Menschenmassen im Museum: Der Louvre leidet an Verstopfung
Abertausende wollen die Jubiläumsschau in Paris sehen – und noch mehr täglich die Mona Lisa. Im Museum geht’s zu wie am Gare de l’Est im Berufsverkehr.
Welche Menschenmassen der Name Leonardo da Vinci mobilisiert, ist schon verwirrend, wenn dazu das sonstige Bevölkerungsinteresse an 500 Jahre toten Altmeistern in Bezug gesetzt wird.
Ohne Online-Buchung geht gar nichts bei der großen Leonardo-Schau derzeit in Paris. Stand Freitagnachmittag: Besuch möglich erst ab 6. Januar 2020. Und wer im Louvre – außerhalb der Leonardo-Schau – nur die Mona Lisa an ihrem angestammten Platz begucken möchte, stößt auf ein Tohuwabohu wie am Gare de l’Est in der Rushhour. Es vergeht keine halbe Minute, da nicht jemand in den Trauben an Besuchern der italienischen Louvre-Abteilung sich irgendwo ein wenig zu weit vorbeugt – und Alarmpfeifen oder Alarmsirenen auslöst. 30.000 Menschen werden hier tagtäglich durchgeschleust, zehn Millionen im Jahr 2018, die 2019 wohl übertroffen werden – allein wegen dieses Beyoncé-Videos.
Direkt gegenüber der Mona Lisa, vor der man sich – wie am Flughafen zum Einchecken – in einem gewundenen, abgesperrten Gang anstellen muss, um dann kurz über Dreieinhalb-Meter-Distanz einen Blick auf ihr rätselhaftes, süffisantes (?) Lächeln werfen zu können, hängt Veroneses „Hochzeit zu Kana“. Ein großes und großartiges Gemälde mit eingearbeiteten Porträts von unter anderem Tizian, Tintoretto und Karl V. – nur: im Grunde unbeachtet. Abgesehen vom Raum-Lärm kann es in Nahsicht über Stunden hinweg eingehend studiert werden.
Der Wunsch, ein Selfie mit Mona Lisa zu schießen
So groß ist das Gedränge mit dem Wunsch, ein Selfie mit Mona Lisa zu schießen, dass jüngst die New York Times den so praxis- wie gewinnorientierten Vorschlag machte, die Mona Lisa aus dem Louvre auszugliedern und ihr, vielleicht in den Tuilerien, einen eigenen Pavillon zu bauen. Für den dann natürlich auch extra Eintrittsgeld verlangt wird. Tatsächlich wird zunächst eine andere Problemlösung angestrebt: Zeitfenster-Tickets und ein Besucher-Leitsystem mit neuen Zugängen zu La Gioconda.
Indessen hängt in der Jubiläums-Leonardo-Schau gar nicht jenes Bild, das in den vergangenen zwei Jahren aufgrund seines irrsinnigen Versteigerungspreises von 450 Millionen Dollar (15. November 2017) so viel Staunen, so viel Kopfschütteln auslöste: Der Salvator Mundi, der 2011 in London von einigen Kunsthistorikern Leonardo zugeschrieben worden war, danach aber – und eher zunehmend – auf Echtheitszweifel stieß. Offiziell heißt es im Louvre, er sei zur Ausstellung angefragt worden. Tatsächlich aber hängt er nicht.
Wie ist das zu erklären, da doch der Eigentümer – zuletzt war von dem repressiven saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman die Rede – im Grunde starkes Interesse an der Pariser Präsentation haben müsste? Und zwar aus Gründen des echten Umfelds, einer möglichen Bestätigung der Leonardo-Zuschreibung und des damit verbundenen Werterhalts beziehungsweise gar eines Wertzuwachses.
Versammelte Zweifel am 450-Millionen-Salvator-Mundi
Es wird wohl so gewesen sein: Der Anfrage aus Paris folgte die Rückfrage: Als was wollt Ihr ihn denn zeigen? Als originalen Leonardo? Als Leonardo mit Einschränkung? Als Leonardo-Werkstatt? Als Leonardo-Umkreis? Es gibt da viele, viele Möglichkeiten der Nuancierung und Abstufung.
Und da der Louvre dann jene Zweifel hatte vorab bekennen müssen, die jetzt auch im Katalog der Schau subsumiert werden, kamen potenzieller Leihgeber und potenzieller Leihnehmer eben nicht zusammen. Der Louvre wollte das Bild nicht direkt oder indirekt adeln beziehungsweise zertifizieren, der Besitzer es nicht madig gemacht bekommen. Kunsthistorisch betrachtet schwebt nun der segnende Christus.
Freilich: Der Louvre ist ein großes Museum und bietet, ohne dass er extra darauf hinweisen müsste, Ersatz: In der Leonardo-Schau durch den sogenannten Ganay-Salvator, der heute als Kopie eines möglichen echten, aber verschollenen Leonardo-Salvators gilt (er trägt den Namen nach seinem ehemaligen Besitzer Marquis de Ganay); dazu durch ein lombardisches Fresko um 1522, das wohl von Leonardo inspiriert wurde; schließlich durch den Salvator Mundi des Antwerpener Altmeisters Joos van Cleve, der Italien bereist hatte und sich ebenfalls von Leonardo hatte beeinflussen lassen (Abbildungen oben).
Fast ist man geneigt, der gesicherten Salvator-Mundi-Version Joos van Cleves aus den Jahren um 1512 den Vorzug geben zu wollen vor der ungesicherten, etwas verwaschenen Silberblick-Salvator-Mundi-Version, die 450 Millionen Dollar in die Christie’s-Kasse schwemmte.
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