Zeit für einen Tapetenwechsel! Das kann auch der Psyche helfen
Neue Tapete? Veränderungen zu Jahresbeginn können nicht nur das Zuhause schöner machen, das durch Corona noch wichtiger ist. Tipps von einer Designerin und einer Psychologin.
Neues Jahr, schön wären da auch neue Aussichten. Zu lange schon starrt man auf die immer gleichen vier Wände. In den vergangenen beiden Jahren coronabedingt noch länger. Jetzt muss was Neues her. Tapetenwechsel also. Es gibt unzählige Heimwerker-Videos, die man sich im Internet ansehen kann, alle aber beginnen gleich: Erst einmal muss die alte Tapete runter. Man fängt ja auch keinen neuen Job an, während man noch dem alten nachgeht. Oder angelt sich keinen neuen Partner, während man noch Bett und Tisch mit dem alten teilt. Das endet unschön.
Genauso verhält es sich mit Tapeten. Deswegen: Dampftapetenablöser schnappen oder die Stachelwalze in Kombination mit der eigenen Muskelkraft – im neuen Jahr sollten doch auch ein paar Kilos von den Rippen. Ist alles abgekratzt – auch die Klebereste in den Ecken – ist die Bahn frei für neue Bahnen.
Es geht ums "gute Gefühl", sagt die Wohnpsychologin
Doch woher kommt der Drang zum Tapetenwechsel – sinnbildlich für die Veränderung der Zuhauses? Und was macht die neue Umgebung mit uns? Doktor Barbara Perfahl kann das genau erklären. Die 49-Jährige Psychologin hat sich – unter anderem durch ein Architekturstudium – auf Inneneinrichtung spezialisiert. Sie ist also Wohnpsychologin. „Der Tapetenwechsel verschafft uns ein gutes Gefühl“, sagt Perfahl, sympathisch österreichischer Tonfall, am Telefon. Der Mensch eigne sich seine Umwelt an. Wir fühlen uns am wohlsten, wenn wir Räume nach unseren Vorstellungen gestaltet haben – meine Wohnzimmer, meine Küche, mein Schlafzimmer. Die Eine mag es knallig-bunt mit viel Deko, der Andere bevorzugt den minimalistisch-skandinavischen Look. Wohnen diese beiden Personen zusammen, muss ein Kompromiss her. Zeig mir deine Tapete und ich sag dir wer du bist, klappt also nicht, sagt Perfahl.
Wenn ein Tapetenwechsel ansteht, hat sich im Leben häufig auch schon etwas anderes geändert, verläuft es in neuen Bahnen. Das kann eine Trennung, der Auszug der Kinder oder ein Jobwechsel sein. Ist der erwachsene Sohn endlich mitsamt der ganzen Playstation-Spiele raus aus dem Elternhaus, braucht das Zimmer frischen Wind. Wortwörtlich – Stichwort Socken – und sprichwörtlich. Vielleicht bietet sich der Raum ja als Gäste- oder Arbeitszimmer an. Schon kann das Umgestalten losgehen.
Vorbereitung ist beim Tapezieren das A und O. Raus mit den Möbeln, rein mit dem Tapeziertisch. Den Boden schützt Malervlies, die Kleidung ein Malerkittel.
Nicht immer braucht es für einen Tapetenwechsel einen wirklichen Auslöser, erklärt Perfahl. Unsere Wohnung erfüllt einige Bedürfnisse. Sie hält uns zum Beispiel trocken, warm – und gibt uns Raum, den wir nach unseren Vorstellungen einrichten. „Das Bedürfnis nachGestaltung ist sehr unterschiedlich ausgeprägt“, sagt die Wohnpsychologin. Man unterscheide zwischen dem Bauer-Typ, der seine Wohnung einräumt und dann für 30 Jahre alles so lässt, und dem Veränderungstyp, der in seiner Wohnung keinen Stillstand mag und deshalb immer wieder neu gestaltet.
Ganz klar von der zweiten Sorte ist die Augsburgerin Sandra Ley. Ihr Wohnatelier wird jeweils passend zur Jahreszeit umgestaltet. Quasi ein saisonaler Tapetenwechsel. Die 52-Jährige ist studierte Textildesignerin. Zum Treffen in einem Augsburger Café hat sie ein paar Kataloge mitgebracht, die sie auf dem Tisch ausbreitet und ihre Designs zeigt. Auffällig sind dunkle Farben, von denen sich Blätter, Blumen und exotische Tiere abheben. Urban Jungle nenne sich dieser Trend. Er passt zu Leys Stil: Sie zeichne am liebsten florale Motive. Die kommen nicht nur ins Bett, sondern seit wenigen Jahren auch an die Wand. Genauer gesagt: auf Tapetenbilder. „Das ist ein Eyecatcher, ein Hingucker, es dominiert den ganzen Raum“, schwärmt Ley mit einer Tasse Cappuccino in der Hand. Die Tapetenbilder, die Ley zusammen mit zwei Kolleginnen designt und über den Online-Shop „Wandgeflüster“ verkauft, sind zwischen 80 Zentimeter und 2,20 Meter breit; sie gehen vom Boden bis zur Decke oder haben das Format eines großen Bildes. Viele Exemplare seien auch Maßanfertigungen. „Wenn man heute tapeziert, tapeziert man oft nur eine Wand“, erklärt Ley.
Früher waren Tapeten meist zurückhaltender – Ausnahmen sind auf Bildern aus den 1970er Jahren überliefert – und zweckmäßig: Sie sollten Wände verkleiden. Heute spricht eine Designerin von Tapetenbildern, die ja nicht von Möbeln verdeckt werden sollen, neue Begriffe wie „Wall-Art“ und „Interior Design“ schwirren durch den Raum. Es scheint, als hätte die Tapete sich emanzipiert von der bloßen Wandverkleidung zur Königin des Wohnzimmers. Diese Bahnen sind dann zu mehr bestimmt, als nur lieblos an die Wand geklatscht zu werden.
Das sollte man auch nicht einfach tun! Zuerst die Sicherung raus machen und Verkleidungen von Lichtschaltern und Steckdosen abmontieren. Später die Stellen vorsichtig freischneiden und die Abdeckungen wieder anmontieren.
Das Comeback der Tapete zeigt sich auch anhand der mittlerweile bahnenlangen Liste der Anbieter – neben bekannten Unternehmen wie der Aktiengesellschaft A.S. Création stehen darauf auch Namen von Designern, die doch eher überraschen: Guido Maria Kretschmer (er verspricht atemberaubende Effekte), Harald Glööckler (der Modedesigner will royalen Glanz ins Zuhause bringen) und Dieter Bohlen. Dieter Bohlen? In der Kollektion „Studio Line“ des Pop-Titanen gibt es etwa eine schwarze Tapete mit dunkelgrauen Schnörkeln und etwas Glitzer, seine bereits dritte Kollektion „Spotlight“ hat unter anderem eine einfarbige Strukturtapete in dunklem Lila im Angebot. „Auffallend anders“, so werden seine Tapeten beworben: „Der Produzent hat eine moderne Interpretation aus Naturthemen, Mustern aus den großen Zeiten des Art Decos und klassischen Ornamenten ausgearbeitet!“
Jahrelang ging es in der Tapetenbranche bergab. Der Tiefpunkt war 2019 erreicht, als laut Deutschem Tapeteninstitut nur 247 Millionen Euro erwirtschaftet wurden – 2017 waren es noch 288 Millionen. Der Abwärtstrend wurde damit erklärt, dass die Leute raus wollen, ihr Geld lieber ausgeben für Freizeitaktivitäten und Reisen. Doch dann kam die Corona-Pandemie und veranlasste eine Kehrtwende. Im Inland stiegen die Erlöse 2020 um zwölf Prozent. In den ersten neun Monaten dieses Jahres zeigt die Umsatz-Analyse von A. S. Création insgesamt gestiegene Nachfrage nach Tapeten.
Die Tapetendesignerin gibt Tipps: An Materialien ist alles möglich
Wohnpsychologin Barbara Perfahl wundern die Zahlen natürlich nicht. „Der Fokus aufs Wohnen ist gestiegen“, sagt die 49-Jährige. Durch Kontaktbeschränkungen, Lockdowns und Quarantäne sei das Zuhause wieder deutlich in den Mittelpunkt gerückt. Noch dazu seien viele wohnmäßig unter Druck geraten. Die vier Wänden sollten plötzlich gleichzeitig Büro, Klassenzimmer und Fitnessstudio werden. Es musste Veränderung her.
Damit sie gelingt, unbedingt die richtige Technik beachten. Manche Tapeten muss man einkleistern, bei anderen muss man die Wand einkleistern.
Perfahl kann dem Ganzen etwas Positives abgewinnen. Viele Menschen werden flexibler. Genau dazu rät die Wohnpsychologin ihren Klientinnen und Klienten, die sie kontaktieren, weil sie mit ihrem Heim unzufrieden sind und einen Tapetenwechsel brauchen. Werden bestimmte Ecken oder ganze Räume nicht genutzt, oder gibt es in der Familie Konflikte über die Raumnutzung, sind das Anzeichen. Die Wohnpsychologin findet in Gesprächen heraus, wer eingerichtet hat, warum die Möbel so stehen und welche Bedürfnisse die Familie hat. Dann beginnt das gemeinsame Möbelrücken. „Man muss einfach mutig sein und ausprobieren. Oft genügen schon kleine Veränderungen, um das diffuse Gefühl der Unzufriedenheit abzulegen“.
Eine neue Tapete ist nicht gerade eine kleine Veränderung, müsste man meinen. „Viele Tapetenbilder sind schon dominant, das muss man bedenken“, gibt Designerin Ley zu. Doch ihre Exemplare sind selbstklebend und schnell aufgehängt. „So ist innerhalb von zehn Minuten ein Tapetenwechsel möglich“, sagt Ley. Die Tapetenbilder lassen sich ab- und an einer anderen Wand wieder aufhängen. Und wenn man sich am Motiv sattgesehen hat, könne man sich einfach davon trennen, ohne komplett renovieren zu müssen.
Wer keine selbstklebende Tapete gekauft hat, nimmt Kleisterbürste oder Quast und trägt den Kleister von der Mitte nach außen auf. Bis zum Rand.
So leicht wie ein selbstklebendes Tapetenbild konnte man die gute alte Raufasertapete nicht loswerden. An ihr scheiden sich immer noch die Geister. Ganz vom Markt verschwunden ist sie jedoch nicht. Statt Papier- und Holzfasern ist inzwischen ein anderes Material im Trend: Vlies. Das Trägermaterial aus Zellulose soll besonders strapazierfähig und schwer entflammbar sein. Aus ihrer Erfahrung bei Tapeten-Messen berichtet Sandra Ley, dass es beim Material keine Grenzen gibt. Sie erinnert sich an ein Modell mit Fell und eingearbeiteten Metallteilen. Sie habe auch schon sehr teure Tapeten gesehen, bei denen Edelsteine eingesetzt waren. Swarovski arbeite viel mit Tapetenfirmen zusammen. Wer ein solches Modell will, muss wohl tiefer in die Tasche greifen als für die Raufasertapete (gibt es für 50 Cent pro Quadratmeter) oder für das Exemplar von Bohlens „Studio Line“ (erhältlich für 4,84 Euro). Unerreicht bleibt jedoch das sagenumwobene Bernsteinzimmer, das als die teuerste Tapete der Welt gilt. Der preußische König Friedrich gab es 1701 in Auftrag. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs gilt es als verschollen.
Wer viel Geld für seine Tapete gezahlt hat, will auch, dass sie gerade hängt. Also – gerade bei der ersten Bahn – Senklot oder Wasserwaage benutzen oder mit einem Laser eine senkrechte Lotlinie ziehen.
Wer jetzt noch nicht genug von Tapeten hat, kann das Deutsche Tapetenmuseum in Kassel besuchen. Dort lernt man, wie Engländer einst einzelne Papierbogen zu Tapeten zusammenklebten. 23.000 Objekte dokumentieren laut Homepage die Entwicklung der vergangenen 500 Jahre. Prunkstücke des Museums sind Goldlederarbeiten aus der Renaissance, Flock- und Leinwandtapeten aus dem 18. Jahrhundert sowie handgedruckte französische Panoramatapeten. Derzeit ist ein Museumsneubau für 24 Millionen Euro geplant.
Nach dem Tapezieren reißen viele Heimwerker die Fenster auf oder drehen die Heizung auf, damit das Werk schneller trocknet. Das sollte man jedoch tunlichst vermeiden. Unter Umständen trocknet die Tapete so schneller als der Kleister und die Ränder lösen sich wieder ab. Wer braucht schon Zugluft, wenn die neue Tapete für frischen Wind sorgt – sprichwörtlich.
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