Sienna Miller: „Ich war für viele Leute einfach eine Celebrity“
Gerade wird sie gefeiert für die Serie "Anatomie eines Skandals": Sienna Miller über ihren Kampf, als Schauspielerin ernst genommen zu werden, und über Philosophie.
In „Anatomie eines Skandals“ spielen Sie eine Politikergattin, deren konservatives Familienglück sich als Illusion herausstellt, als das Doppelleben ihres Mannes auffliegt. Vor solchen Erschütterungen sind Sie vermutlich gefeit?
Sienna Miller: Ja, und das aus verschiedensten Gründen. Zum einen, weil ich mich nie von einem Mann abhängig gemacht habe. Außerdem bin ich viel feministischer eingestellt als diese Frau und halte mit meinen Gefühlen nicht hinter dem Berg, während sie alles zurückhält. Allerdings hätte mir früher so ein Schicksal blühen können. Denn ich bin so großgezogen worden, dass ich es anderen Leuten recht machen wollte. Ich ging auf eine konservative Schule, wo liberale oder gar sozialistische Ansichten gar keinen Platz hatten. Und in meiner Jugendzeit waren Frauen es auch nicht gewohnt, dass sie ihre Meinung und ihre Vorstellungen klar äußerten. Da war es einfacher, sich den Wünschen der Männer zu fügen und sexistisches Verhalten zu tolerieren.
Aber Sie sind diesen Denkmustern ja entkommen.
Miller: Zum Glück. Das begann am Ende meiner Schulzeit, als ich in die Kultur- und Medienwelt eingestiegen bin und Leute aus ganz unterschiedlichen Schichten kennengelernt habe. Auf einmal habe ich begriffen, dass es noch ganz andere Sichtweisen aufs Leben gibt.
Aber ganz so einfach hatten Sie es am Anfang Ihrer Karriere auch nicht. Sie wurden als Schauspielerin nicht ganz ernst genommen, galten eher als Society-Girl.
Miller: Ich weiß, ich war für viele Leute einfach eine Celebrity. Und das Einzige, wofür sie sich interessierten, war mein Privatleben. Aber ich wollte unbedingt Schauspielerin werden, und dafür habe ich gekämpft. Was mir dabei geholfen hat, war, dass ich nicht besonders eitel war und kein Problem damit hatte, wenn ich einmal unvorteilhaft aussah. Denn ansonsten hätte man mich nie auch ernst genommen. Niemand sollte mich kleinmachen. Wichtig war natürlich auch, dass ich mich entschloss, nur mit guten Regisseuren zu arbeiten. Je älter ich wurde, desto klarer wurde mir das.
Was hat Ihnen dabei Kraft gegeben – abgesehen von ihrem eigenen Selbstbewusstsein?
Miller: Die Solidarität mit anderen Frauen. Wobei ich die in den letzten Jahren voll spüre, seit sie im Zuge von „MeToo“ ganz massiv zutage getreten ist. Dieses Gefühl, dass eine ganze Gemeinschaft dich unterstützt, wenn du es brauchst, ist enorm hilfreich. Ich war mir dessen vorher gar nicht so bewusst, dass es diese Einigkeit unter uns gibt. Und deshalb traue ich mich auch viel mehr, meine Meinung zu sagen, und bin nicht mehr bereit, ein bestimmtes Verhalten von Männern hinzunehmen, nur weil ich niemanden auf den Schlips treten möchte. Wobei wir Frauen ja eigentlich stärker als Männer sind. Die sind vielleicht größer oder können schneller laufen, aber wir sind diejenigen, die Kinder auf die Welt bringen. Und das bringt mich noch zu einem weiteren Punkt, der mir große Stärke gegeben hat: Die Geburt meiner Tochter hat natürlich auch mein Leben verändert.
Inwieweit sind Sie nun politisch interessiert?
Miller: Sehr. Vermutlich bin ich so politisiert wie nie zu vor. Ich setze mich intensiv mit Themen wie Lohngleichheit auseinander. Ich finde es enorm wichtig, dass die Beziehungen zwischen Männern und Frauen von gegenseitigem Einverständnis geprägt sind. Ich bin sehr froh, dass dieses Thema jetzt die gesellschaftlichen Debatten bestimmt. Und mir ist es auch gelungen, meine neunjährige Tochter zu sensibilisieren. Sie ist wesentlich selbstbewusster und politisch interessierter, als ich es in dem Alter war.
Das heißt, das Rad des Fortschritts lässt sich nicht mehr zurückdrehen?
Miller: Ich glaube schon, weil eben auch die ganze Welt sensibilisiert ist. Und das finde ich sehr inspirierend. Aber niemand kann die Zukunft vorhersehen. Auf jeden Fall hat sich das Bewusstsein für Sprache geändert. Und die Tatsache, dass wir eine Miniserie über eine Frau drehen, die sich aus der Welt des Patriarchats freikämpft, ist auch bezeichnend. Ich bekomme inzwischen wesentlich mehr interessante Frauenrollen angeboten. Und bei den Filmteams sind die einzelnen Geschlechter wesentlich ausgewogener vertreten. Heutzutage arbeite ich mit viel mehr Regisseurinnen als früher.
Sehen Sie denn auch Gefahren bei den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen?
Miller: Es gibt natürlich auch Tendenzen, die mir Angst machen. Die haben zum Teil mit der Technologie zu tun. Ich habe meine Jugend nicht am Bildschirm verbracht, bin nicht mit sozialen Medien aufgewachsen. Und jetzt muss ich versuchen, meine Tochter durch dieses digitale Universum hindurch zu navigieren. Nachdem sie zwei Jahre lang mit ihrer Schule und ihren Freundinnen fast nur virtuell kommuniziert hat, ist das eine aufreibende Herausforderung.
Was hilft Ihnen, um mit den ganzen intellektuellen und sozialen Herausforderungen klarzukommen?
Miller: Ich bin jemand, der sich sehr für das Leben interessiert. Deshalb versuche ich, meinen Geist zu kultivieren, wie ich nur kann. Weil ich noch alle möglichen Wissenslücken bei mir sehe, erziehe ich mich gewissermaßen selbst. Ich lese sehr viel, interessiere mich sehr für Philosophie und Psychologie. Denn ich möchte verstehen, warum wir als Menschen so sind, wie wir sind. Ich habe deshalb schon Philosophiekurse besucht, wo es unter anderem eine Einführung in Hegel und Wittgenstein gab.
Haben Sie schon eine Antwort auf die eben zitierte Frage gefunden?
Miller: Noch nicht. Aber ich will weiter forschen, weil ich ein sehr neugieriger Mensch bin. Das ist meine grundlegende Eigenschaft. Wenn ich nichts mehr Neues im Leben kennenlernen und mich nicht mehr weiterentwickeln will, heißt das, dass ich das Handtuch geworfen habe. Wenn es also einen Sinn gibt, dann liegt er in diesem Entdeckungsprozess. Ich möchte daher meine ganzen Studien noch ausbauen. Ich brauche nur etwas mehr Zeit dafür.
Was möchten Sie sonst noch mit Ihrer Zeit anfangen?
Miller: Ich ein Mensch, der in der Gegenwart lebt und nicht zu viel in die Zukunft hineinprojiziert. Regie und Produktion sind auf jeden Fall zwei Bereiche, die mich interessieren. Grundsätzlich habe ich einfach das Gefühl, dass mir ganz weite Bereiche offenstehen. Wobei ich gleichzeitig auch fokussierter bin. In meinem Kopf ist weniger Lärm. Vielleicht liegt es daran, dass ich 40 geworden bin, oder es ist eine Reaktion auf die Pandemie, auf jeden Fall sehe ich noch klarer, was ich will und was ich noch machen könnte. Ich fühle mich regelrecht befreit.
Die Diskussion ist geschlossen.