
Theater Augsburg: Johanna geht den Weg allen Fleisches


Das Theater Augsburg zeigt Brechts Drama nicht als aufgezeigten Klassenkampf, sondern als originellen Comic-Strip. "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" überzeugt trotz Dialekt.
Sie brauchen ja nur die Zeitung aufzuschlagen, um nachzuprüfen, ob diese „Heilige Johanna der Schlachthöfe“ auch heute noch Motive für ihre Mission finden würde. Dann könnten Sie vorne, im Politikteil, nachlesen, dass aktuell der Markt für Öl ein wenig „verstopft“ ist, weil so viel da ist, dass es nicht abfließen kann – wodurch der Preis sinkt, was manchem an den Kragen geht. Und vorne könnten Sie auch lesen, dass Arbeitsmärkte, insbesondere in Südeuropa, seit längerem „verstopft“ sind, wodurch es wiederum anderen an den Kragen geht. Auf der Wirtschaftsseite indessen ist zu finden, wie das so läuft mit Termin- und Future-Handel, wie Insider-Tipps ausgeschlachtet werden und Konzentration und Monopolisierung voranschreiten. Und im Lokal-Teil finden Sie dann etwas über die „Tafel“ vor Ort, die Nahrungsmittel an Bedürftige erteilt – derzeit sollen Kinder und Jugendliche ein Drittel der Abnehmer in Deutschland sein.
„Heilige Johanna der Schlachthöfe“ im Theater Augsburg
Von all dem handelt im Prinzip Brechts „Heilige Johanna der Schlachthöfe“. Als Dramatiker durfte BB dramatisieren und alle Probleme auf einen Zeit- und Ortspunkt zusammenziehen. Es wird im Prinzip ja nicht falsch dadurch, nur klarer und eindrücklicher – nicht zuletzt, weil blutiges Tierfleisch, blutiges Menschenfleisch und blutiger Fleischfabrikantenkampf gleichsam in einem Wurstkessel Chicagos landen. Wie spruchreif der didaktische Zeigefinger Brechts bleibt, zeigen soundsoviel Inszenierungen des Stücks, die final jene „Schreckensnachrichten“ tagesaktualisieren, die Brecht per Lautsprecher in sein Stück integrierte. Die Schreckensnachrichten von vor 85 Jahren sind im Prinzip die heutigen.
Jetzt, am Theater Augsburg, bei einer Neuinszenierung im Rahmen des Brechtfestivals, werden die Horrormeldungen weggelassen. Die Neuproduktion spricht insgesamt eine andere Sprache als die bühnengängige und darstellungstypische. Was ihr zum Vorteil gereicht – aber auch zum Nachteil. Bevor Johanna als eine Art Stellvertreterin zur Kreuzigung inklusive Heiligsprechung in die Höhe gezogen wird – eine ernste, dichte, tragisch-große Szene –, werden die Geschehnisse abgehandelt mit einem sehr speziellen Verfremdungseffekt, der neue Nähe schafft und neuartige Ferne.
Hauptrolle: Jessica Higgins als heilige Johanna der Schlachthöfe
Diesen Verfremdungseffekt aber stellen die Mittel von Bilderbogen, Bildergeschichte, Comic, Graphic Novel, Power Point und Animationsfilm – meist knallig bunt in den Kostümen, aber dringlich schwarz-weiß in der Kulisse. Nach der Bibel, nach dem Thema Holocaust ist nun auch Brechts Bühnen-„Johanna“ in einem Strip (von dreistündiger Sketch-Reihung) angekommen. Es gibt darin – neben manchem Boing, Bum, Zack, Dong – eine Szene, die die durchgängige Ästhetik der Aufführung hochpokernd auf die Schippe nimmt: eine schematisch gezeichnete und ausgestanzte Wasserbecher-Requisite wird betrachtet, gewendet und kommentiert mit den Worten: Nur Pappe – aber richtig gut gemacht. Was folgt, ist spontaner Applaus.
Ja, genau so ist es: Die bildende Künstlerin Julia Oschatz (Bühne/Video) prägt diese Aufführung entscheidend mit ihrer zweidimensionalen Pappmaché-Requisitenflut, dazu Andy Besuch mit seinen schrillen Kostümen, die auch viel fettes Fleisch und viele durchtrainierte Wurstfabrikanten-Ringermuskeln vorgaukeln. Das ist eigen und originell. Hat Stil und Charakter. Wird in einem großen Bogen als ein Illustrationswurf durchgezogen. Richtig gut gemacht.
Und dann kommt noch im Graben ein Ein-Mann-Orchester und Geräuschemacher hinzu, der Johannas Gänge in die menschliche Niederung akustisch untermalt, suggerierend kommentiert. Auch hier: manches Boing, Bum, Zack, Dong – aber auch unterschwellig säuselnde Ironie. Jens Dohle macht das einfallsreich, einfühlsam, virtuos. Direkt, plakativ, sinnlich also ist vieles bei dieser Regie von Christian Weise. Mit den Instrumenten der Jetztzeit rollt er „Johanna“ neu auf. Seine Ausdrucksweise kommt uns nah.
Theater Augsburg: Ein Szenenbild aus Pappmaché
Aber keine Brecht-Kritik ohne Dialektik: Bei der Bühnen-Maßnahme dieser Produktion, die einiges verwurstet, rückt auch etwas entschieden in die Ferne. Es ist der sarkastisch-aufklärerische Ton Brechts, sein parodistisch-böser. Und so fehlt dieser Neubetrachtung unter dem Strich ein Reißzahn, der verletzen könnte. Mag das Ein-Mann-Orchester im Graben die Parameter dieser „Johanna“ in Richtung „Dreigroschenoper“ verschieben, so verschiebt die Bühnendarstellung das Schauspiel auch ein Stück weit in Richtung „Seifenoper“ und bewusster „Schmiere“. Die Macher gehen possenartig auf Distanz zum Inhalt – und dies distanziert wiederum bei manchem Joke zumindest den eingelesenen Zuschauer.
Muss einer/eine hervorgehoben werden unter den Schauspielern? Nicht zwingend. Jessica Higgins als Johanna macht ihre Sache gut, setzt aber zu lange auf ihre großen, die Welt staunend betrachtenden Rehaugen. Früher schon müsste sie verbitternd ahnen, wie der Hase im Kapitalismus läuft – und wie da geschlachtet wird. Und Brigitte Peters als weiblich besetzter Fleischkönig Mauler bringt eine schöne Unberechenbarkeit ins Spiel, aber auch eine mangelnde Sprachverständlichkeit. Ute Fiedler wiederum frappiert als Maulers Einflüsterer Slift, nervt aber auch mitunter schreckschraubenhaft-hysterisch.
Klaus Müller schließlich fällt in der Riege etlicher Doppelbesetzungen auf als sächselnde Frau Luckerniddle mit Querverweis auf Mrs. Piggy.
Trotz Dialektik: sehenswert!
Die Vorstellungen finden am 11., 13., 19., 21., 24. und am 27. Februar statt.
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