#MeToo ist maßgeblich in der Kunstszene
Zu den einflussreichsten Faktoren der Branche gehört die Kampagne gegen Missbrauch
Seit Jahren tummeln sich die immer gleichen einflussreichen Strippenzieher auf den vorderen Plätzen des Kunstrankings „Power 100“: Galeristen, milliardenschwere Sammler, gefragte Künstler und Kuratoren. 2018 hievt das renommierte britische Kunstmagazin ArtReview den in New York ansässigen deutschen Galeristen David Zwirner auf Platz eins. Die eigentliche Überraschung folgt aber dahinter: Rebellierende Frauen und schwarze Künstler erschüttern das Machtgefüge in der Kunst. Mit der weltweiten #MeToo-Kampagne gegen sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch hat erstmals eine gesellschaftliche Bewegung den Sprung in die „Power 100“ geschafft – aus dem Stand auf Platz drei. Und der kritische afroamerikanische Künstler Kerry James Marshall schoss von Platz 68 auf Rang zwei hoch.
„Wir leben in einer Zeit, in der man sich politisch wieder viel klarer bekennen muss“, sagt die global vernetzte Berliner Galeristin Esther Schipper, die auch 2018 wieder im Mittelfeld der „Power 100“ platziert ist. Dass #MeToo zum Machtfaktor in der Kunst geworden ist, findet sie folgerichtig. „Gerade in einem Feld, wo man fortschrittlich denkt und viel früher als andere inhaltlich eine Avantgarde darstellt, ist es geradezu entrüstend, dass es so viel Machtmissbrauch in unseren Reihen gibt.“ Die durch die Affäre um den Hollywood-Filmproduzenten Harvey Weinstein ausgelöste #MeToo-Bewegung hatte auch in der Kunstwelt zu Rücktritten einflussreicher Kunstmanager geführt.
Vor allem aber hat die weltweite Kampagne gegen Sexismus eine Debatte entfacht, wie viel weibliche Nacktheit überhaupt in den Museen gezeigt werden darf. Kurz: Die Frage der Kunstfreiheit wird durch #MeToo neu verhandelt. Das mündete darin, dass etwa in der Manchester Art Gallery das Bild „Hylas und die Nymphen“ (1896) des englischen Malers John William Waterhouse medienwirksam abgehängt wurde. Und tausende Menschen schlossen sich einer Online-Petition an, das Bild des Malers Balthus, „Thérèse, träumend“, im New Yorker Metropolitan-Museum zu entfernen. Das Bild zeigt ein junges Mädchen mit hochgerutschtem Rock.
„Ich glaube, sie wäre nicht so mächtig, wenn sie nicht gebraucht würde“, sagt ArtReview-Herausgeber Mark Rappolt über die #MeToo-Bewegung. „Es gibt eine wachsende Sorge darüber, wie wir Macht nutzen. Das zeigt auch die Liste dieses Jahres.“ In der Kunst gebe es den Wunsch, „eine größere Geschichte zu erzählen“. Man müsse endlich anerkennen, „dass gewisse Leute ausgeschlossen sind aus der Kunstgeschichte und der zeitgenössischen Kunst“.
Kerry James Marshall etwa (*1955), der in den USA mit großen Ausstellungen gefeiert wird, malt ausschließlich schwarze Figuren – „aufsässige und feierliche Aussagen über das Schwarz-Sein in einem Medium, in dem Afroamerikaner oft unsichtbar gewesen sind“, schrieb das New Yorker Met-Breuer-Museum. Galerist Zwirner gehört schon seit Jahren zur Spitze der „Power 100“, der Jahresumsatz seiner Galerien liegt Medienberichten zufolge bei rund einer halben Milliarde Dollar. Zu den Künstlern, die Zwirner vertritt, gehören der deutsche Fotokünstler Wolfgang Tillmans – und Marshall. (dpa)
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