
Die Frau mit dem Revolver in der Handtasche


Der hochgelobte französische Schriftsteller Nicolas Mathieu zeichnet in seinem neuen Roman „Rose Royal“ knapp und packend das Leben einer starken 50-Jährigen, die schwach wird.
Rose ist geschieden und hat erwachsene Kinder, die sich um ihren eigenen Kram kümmern. Sie ist jetzt 50, arbeitet in Nancy als Sekretärin und sieht immer noch ziemlich gut aus. Wenn sie die Straße überquert, schauen sich Männer nach ihr um. Männer? Ab und zu schleppt sie mal jemanden ab, aber eigentlich hat sie die Nase voll von den Typen und ihrer Neigung zur Gewalttätigkeit.
Nach Feierabend geht Rose gern auf zwei, drei Bier in ihre Stammkneipe, die Bar Royal, wo sie meistens ihre Freundin trifft, die in der Bar den Gästen die Haare schneidet. Im Royal beginnt auch der Roman des Prix-Goncourt-Preisträgers Nicolas Mathieu. Rose sitzt am Tresen. „Das Bier war kalt, die Zeitung schon zerlesen, und unter ihrer rechten Sohle spürte sie das feste Metall der Fußspitze: Diese drei Empfindungen ergaben für sie schon eine Welt, ein annehmbares Zuhause.“ Diese Frau hat keine großen Illusionen mehr, sie hat sich in ihrem Provinzleben eingerichtet. Bloß blöd sollte ihr keiner mehr kommen – denn Rose hat jetzt einen Revolver in der Tasche. „Die Prüfungen des Lebens hatten sie hart gemacht. Das war ein Geschenk.“
Der 1978 geborene Nicolas Mathieu, der selbst in Nancy lebt und mit seinem gefeierten Debütroman „Wie später ihre Kinder“ ein starkes Zeitpanorama eines im industriellen Niedergang abgehängten Landstrichs (Lothringen) und der in der Aussichtslosigkeit gefangenen Familien vorgelegt hat, zeigt sich in seinem neuen, keine 100 Seiten langen Roman als Meister literarischer Abgeklärtheit und Präzision. Ihm genügen wenige Striche, ein Milieu zu zeichnen, ein Leben zu charakterisieren, das Existenzielle und Abgründige und Traurige unter der Firnis des Alltags freizulegen.
Ein angefahrener Hund muss dran glauben
Im „Royal“ nimmt der Abend durch eine feierwütige Abiturklasse überraschend Fahrt auf, „der Suff überzog alles mit einem Schleier ewiger Gegenwart“. Dann jäh ein Knall draußen in der Nacht. Ein Fremder mit einem blutenden angefahrenen Hund auf den Armen kommt in die Bar. Rose erschießt den „zerfetzten“ Hund mit ihrem Revolver. Der Fremde, Luc, will Rose wiedersehen, ruft sie an ... „So kam es, dass sich Rose, obwohl sie sich doch das Gegenteil geschworen hatte, in die Widersprüche des Pärchendaseins verwickeln ließ“. Sie gibt ihren Job auf, zieht zu ihm auf einen umgebauten Bauernhof, arbeitet für Luc, der alte Häuser aufmöbelt und weiterverkauft.
Luc ist ein zurückhaltender Typ mit Charme und Stil – auch geschieden, wortkarg, in den besseren Lokalen von Nancy bekannt. Er trinkt gern, wie Rose auch. Rose und Luc: Rückeroberung von Glück! Lebensfreude. Optimismus. Das Unverhoffte. Doch ein Satz genügt Mathieu, dieses Leben zu sezieren bis unter die Knochenhaut. „Eine Frau und ein Mann, mit ihrem Alkoholproblem, ihren Geldsorgen, ihren Falten und unbefriedigenden Bettgeschichten, mit ihren Autoschlüsseln und Medikamenten, die sie vorm Essen einnehmen mussten, ihren schlechten Angewohnheiten und endlosen Erinnerungen, den Rechnungen auf der kleinen Kommode im Flur, der Fernbedienung auf dem Programmheft, verschiedenfarbigen Ordnern, in denen die Mühen aus dreißig Jahren in Papierform abgelegt waren.“
Zweieinhalb Jahre sind Rose und Luc zusammen, es ist eine schleichende Entfremdung, eine Ernüchterung, Abnutzung von Träumen, Routine im Mittelmaß – so gewöhnlich wie grausam. „Aber letztlich ist das Leben nicht besonders ereignisreich. Rose hatte den Eindruck, dass viele Entscheidungen wie von selbst gefallen waren, fast gegen ihren Willen. Ein Tag hatte den nächsten ergeben, und Veränderungen waren durch stillschweigende Zustimmung, Müdigkeit oder Höflichkeit zustande gekommen. Bei genauer Betrachtung erklärten die Gesetze der Trägheit und der Schwerkraft beinahe alles.“ Rose begehrt gleichwohl noch auf gegen das Versinken in der Unzufriedenheit. Ihre Pistole hat sie noch immer …
Nicolas Mathieu: Rose Royal, Hanser, 94 Seiten, 18 Euro
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