Raus aus den Klischee-Ecken: Vom Winde verweht heißt jetzt vom Wind verweht
Der Weltbestseller „Gone with the wind“ liegt in neuer Fassung vor. Die Übersetzer aus Augsburg wehren sich gegen den Vorwurf, dass es ein rassistisches Buch sei.
Margaret Mitchells Roman war in der Nachkriegszeit ein sensationeller Erfolg. Wann sind Sie dem Roman das erste Mal begegnet?
Liat Himmelheber: Erst vor zwei Jahren. Meine Mutter hat ihn aber als Teenager verschlungen.
Deshalb stand es zu Hause im Regal?
Liat Himmelheber: Meine Eltern sind viel zu bildungsbürgerlich, um so etwas im Bücherregal zu haben. Das galt als Kitsch.
Wie sind Sie dann zum Roman gekommen?
Andreas Nohl: Ich bin in einem Kompendium der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts durch Zufall auf ein Foto von Margaret Mitchell gestoßen und fand das Gesicht interessant. Dann habe ich von ihrem frühen Tod 1949 erfahren und wurde neugierig. Ich dachte mir, eine Frau, die so intelligent aussieht, kann eigentlich kein dummes Buch geschrieben haben. Dann habe ich mir die Übersetzung besorgt und rasch erkannt, dass ich viele Dinge anders machen würde. Ich fand die Erstübersetzung nicht angemessen.
Weshalb?
Andreas Nohl: Schon wegen der Redeweise der Schwarzen. Der Übersetzer Beheim-Schwarzbach lässt sie in unerträglicher Weise radebrechen. Ich habe dann Liat, die viel schneller liest als ich, gebeten, sich das Original durchzulesen. Danach hat sie mir davon strikt abgeraten, das Buch zu machen.
Warum?
Liat Himmelheber: Ich hatte Probleme mit dem N-Wort. Mitchell benutzt ständig das damals gängige Wort „Negro“. Und es ist ein Buch über Rassisten, sowohl südstaatlicher als auch nordstaatlicher Art. Ich hatte Furcht, dass dieser Eindruck überwiegt. Wir haben aber z. B. das N-Wort vollständig getilgt, außer dort, wo Rassisten sprechen.
Andreas Nohl: Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass es sich nicht um einen rassistischen Roman handelt, sondern um einen Roman, der von einer rassistischen Zeit berichtet. Das ist für mich der entscheidende Unterschied. Außerdem war damals die Sprachempfindung eine andere. Das N-Wort war nicht so arg rassistisch konnotiert wie heute. Wenn wir statt Negros Schwarze schreiben, ist das im Sinn von Mitchell, die Wert darauf legte, dass keine Rassismen in der Erzählerstimme auftauchen. Wir trauen dem Leser zu, dass er zwischen Scarlett- und Erzählerinnen-Perspektive unterscheidet.
War das Buch schwierig zu übersetzen?
Liat Himmelheber: Literarisch birgt es keine Komplikationen. Man muss eine Sprachhaltung finden für die direkte Rede. Sie hat viele verschiedene Ebenen: Iren, Kleinbauern, gebildete Leute und die Schwarzen, die das Black Vernacular sprechen.
Den Dialekt der afroamerikanischen Bevölkerung. Wie haben Sie ihn übersetzt, als Kunstsprache?
Andreas Nohl: Nein, kein Kunstdialekt. Früher war es bei Übersetzungen sogar üblich, dass Leute aus dem Mississippi-Valley plötzlich Berlinerisch geredet haben. Das ist grotesk. Nein, wir gehen einen einfachen Weg. Wir schleifen die Sprache phonetisch ab. Es entsteht dadurch ein anderer Sprachklang. Das ist die Art, wie man im Deutschen Slang wiedergeben kann, ohne die Sprache zu entstellen.
Wie fällt Ihr Blick auf den Roman jetzt aus?
Andreas NohlWas ich schon vermutet hatte: Das Buch ist sehr viel besser als sein Ruf. Es ist ein sehr spannender historischer Roman aus der interessanten Perspektive einer jungen Frau. Uns ging es darum, das Buch aus diesen Klischee-Ecken rauszuholen, in die der Film es geschoben hat, aus der Kitsch- und Liebesschmonzetten-Ecke. Das Buch scheint mir jetzt auch in seiner stilistischen, etwas sachlicheren Haltung ein sehr modernes Buch geworden zu sein.
Liat Himmelheber: Ich habe es von allen Beteiligten am häufigsten gelesen. Bei jedem Lesen habe ich neue Qualitäten des Romans entdeckt – auch, wie gut das Buch gebaut ist.
Andreas Nohl: Ich nenne das Weltunterhaltungsliteratur.
In Deutschland ist es vor dem Zweiten Weltkrieg erschienen in einer Übersetzung von Martin Beheim-Schwarzbach. Worin unterscheidet sich Ihre?
Andreas Nohl Beheim-Schwarzbach wurde wie Mitchell um 1900 geboren. Aber anders als Mitchell hat er nicht die Modernitätsbewegung der Vereinigten Staaten mitgemacht. Für Mitchell war der journalistische Schreibstil prägend, eine schnörkellose, zupackende Sprache. Beheim-Schwarzbach ist noch in der wilhelminischen Zeit groß geworden und hatte den Sound der Neoromantik im Ohr. So wirkt seine Sprachhaltung stellenweise arg antiquiert, wenn zum Beispiel der berühmte Peachtree Creek Pfirsichbach heißt.
Liat Himmelheber: Außerdem hat Beheim-Schwarzbach neue Rassismen in den Roman gebracht, die es bei Mitchell nicht gibt. Bei ihm rollen die Neger mit den Augen und haben Wulstlippen, grässliche Klischees.
Andreas Nohl: Die sind bei uns nicht drin.
Liat Himmelheber: Wir haben das Buch übersetzt, wie sie es geschrieben hat. Zum ersten Mal ist das Buch in deutscher Sprache vollständig zu lesen.
Wie gehen Sie damit um, wenn Rezensenten sagen, dass das Buch ein rassistisches Buch ist, zum Beispiel in der Darstellung der Sklaven, die nicht in die Freiheit wollen?
Liat Himmelheber: Es ist ein Buch, das hauptsächlich aus Scarletts Sicht erzählt. Scarlett hat nicht so viel Kontakt zu den Feldsklaven, sondern mehr Kontakt zu den Haussklaven. Den Haussklaven ging es besser, sie waren in der Regel ihren Familien treu ergeben, wie es bei uns auch Dienstmädchen gab, die ihrer Familie treu ergeben waren. Das Buch weckt tatsächlich den Eindruck, dass viele Sklaven nicht befreit werden wollten. Man erfährt aber auch, dass die befreiten Sklaven von den Nordstaatlern im Stich gelassen wurden. Ihre ehemaligen Arbeitgeber nagten am Hungertuch, so dass es kaum Arbeit gab.
Andreas Nohl: Für mich ist es kein rassistischer Roman. Wer das behauptet, missversteht das Buch und missversteht Mitchell. Wir hätten im Übrigen auch keinen rassistischen Roman übersetzt. Wenn Sie Faulkners Bücher aus den 1930er Jahren lesen, die auch den Bürgerkrieg beschreiben, finden Sie genau die gleichen Verhältnisse vor.
Was ist denn das Faszinosum von „Vom Wind verweht“?
Andreas Nohl: Das Buch entwirft ein enormes gesellschaftliches Panorama. Es hat diese Liebesgeschichte. Es beschreibt die Reconstruction, die Zeit der Wiedereingliederung des Südens in den Norden. Ganz ähnlich wie West- und Ostdeutschland. Viele der Probleme, die wir erlebt haben, die Enteignung von der eigenen Biografie und Lebenskultur, von der gewohnten Sicherheit und Arbeitswelt, spiegeln sich dort wieder. Es wird ja gezeigt, wie der Kapitalismus in die Südstaaten eindringt, es kommen Spekulanten, die alles in Besitz nehmen und schnelles Geld machen, während die ursprüngliche Bevölkerung nur ohnmächtig zuschaut und verarmt.
Liat Himmelheber: Und dann hat das Buch auch etwas mit weiblicher Emanzipation zu tun. Eine junge Frau, die sich 1860 als selbstständige Unternehmerin durchsetzt: Das ist schon erstaunlich. Daraus kann man als junge Leserin durchaus Motivation und Ermutigung ziehen.
Die Übersetzer
Der Augsburger Schriftsteller Andreas Nohl hat bereits viele große Klassiker der englischen und amerikanischen Literatur ins Deutsche übersetzt (unter anderem Robert Louis Stevensons „Schatzinsel“ und Mark Twains „Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer“). Gemeinsam mit seiner Frau, der Opernsängerin Liat Himmelheber, hat er nun Margaret Mitchells Roman „Vom Wind verweht“ für den Kunstmann Verlag übersetzt. Die neue Übersetzung hat 1400 Seiten und kostet als gebundenes Buch 38 Euro.
Einen Bericht über eine Lesung des Übersetzers Andreas Nohl finden Sie hier.
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.
Die Diskussion ist geschlossen.
Was für ein riesengrosser Quatsch wieder! Dieses Buch und der Film , ebenso wie die Darsteller, sind und bleiben ein Klassiker! Liebe AZ schreibt doch über interessantere Themen...
" Vom Winde verweht" oder "Vom Wind verweht" oder "Vom Wind weg geblasen" ?
Schlimm, wenn man keine eigenen Ideen hat und nur Dinge kopiert und anders anstreicht. Wir leben halt im "Fake-Zeitalter".