Harry Rowohlt - ein Bär von großem Verstand
Ach, welch deutsches Glück, dass Harry Rowohlt nie nur Verlagserbe sein wollte. Er war„Lindenstraße“-Urgestein, großer Übersetzer, genialer Vorleser, fabelhafter Kolumnist …
Wahrhaftig, er war ein Bär. Und nicht nur, weil ihn seine Übersetzung des US-Kinderbuchs „Winnie-the-Pooh“ so bekannt gemacht hatte, dass er später auch seine wunderbare Kolumne für Die Zeit unter dem Titel veröffentlichte: „Pooh’s Corner – Meinungen eines Bären von geringem Verstand“. Nein, die wuchtige Gestalt, der mächtige Bart und diese im Whiskeyfass gereifte Stimme – er war es leibhaftig. Und wehe, man machte ihn wild …
Harry Rowohlt jahrelang in Lindenstraße zu sehen
Aber zunächst: Was wäre der deutschen Kultur nicht alles verloren gegangen, wenn Harry das Erbe seines Verlegervaters Ernst Rowohlt angetreten hätte. Aber zum Glück fand er nach Lehre bei Suhrkamp und Volontariat im eigenen Haus die geschäftliche Seite an der Literatur „schrecklich“. Und so widmete er fortan sein ganzes, sein großes Können und seine ganze, seine große Hingabe der künstlerischen Seite. Und doch kannten ihn wohl die meisten, weil Harry Rowohlt über so viele Jahre hinweg in der „Lindenstraße“ zu sehen war.
Zur Nebenrolle des Penners Harry war er gekommen, weil er in einem Interview die Frage nach seinem Lieblingsrestaurant mit dem „Akropolis“ der Fernsehserie beantwortet hatte. So folgenreich sein Späßchen in diesem Fall war, so treffend waren seine Pointen oft. Als die taz etwa vor einigen Jahren viele Prominente fragte: „1. Sind Sie links? 2. Was heißt es heute, links zu sein?“, antworteten viele bemüht wort- und geistreich. Harry Rowohlt: „1. Ja. 2. Keine Ahnung.“
Und dabei liebte er doch gerade die Reichhaltigkeit der Sprache so sehr, die so exakt, so schön und so amüsant sein kann – wenn man sie beherrscht.
Er tat es. Das war bereits in seinen vielen Übersetzungen aus dem Englischen zu erleben. Noch vor „Pu der Bär“ war ihm deshalb 1971 mit seiner Übertragung von Alexander Sutherland Neills „The Last Ma Alive“ zum deutschen Buch „Grüne Wolke“ das Kunststück gelungen, erstmals ein Kinderbuch in die Bestsellerliste zu bringen. Aber er verschaffte auch großen Autoren wie Robert Crumb, Kurt Vonnegut, Frank McCourt und David Sedaris konstant einen eigenen deutschen Ton. Manche, wie William Kotzwinkle und Flan O’Brian, sind wohl nur dank ihrem Übersetzer hierzulande bekannt geworden.
Rowohlt belebte Lesereisen mit seiner unglaublichen Stimme
Und was war das erst für ein Spracherlebnis, wenn Rowohlt diese Werke auf seinen Lesereisen mit dieser unglaublichen Stimme belebte! (Er hat übrigens auch den sprechenden Baum in „Herr der Ringe“ synchronisiert und kongenial „Die Schatzinsel“ als Hörbuch eingelesen). Über viele Jahre wurden daraus rauschhaft ausufernde Leseexzesse über vier und mehr Stunden hinweg, samt Unmengen von irischem Whiskey und filterlosen Zigaretten. Während das Qualmen bis zuletzt seinen Bart verfärbte, ersetzte seit 2007 Wasser den Whiskey. Damals bekam Harry Rowohlt die Diagnose Polyneuropathie gestellt – eine unheilbare Nervenkrankheit, an der der Hamburger am Montag 70-jährig gestorben ist.
Zahm war der Bär auch in seinen letzten Jahren nie geworden. Wer für den Abdruck eines Interviews seinen Wortlaut auch nur leicht zu verändern vorschlug, oh, der bekam wildes Knurren zu hören: „Ich bin doch kein altes Mütterchen, das Formulierungshilfe bräuchte.“
Fürwahr. Ach, knurrte er doch noch und fabulierte fort für immer.
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