Schluss mit Deckenhöhe 2,40 Meter
Die Schweiz verwirrt mit ihrem Pavillon. Und beim englischen müssen die Besucher gleich auf das Dach steigen.
Ein leere Wohnung? Die Schweizer scheinen das Motto der 16. Architekturbiennale bierernst genommen zu haben. Jede Menge „Freespace“ – Freiraum – gibt es hier, und alles ist auch noch so klinisch weiß getüncht, dass man gleich wieder umdrehen will. Damit würde man sich allerdings um ein besonderes Erlebnis bringen, Erkenntnisgewinn inklusive. Denn je weiter man in dieses Domizil eintaucht, desto größer oder kleiner werden Einbauschränke, Fenster und Türen. Mal ist man Gulliver, mal Liliputaner – oder einfach ein Kind. Mit ihrer „Svizzera 240: House Tour“ stellt das Architektenteam der ETH Zürich die fast weltweit herrschende Deckenhöhe von zwei Metern vierzig in Frage. Eine ideale Norm im Sinne Le Corbusiers ist das längst nicht mehr und war’s auch noch nie. Dafür gab es zu Recht den Goldenen Löwen.
Über das richtige Maß macht man sich auch in Cesk Krumlov, besser bekannt als Krumau, Gedanken. Die tschechische Kleinstadt wird jedes Jahr von mehr als einer Million Touristen geflutet, ein normales Leben ist in diesem böhmischen Venedig unmöglich geworden. Mit dem Projekt UNES-CO („ertragen“) wird nun der Spieß umgedreht: Während der Hauptsaison dürfen Gäste drei Monate umsonst im Zentrum wohnen, um – gegen Stundenlohn – ein „demonstrativ normales Leben zu führen“. Ob die Live-Übertragung ins echte Venedig Wirkung tut, ist freilich fraglich.
Die Franzosen nehmen „Lieux infinis“ unter die Lupe. Gemeint sind Orte, deren Bewohnerschaft und Nutzung sich dauernd verändern. Temporäres und Improvisiertes wird als Lösung prophezeit, für die Ewigkeit zu bauen, ist zumindest in diesem von Architekturaktivisten geplanten Pavillon passé.
Für die britischen Nachbarn dürfte Europa bald von gestern sein. Deshalb bleibt ihr Pavillon leer, und man steigt besser gleich aufs Dach, nicht nur wegen der tollen Aussicht auf die Lagune. Wie eine versinkende Insel ragt oben das spitze Glasdach durch die Aussichtsplattform. Schwer erträglich ist dagegen das esoterisch verzerrte „Ode an die Freude“-Gedudel im belgischen Pavillon. Weil das EU-Blau des Parlamentseinbaus weiterhin glänzen soll, muss man auch noch die Schuhe ausziehen. Drinnen in dieser „Eurotopie“ quält man sich durch alptraumhafte Flugblätter und wechselt nur zu gerne zu den kritisch-frechen Holländern. Im typisch orangen Schrankwand-Interieur wird unter dem Titel „Work, Body, Leisure“ unser womöglich künftiges Leben ins Visier genommen, also wenn die Arbeit weg ist und irgendwann nur noch Maschinen schuften. Was bleibt privat, was wird öffentlich? Hinter einer der Türen verbirgt sich übrigens die Amsterdamer Hilton-Suite, in der John Lennon und Yoko Ono 1969 mit ihrem legendären „Bed-In“ für den Frieden demonstriert haben. Eine großartige Inszenierung.
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