Sir Simon Rattle dirigiert den Nachwuchs
Caracas (dpa) - "Was hier geschieht, ist ein Wunder. Venezuela hat einen wirklichen Musikschatz. Das Talent dieser Kinder ist wirklich unglaublich." Ein derartiges Lob und dann von Sir Simon Rattle ist außergewöhnlich.
Der Chefdirigent der Berliner Philharmonie flog über den Atlantik und brachte in Caracas am Sonntag das Jugendsinfonie-Orchester Venezuelas in der voll besetzten Aula Magna der "Unversidad Central" zum Leuchten. Seit Jahren lobt der britische Maestro wie kaum ein Zweiter die Qualität der Nachwuchsmusiker in Venezuela, wo ein viel beachtetes Fördersystem, "El Sistema", junge Menschen für die Klassik gewinnt und vielen zugleich hilft, der Armut zu entrinnen.
Den Auftakt des eineinhalbstündigen Konzertes machte die "Kubanische Ouvertüre" von George Gershwin. Den Schlusspunkt setzte Leonard Bernsteins mitreißendes "West Side Story"-Stück "Mambo". Stehend spendete das Publikum dem Nachwuchs-Orchester Applaus. Rattle, in schwarzem Hemd und schwarzer Hose gekleidet, war schon 2007 in Venezuela und auch damals sprach er begeistert von einem "Wunder".
In der ersten Reihe des Publikums saßen am Sonntag José Antonio Abreu, der "Vater" der venezolanischen Jugendorchester-Bewegung, und Venezuelas Star-Dirigent Gustavo Dudamel (29). Das auch international gelobte System der Jugendorchester in Venezuela wurde in den 1970er Jahren von Abreu gegründet und ist seitdem ein Kulturprojekt mit wohl einzigartiger Kontinuität.
Am Sonntag spielten die jungen Musiker vor einem Publikum, das vor allem aus Familie und Freunden bestand. "Wir hatten seit Mittwoch Proben. Dabei lernt man viel", sagte Klarinettistin Ariana Galíndez nach dem Konzert. In den Testläufen mussten die jungen Orchestermitglieder schnell lernen, sich auf Sir Simons Dirigenten- Sprache einzustellen. Die Acht- bis Dreizehnjährigen präsentierten den Zuhörern auch eine anspruchsvolle Interpretation von Gustav Mahlers Sinfonie Nummer 1 "Titan".
Dirigent Dudamel, der selbst über das Fördersystem seine Karriere früh begann, meinte nach einem Semnar mit den jungen Talenten: "Diese Kinder, die ich mit großem Glück dirigieren durfte, sind die strahlende, junge Hoffnung von Venezuelas Musik."
Das Fördersystem hat eigentlich ein soziales Motiv. Junge Menschen sollen die Chancen bekommen, sich musikalisch zu entwickeln, ihre Talente zu entdecken und so auch dem Armutszyklus zu entrinnen. Das Jugendorchester erfreut sich in Venezuela höchster Beliebtheit: 4000 Kandidaten spielten im März bei Auswahl-Terminen vor, um ins Nationale Kindersinfonie-Orchester zu kommen. Und in den "Núcleos" genannten, landesweit rund 180 Nachwuchszentren für Orchester und Chor sind nach offiziellen Angaben 350 000 Kinder und Jugendliche aktiv.
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