Neue Akzente bei diesjährigen Passionsspielen in Waal
Die Ostallgäuer Marktgemeinde Waal veranstaltet in diesem Jahr wieder Passionsspiele. Regisseur und Laien-Ensemble setzen nur wenige, aber durchaus passende neue Akzente.
2000 Jahre Überlieferung, 400 Jahre Tradition vor Ort, dazu die uralte Frage nach Gut und Böse und die recht moderne, wie man ein christliches Urthema in einer säkularen Zeit auf der Theaterbühne vermittelt. Es ist ein schon fast beängstigend weites Feld, in das sich Regisseur Florian Martin Werner zusammen mit den hunderten von ehrenamtlichen Mitwirkenden der Waaler Passionsspiele wagt. Doch die aktuelle Inszenierung des Leidens und Sterbens Christi in der Marktgemeinde im nördlichen Ostallgäu lässt kaum etwas von diesen Zwängen spüren. Werner und sein zum Teil langjährig tätiges Laien-Ensemble wissen um die Kraft und den Wert des Überkommenen, um den Reiz des Authentischen und setzen nur wenige, durchaus aber passende neue Akzente.
Nicht nur Jesus-Darsteller beeindruckt
Augenfälligster Beleg dafür ist Jesus-Darsteller Benedikt Hornung. Er ist kein souveräner Gottessohn, der in Allwissenheit sein Heilswerk in die Tat umsetzt. Vielmehr spielt Hornung einen zurückhaltenden, ruhigen Christus-Menschen, dem man ansieht, dass er immer wieder mit seiner großen Aufgabe ringt, sie reflektiert und entsprechend spricht und handelt. Sein Charisma kommt aus dem Inneren, es blendet nicht. Das gilt für die traditionelle Einleitungsszene, in der Christus nach der Vertreibung von Adam (gewandt: Bernhard Fritsch) und Eva (Ulrike Völk) aus dem Paradies für die Menschen eintritt und damit Luzifer (wortgewaltig: Michael Klein) und Gailmund, seinen listigen Helfer in Schlangengestalt (herrlich diabolisch: Dietmar Ledel), zur Weißglut bringt. Auch bei der Vertreibung der Händler aus dem Tempel blitzt nur kurz ein zorniger Messias durch. Und bei Vernehmung, Geißelung und Kreuzigung beeindruckt der Jesus-Darsteller nicht durch expressiv ausgespieltes Leiden, sondern durch stilleres, aber wohlgesetztes Spiel. Maria (Anita Birgmeier) und Johannes (Michael Völk) tun es ihm gleich, während der Verräter Judas (Werner Demmler) einen aussdrucksstarken Kontrapunkt dazu setzt.
Laienspieler dürfen weitgehend bleiben, wie sie sind
Darüber hinaus wird Hornung von einem enormen Ensemble umgeben, dem sowohl der Regisseur als auch die barocke Textvorlage, die Arthur Maximilian Miller für die heutige Zeit bearbeitet hat, viel Raum zur Entfaltung lassen. Dafür sorgen schon allein die drei Textebenen: Die Hauptdarsteller sprechen in Reimen, die „Mittelschicht“ in hochdeutscher Prosa, das „Volk“ im Allgäuer Dialekt. Gerade von Letzterem wird gerne – und gerne auch derb – Gebrauch gemacht. Das führt einerseits zu humorvollen Akzenten, andererseits aber auch zu überraschenden Effekten: Etwa wenn die römischen Soldaten vor der Geißelung in breitestem Schwäbisch tiefsinnig über das Schlechte in der Welt und das stets tragische Schicksal von „heiligen Männern“ philosophieren. Hinzu kommt, dass die Laienspieler weitgehend so bleiben dürfen, wie sie sind. Der Hohe Rat oder auch der Kreis der Jünger, das sind bunte Gruppen von authentischen Persönlichkeiten mit eigener Gestik, Sprach- und Spielgewandtheit. Sie mit den passenden Rollen zu betrauen, ist Regisseur Werner vorzüglich gelungen.
Solide Arbeit hat der Spielleiter, der hauptberuflich Intendant des Landsberger Stadttheaters ist, auch bei der dramaturgischen Gestaltung der Passion geleistet. Eine von ihm neu eingefügte Szene zeigt Jesus zu Gast bei Josef von Arimathia (Alois Porzelius). Bei diesem Treffen kommt auch Maria Magdalena (Beate Kusterer) erstmals ins Spiel. Sie salbt Jesus die Füße. Doch er weist sie an, die wertvollen Öle für seine Beisetzung aufzusparen. Ein Kunstgriff, der Elemente aus dem Neuen Testament frei kombiniert und so die Heilsgeschichte stringenter macht.
Ebenfalls behutsam verändert wurde der Einsatz des Theaterchors, den Hans Joachim Willrich zusammen mit Franz Barta leitet. Im zweiten Teil des Spiels variieren die Sänger eine durch Willrich neu gesetzte Fassung von „O Haupt voll Blut und Wunden“, die im Gegensatz zu anderen Teilen des Repertoires sehr genau zum Klangkörper passt.
Waaler Passionsspiel macht Hoffnung
Beim insgesamt wohltuend schlichten Bühnenbild arbeiten die Waaler zum einen wieder mit ansprechenden Projektionen, gestaltet von der örtlichen Künstlerin Jea-nette Arndt. Zum anderen wurde auf der Bühne erstmals ein angedeuteter Berg errichtet. Auf diesem versammelt sich bei den Massenszenen das Volk, er ist der Schauplatz der intensiv gestalteten Ölbergszene und dient schließlich als Ort der Kreuzigung. Einzig die Lichttechnik – sie ist vielleicht etwas zu spartanisch gestaltet.
Insgesamt aber auf jeden Fall eine Inszenierung, die optimistisch stimmt für das anspruchsvolle christliche Bühnenspiel in Waal. Eine Passion, die in ihrer Ursprünglichkeit, aber auch in ihrer professionellen Begleitung Hoffnung macht – nicht nur den Christen im Publikum, sondern auch den Theaterfreunden.
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