Was bedeutet der Grammy-Triumph von Billie Eilish?
Schluss mit dem Pop-Prinzessinnen-Pomp, Ende des Madonna-Prinzips. Dafür steht auch die dreifach ausgezeichnete Lizzo
15 Jahre ist es her, dass zum ersten Mal Musikstars über einen Hype im Internet geboren wurden. Es war die britische Rockband Arctic Monkeys, der bis heute gelungen ist, weder ihr Talent unter dem Erwartungsdruck zu verscherbeln noch persönlich am Erfolg zu zerbrechen – sie sind groß und dabei eigenwillig geblieben.
Seitdem ist der Entdeckungspfad online zur neuen Autobahn der Branche geworden. Die Musik aber, die auf diesem Weg an die Spitze gespült wird, ist eine ganz andere.
Die nun in Los Angeles, in der Heimat der Popmusik vergebenen und noch immer als wichtigster Musikpreis geltenden Grammys sind der beste Beweis. Männer mit Gitarren spielen längst nur noch Nebenrollen – unter den acht Nominierten fürs „Beste Album“ waren nur entfernt rockig die Arctic-Monkeys-ähnlichen Vampire Weekend. Die Popwelt ist weiblich dominiert, hat aber den nächsten Schritt bereits vollzogen: Nicht Taylor Swift, Beyoncé oder Ariana Grande haben abgeräumt, Miley Cyrus und Katy Perry wurden nicht vermisst. Ein Modell steht vor der Ablösung.
Keine Revue-Showtreppen mehr
Siegerin in den vier Hauptkategorien mit Album und Song, Produktion und Entdeckung des Jahres wurde die gerade erst 18-jährige Billie Eilish. Ergänzt durch weitere Auszeichnungen etwa für „Bestes Pop-Gesangsalbum“ oder auch zwei Produzentenpreise für Finneas O’Connell, Billies Bruder, mit dem zusammen sie ihre Musik – noch im Elternhaus in Los Angeles wohnend – aufgenommen hat. Auch dieser Erfolg, kürzlich zudem mit dem Auftrag für den neuen Bond-Song gekrönt, ist im Internet herangewachsen, im Lauf von Jahren, angefangen mit dem Song „Ocean Eyes“. Inzwischen ist jedes Lied des Albums „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ hundertmillionenfach in den Netzen gehört worden, Billies Hit „Bad Guy“ weit im Milliardenbereich, sie hat an die 50 Millionen Follower. Und ist dabei weit entfernt von poppigem Trallala, sexy Inszenierung und schillernder Erscheinung. Auch live gibt es hier keine Showtreppen.
Immer in weiten Klamotten auftretend, sich mit Wahn- und Horror-Effekten präsentierend, unter anderem von Ängsten, Depressionen und Selbstmordgedanken singend zur feinen elektronischen Basis des soundtüftelnden Bruders – so sieht diese neue Erscheinung des Pop aus, wirkt verletzlich und unverstellt, auch im Verarbeiten ihrer Tourette-Erkrankung und im Bekenntnis zum Veganertum. Die heute unweigerliche Verknüpfung von Privatem und Künstlerischem vollzieht sie ganz anders als die Show- und Boulevard-Spektakel bisheriger Pop-Prinzessinnen.
Und dann war da noch Lil Nas X
Und Billie Eilish ist nicht das einzige Indiz dafür. Noch häufiger als diese nominiert und letztlich vor allem im Bereich R&B prämiert wurde die Sängerin Lizzo. Auch die macht zwar schon Jahre Musik, stieß aber nun mit ihrem ersten herkömmlichen Album, „Cuz I Love You“, und Hits wie „Truth Hurts“ so sehr in die Breitenwirkung durch, dass die New York Times die 32-Jährige aus Detroit zur einflussreichsten Entertainerin 2019 kürte und Lizzo auch im Star-Kino mit „Hustlers“ gerade im Stripperinnen-Milieu neben Jennifer Lopez für ihre Botschaft eintreten konnte: „Body Positivity“ – ein selbstliebendes und lebensbefreiendes Ja zu einem Körper, der nicht nach Prinzessin aussieht. Und der auch nicht dunkelhäutig nur vermeintlich gegen-ikonisch wie der einer Beyoncé inszeniert sein muss – diese im besten Sinne wuchtige Frau ist eher eine Soul singende, aber auch rappende Wiedergängerin von Beth Dito mit ihrer Band Gossip.
Allein was das klassische Macho-Game des Rap angeht, ist die Musikwelt der Grammys noch eine männliche geblieben, von großartigen Frauen wie Little Simz oder Jamila Woods fehlte noch jede Spur. Aber immerhin wurde auch der 20-jährige Lil Nas X mit seinem zum Sommerhit avancierten „Old Town Road“, ausgerechnet queer und dunkelhäutig zu Country reimend, auch doppelt ausgezeichnet.
Die Zeit scheint reif für neue Typen. Wenn die es denn auch aushalten. Man möchte vor allem dieser 18-jährigen Billie jedenfalls die Coolness und Souveränität wünschen, die sich die Arctic Monkeys erhalten haben – immer auch auf Abstand zu der plötzlichen Bestätigung, sich um die eigene Entwicklung gekümmert, bei allen Rechnungen, die im Erfolgsfall aufgemacht werden, unberechenbar – und in der Kunst aktiv und am Leben geblieben. Alles Gute!
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