Ist Madonna noch Königin des Pop? So ist das neue Album
Natürlich bleibt Madonna eine Ikone. Aber was hat sie heute noch zu sagen? Nach all dem unvorteilhaften Wirbel zuletzt gibt das neue Album „Madame X“ nun eine Antwort.
Madonna veröffentlicht ein neues Album. Große Teile der vergangenen 35 Jahre hätte das gereicht, um die Massen zu elektrisieren. Erfolgreichste Sängerin aller Zeiten, Pop-Ikone, Königin des Pop, Ikone der Emanzipation und Queer-Bewegung … – wie viele Legendenmerkmale dürfen’s denn sein? Da musste gar nicht mehr sonderlich aufregend sein, was dann tatsächlich auf Alben wie zuletzt „MDNA“ oder „Rebel Heart“ drauf war.
Wie sie selbst am besten wusste und darum in zeitgemäß majestätischer Pose vor vier Jahren auch in einem Song postulierte, reichte allein schon das: „Bitch, I’m Madonna!“ Und im Video dazu bestätigten aktuelle Popprinzessinnen ihr Epigonentum durch Nachsprechen des Satzes: Miley Cyrus und Rita Ora, Katy Perry und – Beyoncé! Eine große knallbunte Party der Königin mit ihren Erbinnen also. Noch 2015.
Madonnas Majestätsbonus ist dahin
Diese Party ist jetzt vorbei. Zwar würde wohl niemand auf die Idee kommen, Madonna ihren Pop-Legenden-Status abzusprechen, ihrer großen Vergangenheit wegen – aber von der Majestät ist in der Gegenwart nicht viel übrig. Und dabei kann man Madonna den jüngsten unglücklichen Auftritt ja durchaus noch nachsehen. Denn dass eine Reporterin, die sie monatelang für die New York Times begleitet und auch zu Hause in London besucht hat, letztlich in ihrem Artikel den Star hauptsächlich mit dem Blick auf zunehmende Probleme der 60-Jährigen mit dem Alter beschrieben und sich zudem beklagt hat, Madonna habe ihr nicht genug „von ihren wirklichen Gedanken über ihr wirkliches Leben“ erzählt– das ist ja nicht einfach nur frech. Sondern es zeigt der Künstlerin allzu deutlich, dass von einem Status der Majestät nichts mehr übrig ist. Man darf sich jedenfalls sicher sein: Gegenüber der Königin unter den heutigen Pop-Interpretinnen, Beyoncé, würde sich keiner eine solche Respektlosigkeit erlauben, der sogar Einblicke ins Privatleben erhielt.
Auch darin zeigte sich wohl die Wirkung des vorherigen Fehltritts der Künstlerin selbst. Denn ihr Auftritt beim Eurovision Song Contest war unsouverän, ja unmajestätisch bis zur Peinlichkeit. Und wurde dadurch nur noch schlimmer, dass Madonna danach ein Video von dieser Performance ins Netz stellte, in dem der tatsächlich vielfach schmerzhaft entgleiste Gesang plötzlich durch Nachbearbeitung ziemlich in Ordnung war. Die Häme verdoppelte sich – aber ebenso wurde auch das Rätsel nur noch größer, wie ein solches Fiasko was ausgerechnet diesem Vollprofi der Selbstinszenierung passieren konnte. Zeit für einen Abgesang auf Madonna also? Oder ist es doch wieder so wie bereits vor 20 Jahren, als auch schon nicht wenige an ihr und ihrer Relevanz zweifelten und sie genau dann mit „Ray of Light“ ein wirklich starkes Album vorlegte?
Darum jetzt also: Madonna veröffentlicht ein neues Album – und alles schaut wieder mal wirklich gespannt darauf. Unter ganz anderen Vorzeichen allerdings, ohne Gewogenheit, ohne Respekt. Nur allzu bereit, endgültig den Daumen zu senken. Und so lasen sich auch die ersten, eiligen, schon Tage kursierenden Vorab-Besprechungen des morgen erscheinenden Albums: Desaster! Das Ende! Oder aber: Meisterwerk! Was stimmt denn nun?
Madonnas neues Album hat kein Konzept, keinen Hit. Aber...
„Madame X“ heißt die Platte und bedeutet damit nicht nur, dass Madonna persönlich offenbar eine Sphinx zu bleiben gedenkt, sondern deutet auch darauf hin, dass sie sich auch, was den Inhalt der Platte angeht, auf so gar nichts festlegen wollte. Sie hat, dieser Eindruck stellt sich am Ende der 13 Songs ein, einfach gemacht, was sie wollte und sich dazu mal wieder im Pop angesagte Künstler und Produzenten geladen. Rapper wie Quavo, Produzenten wie Diplo und Mirwais …
Das hübsch Heimtückische daran ist: dass man nach dem ersten Hören des Albums allzu leicht zum Verriss greift. Denn die Songs wirken wie das bereits beim ESC vorgestellte Reggae-Stückchen „Future“ belanglos; oder bizarr missglückt wie das mittendrin plötzlich zu Computer-Kirmes–Musik abbrechende „Dark Ballet“; oder dem Zeitgeist hinterherhechelnd, R&B wie in „Crave“, House wie in „I Don’t Search I Find“. Natürlich ist die live offenbar problematische Stimme immer elektronisch bearbeitet bis betont verzerrt. Und natürlich tönen die Texte oft von Bedeutsamem. In „Killers Who Are Partying“ etwa stellt sie sich gleich auf die Seite aller potenziell Unterdrückten, Schwulen und Muslime, Israelis und Indianer … Und einen Gendersong gibt es etwa mit „Dark Ballet“ freilich auch. Dafür traut sich Madonna zum Auftakt im zeitgemäßen Latinosong „Medellín“ gleich mal an die unfassbare Tanzkurs-Plattheit von „One, two – cha cha cha“.
Allemal besser als „American Pie“
Nein, Konzept hat das keines. Hit auch keinen. Dafür wächst das Album „Madame X“ von Mal zu Mal. Und unversehens wird daraus so: nein, kein bedeutendes Opus – aber ein richtig gutes Pop-Album. Eines nämlich, das von der Lust einer Künstlerin zeugt, sich in der Musik auch immer wieder neu auszuprobieren. Ja, ein Meisterwerk wäre die überzeugendere Antwort auf all den Brassel gewesen. Aber dies ist wohl die ehrlichere: Madonna spielt einfach weiter. Ja, auch mit 60, ja, mit bearbeiteter Stimme, ja, auch mit bearbeitetem Aussehen. Wenn’s ihr Spaß macht und solcherlei Ergebnis zeigt – okay! Allemal besser als Hits wie zuletzt etwa „Hung Up“ oder „American Pie“. Und dass die Popwelt sie nun nicht mehr als Königin ansieht, ist ihr hoffentlich auch vollkommen egal. Diesmal singt sie jedenfalls „Bitch, I’m Loca“ – und „Loca“ heißt einfach verrückt.
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