Bernard Haitink führte ein Leben im Dienste der Partitur
Der weltweit gefragte Dirigent Bernard Haitink verstarb 92-jährig in London. Er war eine Respektsperson und gleichzeitig auch ein Star.
Er wusste genau, was er wollte, aber er war weder ein Imperator am Pult noch ein Orchesterleiter, der „für die Galerie“ demonstrierte, welchen Einfluss er besaß.
Stattdessen vertrat er – selten ist er geworden – den Typus des dienenden Interpreten, der ein Werk und seine Aussage in den Mittelpunkt tönender Betrachtung rückt – nicht den überrumpelnden Effekt, der sich damit auch erzielen ließe … So wurde er, sich in seiner langen Laufbahn steigernd von Jahr zu Jahr, zu einem der ernsthaftesten, Klarheit, Kontrolle und Objektivität beanspruchenden Dirigenten der jüngeren Aufführungsgeschichte. Eine Respektsperson – und ein Star-Dirigent, der zweifelnd, skrupulös, nüchtern alles andere sein wollte als ein Star.
Aber nun ist Bernard Haitink, der Anfang 2019 noch davon sprach, ein „Sabbatical“ einlegen zu wollen, sich im Herbst 2019 aber dann doch endgültig von der Konzertbühne verabschiedete, gestorben – sanft und friedlich, wie seine Familie am Donnerstag in London mitgeteilt hat.
Zuallererst war Bernard Haitink seiner Geburtsstadt Amsterdam verbunden
London zählte auch zu den wesentlichen Lebensstationen Haitinks, der dort unter anderem zwischen 1987 und 1998 das Royal Opera House musikalisch leitete – bevor er ab 2002 den Posten des Chefdirigenten der Staatskapelle Dresden einnahm. Aber zuerst, zuallererst war Bernard Haitink, viermal verheiratet, dem Concertgebouw-Orchester seiner Geburtsstadt Amsterdam verbunden.
Hier sprang er 1956 folgenreich für Carlo Maria Giulini ein, hier wurde er 1959 erster Dirigent und dann zwei Jahre später – zusammen übrigens mit Eugen Jochum aus Babenhausen – Chefdirigent. Und von 1964 bis 1987 stand Haitink alleine an der Spitze dieses Orchesters mit seiner reichen Gustav-Mahler-Tradition, die Haitink insbesondere alljährlich in der Adventszeit bewunderungswürdig fortführte.
Überhaupt waren – neben Beethoven und Schostakowitsch – die deutsch-österreichische Romantik und Spätromantik das Standbein des Konzertdirigenten Haitink: Schumann, Brahms, Bruckner. Einige Jahre Ende der 1980er blieb das Verhältnis Haitink-Concertgebouw getrübt, weil er über die Nichtverlängerung seines Vertrags enttäuscht war, aber das renkte sich wieder ein – neben den Verpflichtungen Haitinks in aller Welt: das Boston und das Chicago Symphony Orchestra wollten um die Jahrtausendwende regelmäßig von ihm profitieren und bestellten ihn als ersten Gastdirigenten – und natürlich war er auch in Berlin, Wien und in München beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu Gast, wo seine Dirigate stets als Hochamt im Glauben an die Kraft der Musik und als Hochamt im Wissen um die Kraft der Partitur entgegengenommen wurden.
Im Gasteig München verabschiedete sich Haitink 2019 mit Beethovens neunter Sinfonie.
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