Live bei den Nobelpreisen: Das neue Traumpaar der Literaturwelt
Der Österreicher Peter Handke und die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk erhalten die Literaturnobelpreise für die Jahre 2018 und 2019.
Den eigenen Fokus auf europäische Autoren und vor allem auf männliche Schriftsteller abzulegen, nachdem das Nobelpreiskomitee das angekündigt hatte, war für Literaturexperten weltweit klar: Mindestens einer der beiden Preisträger wird eine Frau sein.
Literaturnobelpreis: Tokarczuk überrascht, Handke gilt als ewiger Favorit
Tokarczuks Name hatten zwar Kenner auf dem Schirm, zu den Favoriten um den Preis zählte sie aber nicht. Die Folge: Schweigen, unterdrückte Jubelschreie vor Literaturkritikern aus aller Welt am Donnerstag in den prall gefüllten Räumen der Schwedischen Akademie in Stockholm.
Die 57-jährige Polin, eine der jungsten Preisträgerinnen, erhielt den Preis „für eine erzählerische Vorstellungskraft, die mit enzyklopädischer Leidenschaft Grenzüberschreitungen als Lebensform darstellt", wie es Anders Olsson, Vorstand des Nobelpreiskomittees, bei der Verkündung am Donnerstag beschrieb.
Peter Handke, 76, überzeugte die Jury mit einem „einflussreichen Werk, das mit sprachlichem Einfallsreichtum Randbereiche und die Spezifität menschlicher Erfahrungen ausgelotet hat“. Der vielfach ausgezeichnete österreichische Autor ("Die Hornissen", "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter") zählte schon lange zum Kreis der ewigen Favoriten.
Nach dem Sex- und Betrugsskandal soll wieder die Literatur im Fokus stehen
Man habe Handke zu Hause erreicht, erzählte Komitee-Vorsitzender Olsson, und er sei "völlig überrascht" gewesen. Tokarczuk erreicht der Anruf demnach auf einer Lesetour in Deutschland. Sie habe erst einmal ihren Wagen an den Straßenrand fahren müssen, verriet Olsson. Für die Schwedische Akademie ging es an diesem Nachmittag um viel mehr als um die beiden Preise. Nach dem Sex- und Betrugsskandal aus den vergangenen Monaten soll in Zukunft endlich wieder die Literatur im Mittelpunkt stehen.
Und Autoren wie Kritiker waren sich einig: Das geht nur, wenn die Schwedische Akademie eine überraschende, wegweisende Entscheidung trifft und zeigt: Ohne die Stimme der Nobelpreisjury ist die Literaturwelt verarmt. Den Anspruch, den Blick zu weiten, hat die Jury mit der Auszeichnung der polnischen Autorin eingelöst, die eurozentrische Perspektive nicht - mit zwei Preisträgern, die beide aus Europa stammen.
Erstmals bestimmten auch fünf externe Jurymitglieder die beiden Nobelpreisträger
Vor einem Jahr noch war die ganze Existenz der Schwedischen Akademie infrage gestellt. Die Literatin Katarina Frostenson musste nach den #MeToo-Enthüllungen um ihren Ehemann, den Franzosen Jean-Claude Arnault, zurücktreten. Arnault wurde 2018 von einem Berufungsgericht in Stockholm zu zweieinhalb Jahren Haft wegen Vergewaltigung verurteilt. Über zwei Jahrzehnte hinweg soll er Frauen zum Sex gezwungen und damit gedroht haben, ihre Karriere zu zerstören.
Derweil lebte das Paar mit satter Unterstützung der Schwedischen Akademie in einer edlen Stockholmer Wohnung, ließ sich seine privaten Kulturaktivitäten fördern. Aus Protest gegen den Umgang mit dem Skandal traten drei weitere Mitglieder des 18-köpfigen Nobelpreisgremiums zurück. Sara Danius, seit 2015 Ständige Sekretärin und so etwas wie das Gesicht der Akademie, wurde zum Bauernopfer.
Heute verkauft die Schwedische Akademie, die durch ihre in zwei Jahrhunderten ständig wachsende Bedeutungsschwere ganz offensichtlich nicht mehr in der Lage war, an die eigene Fehlbarkeit überhaupt zu denken, die Erschütterungen als Chance, sich zu erneuern und zeitgemäßer zu werden. Zum ersten Mal bestimmten diesmal auch fünf externe Jurymitglieder die beiden Nobelpreisträger.
Hier finden Sie alle Nobelpreisträger 2019 im Überblick.
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