Premiere: In Salzburg lässt Poppea die Römer tanzen
Bei den Festspielen bevölkert der Theatermacher Jan Lauwers Monteverdis Oper mit einer Vielzahl von Tanz-Aktionen. Mit dabei: Star-Sopranistin Sonya Yoncheva.
Es ist der Sommer der römisch-antiken Zeitenwende in Salzburg. Nebenan, in der Felsenreitschule, geben sie „Salome“, die um das Jahr 30 nach der Geburt Christi spielt. Hier, im Haus für Mozart, geht bei den Festspielen nun Claudio Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ über die Bühne, worin eine der Zentrafiguren der Kaiser Nero ist, der nur ein paar Jahre später das römische Reich beherrschte.
Kaum Zeit vergangen auch seit der letzten Salzburger „Poppea“ – gerade mal ein Jahr. Zu Monteverdis 450. Geburtstag hatte der Dirigent John Eliot Gardiner 2017 alle drei Bühnenwerke des Begründers der Gattung Oper zu den Sommerfestspielen gebracht, allerdings in halbszenischer Aufführung. Man staunte, welche Kraft die nur von wenig Kostüm und spärlicher Geste gestützte Musik zu entfalten vermochte. Nun also, zwölf Monate später, die vollszenische Variante.
„Die Krönung der Poppea“ ist die erste Oper der Geschichte, die sich von Göttern und Heroen verabschiedet und ein historisches Ereignis aufgreift: Die Schwärmerei Neros für Poppea, deretwegen er seine Gattin Ottavia verstößt und den mahnenden Philosophen Seneca in den Tod treibt, um letztendlich Poppea zur Frau zu nehmen und zur Kaiserin zu erheben. Giovanni Francesco Busenello hat diese Realgeschichte in ein glänzendes, die römische Unmoral satirisch bloßstellendes Libretto gepackt, das seine Figuren dennoch nicht einem simplen Gut-Böse-Schema opfert – ganz wie es Monteverdi getan hat, der dem gefühlskorrupten Paar Nero-Poppea ein paar seiner allerschönsten Melodien in die Stimmen legte.
Toll trieben es die alten Römer
Der Belgier Jan Lauwers ist einer jener Theatermacher, die auf realistische Darstellung des Geschehens verzichten. In seiner Inszenierung lässt er neben den Sängern auch ein eigens zusammengestelltes Ensemble von Tänzern in antikisierend-hippiehafter Kostümierung auftreten. Diese begleiten den Gang der Handlung assoziativ-kommentierend, gern in stilisiert erotischen Gesten oder auch mit Chiffren menschlicher Hinfälligkeit. Sie bilden lebende Tableaus, steigen auf Stühle, besudeln sich mit roter Farbe. Da ist allerhand Aktion bis hin zum Ismus geboten, und wenn sich überhaupt ein Zusammenhang mit der Opernhandlung herstellen lässt, dann vielleicht der: Toll trieben es die alten Römer.
Solch einen Gedanken legt auch das Bühnenbodenbild nahe, das ein gemaltes Gewimmel ineinander verschlungener nackter Leiber zeigt. Hier mittendrin, auf einem kleinen runden Podest, ragt auch eine bewegte Konstante der Inszenierung auf: Ein während der ganzen gut drei Stunden dauernden Aufführung wie ein Derwisch um die eigene Achse rotierender Tänzer. Was das besagen soll? Die Welt, sie dreht sich unablässig weiter, o fortuna, wandelbar wie Luna …? Nur, so recht packen, bereichern will es einen nicht, dieses „postdramatische“ Theater des Jan Lauwers. Dafür bekommt man vom Zuschauen irgendwann einen Drehwurm.
War es im vergangenen Jahr John Eliot Gardiner, so ist es diesmal ein anderer Doyen der Alten Musik, der bei Monteverdi die Fäden zusammenhält: William Christie. Für seine Salzburger „Poppea“ hat er seinem Ensemble Les Arts Florissants ein radikales Klangkonzept erstellt, ausgehend davon, dass gerade bei dieser Oper die Überlieferung der Instrumentalbesetzung alles andere als gesichert ist. Und so bietet Christie gerade mal fünf Musiker für die melodieführenden Instrumente Geige, Blockflöte und Zink auf, während mehr als die doppelte Zahl an Lauten, Cembali und Gamben zugange ist. Doch so dicht der Klang des Continuos gewoben ist, so sehr alles grundtönig murmelnd dahinrauscht, man vermisst auf Dauer doch den ein oder anderen zündenden Funken, die rhythmische Zuspitzung, die geschärfte, mitreißende Artikulation.
Gleichmütig fließt der Bass des Seneca
An schönen Stimmen herrscht in dieser Produktion kein Mangel, und das nicht nur beim Protagonistenpaar. Stéphanie d’Oustrac erhebt als verschmähte Ottavia ergreifende Klage, Ana Quintans bezirzt als Drusilla herzensvoll ihren Ottone, dem wiederum Carlo Vistoli alle Qualen der unerfüllten Liebe (zu Poppea) mitgibt. Eindrucksvoll zwischen all diesen von ihren Leidenschaften geschüttelten Stimmen der voller Gleichmut fließende Bass des Seneca von Renato Dolcini.
Allerdings, manch einer trieb es mit dem Versuch, dem Affekt eine möglichst realistische Vokalnote zu geben, zu weit. Dominique Visse etwa als Amme Arnalta. Oder Kate Lindsey, die als Nero allerlei Lautverfärbungen produzieren zu müssen meinte – was sie, der alle Mezzo-Glutfarben der Leidenschaft zur Verfügung stehen, gar nicht nötig hätte. Sonya Yoncheva wiederum hat man inzwischen mehr auf der Rechnung für die große Oper des 19. Jahrhunderts. Doch verbindet sie mit William Christie eine frühere enge Zusammenarbeit – und tatsächlich vermag sie als Poppea faszinierend die Farben der berechnend-liebenden Frau aufzufächern. Ihre Duette mit Kate Lindsey – keineswegs nur das „Pur ti miro“ – sind von enormer emotionaler Ladung, sind einfach sexy. Gerade für Yoncheva, den Sopranstar, am Ende einhelliger Jubel. In den sich, als Regisseur Lauwers die Bühne betrat, auch deutliche Ablehnung mischte.
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