben. Sie avancierten vom Lehrern am Herd zu Unterhaltungskünstlern mit Nutzwert. Nun, viele Jahre später, gibt es fast nichts, was es nicht gibt mit Jamie Oliver: Gewürzmischungen, Messerschärfer, Backbohnen aus Keramik für den „perfekten Teig“, Wok-Löffel, sogar einen Geländewagen gestaltete er mit. Nicht schlecht für einen Mann, der in einem 1500-Seelen-Dorf im ländlichen Essex aufwuchs, in der Schule mit Lese-Rechtschreib-Schwäche kämpfte und dessen TV-Karriere rein zufällig begann.
Der gern erzählten Legende nach streckte Oliver seinen Kopf in die Kamera, als die BBC gerade im berühmten River-Café in London eine Dokumentation über das Nobelrestaurant drehte. Die TV-Produzenten waren von dem kecken Jungkoch derart angetan, dass sie ihn zum Casting einluden. Der Rest ist TV-Geschichte. „Arm wie eine Kirchenmaus“ sei er vor seiner Entdeckung gewesen. Durch die Show wurde er in sechs Wochen vom Tellerwäscher sozusagen zum Millionär. „Das war riesig“, sagt er selbst dazu. „Vielleicht so wie bei der Boy Group One Direction, nur mit Essen. „ Damals war er gerade 23 Jahre alt. Bis zu sechs Millionen Zuschauer sahen seine Sendungen, die in über 100 Ländern ausgestrahlt wurden. In den Schoß gefallen ist ihm der Erfolg nicht. Schon als Achtjähriger stand er im Pub seiner Eltern regelmäßig am Spülbecken, um sich sein Taschengeld zu verdienen. Bis er die Schule mit 16 Jahren für eine Kochausbildung verließ, arbeitete er jedes Wochenende im „The Cricketer“.
Bish, bash, bosh, wie doch die Zeit vergeht mit Jamie Oliver. Aus dem lockigen Schlaks wurde ein fünffacher Familienvater. Kürzlich feierte er Hochzeitstag mit seiner Jugendliebe Jools, mit der seit 19 Jahren verheiratet ist. Aus dem lässigen Küchenjungen ist ein Restaurantkettenbesitzer, nein der Besitzer eines Food-Empires geworden. Seine Kochbücher haben sich weltweit über 40 Millionen Mal verkauft, „Jamies 30-Minuten-Menüs“ übrigens so schnell wie kein anderes Sachbuch je zuvor. Das alles teilt er gut und gerne auf Instgram mit. Olivier ist ein Hansdampf in allen Gassen: Seit Jahren setzt er sich für gesünderes Schulessen ein. Dass englische Mütter deswegen anfangs auf die Straße gingen, weil ihre Kinder hungrig von der Schultag nach Hause kamen, geschenkt... Er kocht mit Grundschulkindern, was daraufhin auch bei deutschen Fernsehköchen sehr beliebt wurde. In seiner Restaurantkette Fifteen erhalten sozial benachteiligte Jugendliche eine Kochausbildung. Es gibt mittlerweile Jamie’s Deli, Jamie’s Coffee und eine Bar-Kette in seinem Namen …
Aber nichts mehr ist easy: Redaktionen, die anlässlich des Jubiläums ein Rezept aus dem „The naked Chef“ abdrucken wollen, bekommen von der Presseabteilung erst mal eine Mail mit den „Abdruckbedingungen“. zugeschickt. Der „vollständige, fertige Artikel“ solle dann sieben bis zehn Tage vor Veröffentlichung an Jamie Olivers Team in England geschickt werden. Zur Überprüfung. „Ein Jamie-Oliver-Rezept muss eben exakt ein Jamie-Oliver-Rezept sein“, erklärt eine Verlagssprecherin in München dazu.
Es ist alles recht groß geworden um Jamie Oliver. Vielleicht zu groß. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr läuft es nicht gut. Der englische Teil seines Restaurant-Imperiums musste Insolvenz anmelden. Über 1000 Angestellte bangen um ihre Jobs. Da kommt es nicht gut an, dass der einstige Revolutionär am Herd vor wenigen Tagen in ein Sechs-Millionen-Pfund-teures Herrenhaus in Essex gezogen ist. Vor dem Hintergrund liest sich sein Rückblick auf die Anfänge im Jubiläumsbuch mit ganz anderen Augen: „Ich habe irgendwie das Gefühl, einen ganz anderen Menschen vor mir zu haben. Noch keine Kinder, kaum Verantwortung, das Leben war viel einfacher, mal abgesehen von diesen Hemden und dieser Frisur.“
Die Diskussion ist geschlossen.