Zeugnisse der Corona-Pandemie: Was Museen zur Erinnerung sammeln
Während sich die Deutschen nach einer Zukunft ohne Corona sehnen, arbeiten Museen im ganzen Land mit Hochdruck an den künftigen Erinnerungen und sammeln: Masken, Fotos, Impfdosen, Plakate, Absperrbänder, Christbaumschmuck. Wie man ein globales Großereignis in Zeitzeugnissen festhält.
Sie stecken in Taschen, Jacken, im Handschuhfach. Eine als Ersatz, ein Stapel davon wartet in der Garderobe. Masken hat man mittlerweile überall. Wie viele wohl zwischen Autositze rutschen oder in aussortierten Handtaschen vergessen werden, Staub ansetzen und die Zeit überdauern? Und Jahre später – die Welt ist in ihren alten Rhythmus zurückgekehrt – fällt einem dieses Stück Stoff in die Hände.
Im Haus der Bayerischen Geschichte sammelt Timo Nüßlein seit einem Jahr
Wie werden wir uns erinnern – an diese andere Zeit? Vielleicht nur noch in Bruchstücken, einzelne Bilder, die sich aneinanderreihen, Gefühlsfetzen, verblasste Sequenzen: Das schimmernde FFP2-Material, der Metallbügel auf der Nase, die Gummibänder, die an den Ohren ziepen. Die Städte und Straßen sind verlassen, das Leben hat sich in die eigenen Heime verkrochen. Zoom. Musik auf dem Balkon, ein digitales Zusammenrücken, analoge Einsamkeit. Dann Risse in der Geduld, dem Miteinander, der Gesellschaft. Wut und Müdigkeit. Im Hintergrund schwingt stets die Sehnsucht nach einer anderen Zeit, abseits der Corona-Pandemie, des einschneidenden globalen Großereignisses.
Während es viele Menschen nicht erwarten können, die Masken endgültig aus dem Alltag zu verbannen, arbeiten Museen in ganz Deutschland bereits an den künftigen Erinnerungen. Einige starteten bereits im Frühjahr 2020 Aufrufe und sammeln, was die Deutschen ihnen schicken. Mit welcher Begeisterung sie das tun, zeigt das Beispiel des „Haus der Geschichte“ in Bonn. Dort reichten die Menschen so viele Gegenstände ein, dass man sich kaum noch davor retten kann. Eine weitere Berichterstattung ist unerwünscht. Andere Museen suchen gezielt nach symbolischen Gegenständen der Pandemie.
So auch das „Haus der Bayerischen Geschichte“ in Regensburg. In dem historischen Nebengebäude des Museums an der Donau liegen auf den ersten Blick unscheinbare Gegenstände. Eine kleine Box, Maßkrüge, eine weiße Kappe. „Das Besondere sind ihre Geschichten“, sagt Timo Nüßlein. Er ist Sammlungsbeauftragter der Einrichtung. Auch privat sammelt er gerne, am liebsten Dinge rund um die Bierkultur. Seit rund einem Jahr sind er und die anderen Mitarbeiter auf der Suche nach Corona-Objekten für das Museum.
Die Geschichte ist in vielen Fällen interessanter als das Objekt selbst
Wenn Nüßlein die Gegenstände inventarisiert, hält er ihre Geschichte fest. Sie ist in vielen Fällen interessanter als das Objekt selbst. Hinter dem weißen Käppi mit bunter Aufschrift „Bleibt dran“ etwa steckt der Versuch, Kinder für ihre Mühe im Homeschooling zu belohnen. Eine Kollegin Nüßleins habe sie vom Hort ihrer Kinder bekommen. „Bleibt dran“: Unterricht vor dem Bildschirm, kein Kontakt zu Freunden, die angestrengten Eltern – wie sich Kinder wohl in Zukunft an diese Zeit erinnern?
In einer schwarzen Box reihen sich Fläschchen mit silberfarbenen Deckeln aneinander. Auf den ersten Blick wirken sie wie Patronenhülsen, dicht gedrängt, jedes mit einer dunkleren Einstichstelle. Nüßlein nimmt eines heraus und dreht es, bis das Etikett lesbar ist. Es sind Pfizer-Biontech-Impfdosen der ersten Marge, die zwischen Ende Dezember und Anfang Januar in Regensburg verimpft wurden. In der kleinen Glasflasche schwappt ein wenig Flüssigkeit.
Eine Osterbox für Gläubige, die alles für die christliche Feier zu Hause enthält
Eine Osterbox der Benediktinerabtei Münsterschwarzach vom vergangenen Jahr enthält, was Gläubige für eine Osterfeier zu Hause benötigen: eine Kerze, Weihrauch, Kohle, Streichhölzer, ein liturgisches Heft. Daneben Maßkrüge abgesagter großer Feste, die Wiesn, das Straubinger Gäubodenfest. Die Überbleibsel der lebendigen regionalen Vielfalt in der Pandemie. Nüßlein dreht den Krug vom Gäubodenfest 2020 und deutet auf die bunte Bemalung. „Das ist ein Einzelstück“, sagt er. Anders als der Oktoberfest-Maßkrug, der in Serie ging und online verkauft wurde, blieb es in Straubing bei dem einen Krug, den eine Künstlerin als Modell entwarf.
Von derselben Künstlerin erwarb das Museum eine Corona-Skulptur. Zwei aus rotem Wachs geformte Viren schweben in einer Glasglocke auf Metallstäben, darunter steht auf einem Holzblock die Inschrift: „Maria Hilf“. Das Besondere an der Skulptur: Sie war ein Votiv an die Gnadenkapelle in Altötting, eine Opfergabe. Museumsdirektor Richard Loibl gefällt das Exponat besonders gut: „Es spielt auf die alte bayerische Tradition an, zur Heilung von Krankheiten ein Votiv abzugeben.“ Unter normalen Umständen seien das Bilder oder Symbole betroffener Körperteile, die am Wallfahrtsort aufgestellt würden.
Auch Söders weiß-blaue Maske soll das Museum erhalten
Auch Ministerpräsident Markus Söder sicherte dem „Haus der Bayerischen Geschichte“ ein Exponat zu, wie Museumsdirektor Loibl erzählt. Viele erinnern sich noch an die Pressekonferenz im Frühjahr 2020, als Söder die Maskenpflicht in Bayern verkündete. Söder trug dabei eine Maske mit den bayerischen weiß-blauen Rauten. Diese Maske soll das Museum erhalten: „Sie ist von wichtiger politischer Bedeutung.“
Auch Loibl geht mit offenen Augen durch die Zeit und sucht nach möglichen Ergänzungen für die Sammlung. Für ihn sind gerade die politischen Skandale um die Masken-Käufe und Vermittlungen hoch interessant: „Das ist zwar schwer einzuholen und mit Exponaten zu dokumentieren – aber das sind wichtige Begleiterscheinungen der Pandemie.“ Abgesehen von seiner Arbeit geht es dem Historiker persönlich jedoch wie allen anderen: „Der sehnlichste Wunsch ist, dass Corona so schnell wie möglich im Museum verschwindet.“
Auch museumsreif: kleine Briefe, Absperrbänder oder das Drosten-Räuchermännchen
Das „Deutsche Historisches Museum“ (DHM) in Berlin hat sich zunächst auf die ephemeren Objekte, die kurzlebigen Spuren der Pandemie, konzentriert. Fritz Backhaus, Sammlungsdirektor am DHM, sagt: „Wir schauen uns um und suchen gezielt nach Dingen, die jetzt festgehalten werden müssen.“
Ein kurzer Brief im Treppenhaus, mit dem die Bewohner sich gegenseitig Hilfe anbieten, Aushänge an Geschäften und Restaurants: „Das sind Zeugnisse, welche die einschneidenden Veränderungen des Alltagslebens dokumentieren.“ Dazu gehören auch Absperrbänder von Corona-Demonstrationen, Plakate und Schilder, die auf die Abstandsregeln hinweisen. Weiter sammelte das DHM etwa ein Räuchermännchen von Christian Drosten oder Corona-Christbaumschmuck. Rund 500 Objekte sind so zusammengekommen.
Spannend sei für ihn auch der Blick auf vergleichbare Epidemien der Vergangenheit, sagt Backhaus. „Etwa Pest und Cholera. Das schärft den Blick für die eigene Sammlung.“ Er habe viele Gemeinsamkeiten entdeckt – eine historische Karikatur beispielsweise, auf der eine Dame mit übertriebenen Abwehrmaßnahmen versucht, sich vor einer Infektion mit Cholera zu schützen. „Es ist interessant, wie eine tödliche Bedrohung Humor auslösen kann.“ Das sehe er auch in der heutigen Zeit.
Eine Flut von Fotos, in denen der neuen Alltag dokumentiert wird
Susanne Glasl ist Volontärin am Münchner Stadtmuseum. Der Sammlungsaufruf für die Corona-Gegenstände, der im Frühjahr 2020 startete, war das erste Projekt der 29-Jährigen. Nach „persönlichen Erinnerungsstücken und Alltagsgegenständen“, die Veränderungen abbilden, sucht das Museum. Auch Glasl erlebte einen großen Ansturm. In den ersten vier Wochen war sie ausschließlich mit den Einsendungen beschäftigt, vor allem Fotos kamen. „Die Menschen haben ein unglaubliches Mitteilungsbedürfnis. Sie wollen die eigene Perspektive dokumentieren und die besondere Zeit festhalten.“
Die meisten Fotos thematisierten den neuen Alltag, leere Städte, Homeoffice, Selfies mit Masken, sehr viel Humor. Erstaunt haben Glasl vor allem die Fotos, die nicht oder nur vereinzelt kamen: schwere Themen, wie zum Beispiel Bilder von Krankenbetten. „Vielleicht versuchen die Menschen eher, auf die positive Seite zu sehen?“, rätselt Glasl. In zwei kleinen Schaufenstern in der Rosentalstraße stellt das Münchner Stadtmuseum bereits jetzt einige Gegenstände aus. Darunter ist eine Maske in Lederhosen-Form, bunt bemalte Steine, die vor Kindergärten und Schulen gelegt wurden, Toilettenpapier aus Gips mit einigen abgeplatzten Stellen – fast so, als wäre es ein archäologisches Fundstück.
"Jedes kleine Objekt ist Teil eines großen Flickenteppichs"
Das Sammeln und Archivieren empfindet die junge Frau als spannende Aufgabe. Zwar gibt es Momente, in denen es zu viel Corona wird und sie sich abgrenzen muss, aber sie ist sich ihrer Verantwortung für die Sammlung bewusst. „Jedes Foto, jedes kleine Objekt ist Teil eines großen Flickenteppichs“, sagt sie. „Sie ermöglichen uns später, die Corona-Krise aus vielen kleinen Perspektiven zu sehen."
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