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Reportage
15.11.2016

Toiletten für die Welt

Einen Panoramablick über die Banken-Skyline können Besucher des Herren-WC's im 49. Stock der Commerzbank-Zentrale in Frankfurt am Main genießen.
2 Bilder
Einen Panoramablick über die Banken-Skyline können Besucher des Herren-WC's im 49. Stock der Commerzbank-Zentrale in Frankfurt am Main genießen.
Foto: Boris Roessler, dpa

Täglich sterben tausende Menschen, weil es zu wenig Toiletten gibt. Ein Mann kämpft dagegen an: „Mister Toilet“. Über einen Notstand in Indien und die Lage bei uns.

Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit. 7428 Tage, um genau zu sein. "Da, sehen Sie, mein Handy zeigt das an. Noch 7428 Tage, dann werde ich tot sein", sagt Jack Sim und kichert wieder. Tod. Noch so ein Tabu, über das man nicht scherzt, Jack Sim aber schon. Das andere ist Scheiße. Pardon, aber so heißt "Shit" nun einmal übersetzt. Und über "Shit" und Toiletten redet Jack Sim andauernd. So wie andere Menschen über das Wetter. Ganz normal, null Provokation. Für viele indes ist das Wort ordinär, das Thema ekelig.

"Shit" ist so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner der Menschheit, jeder tut’s - und doch sprechen die meisten, egal aus welcher Kultur, nicht gerne darüber. Fatal, findet Jack Sim. "Unser höfliches Schweigen zu dem Thema ist tödlich", sagt der 59-Jährige, die Welt habe ein massives Toilettenproblem. Täglich sterben deshalb tausende Menschen.

Jack Sim will das ändern. "Nur wenn man über etwas spricht, kann sich etwas verbessern", sagt der Mann mit den Stoppelhaaren und dem freundlichen Lächeln. Er ist "Mister Toilet". Auf seinem Mist sind die Welttoilettenorganisation, der Welttoilettengipfel und auch der Welttoilettentag am 19. November gewachsen. Seine Mission: Die Welt soll endlich über Scheiße reden und mehr Toiletten bauen. Seine These: Je mehr Toiletten, desto gesünder, produktiver und reicher die Menschen. Sein Trick: Humor.

"Hahaha, so was gibt’s wirklich?", prustet Walter Langfahrt los, als er von der Welttoilettenorganisation und Jack Sim erfährt. Da geht es ihm wie vielen. Nie gehört. Dabei ist er irgendwie auch so etwas wie ein "Mister Toilet". Wie genau man das nennt, womit er sein Geld verdient? "Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Sagen Sie Klomann", schlägt er vor. Täglich von 6 bis 18 Uhr kümmern er und sein Vater sich um die Hygiene der öffentlichen Toilette des Augsburger Stadtmarktes. In Hochphasen kommen bis zu 100 Personen pro Stunde auf seinen Lokus - für alle ist das nichts Großes. Wassertoiletten sind bei uns selbstverständlich. Jeder hat daheim eine. Wie sie benutzt wird, lernt jedes Kind. Dabei erinnern sich manche Großeltern von heute noch an die Plumpsklozeiten.

In den armen Ländern der Welt ist die Situation eine andere. Laut Welttoilettenorganisation haben mehr Menschen ein Handy als eine Toilette. 2,3 Milliarden müssen sich daher täglich im Freien hinhocken. Was sie da machen, nennen Experten vornehm "open defecation" - offene Defäkation. Mit den Fäkalien gelangen Keime in den Boden und ins Trinkwasser. So werden Infektionskrankheiten wie zum Beispiel Cholera, Typhus, Hepatitis A übertragen. Jeden Tag sterben 2000 Kinder an den Folgen von Durchfallerkrankungen, rechnet Jack Sim vor. Er weiß, wovon er redet.

"Als Kind lebte ich in einem Slum von Singapur, wir hatten Infektionskrankheiten wie Cholera und Typhus. Und jedes Kind war verwurmt", schildert er. Damals, Anfang der 1960er Jahre, machte er die schlimmste Toilettenerfahrung seines Lebens. "Ich war zwei oder drei Jahre alt und ging mit meiner Mutter zum ersten Mal auf eine öffentliche Toilette. Da sah ich die Scheiße anderer Menschen in verschiedenen Farben, dazu dicke, grüne Fliegen - ich war traumatisiert und bin danach nur noch daheim auf den Topf gegangen."

Drei Jahre später zog die Familie in eine Sozialwohnung um und der kleine Jack durfte zum ersten Mal auf ein Wasserklosett gehen. "Ich fühlte mich großartig. Es war wie ein sozialer Aufstieg", erinnert er sich. Von da an waren Cholera, Typhus und die Würmer für ihn und seine Familie passé. In Singapur beobachtete er: Je mehr Toiletten es gab, desto mehr Investoren und Touristen kamen - das Land wurde reicher. Jack Sim ist sich sicher, diese Erfolgsgeschichte lässt sich auch anderenorts wiederholen.

In Walter Landfahrts Reich macht sich beim Spülen vermutlich kaum jemand Gedanken, was ihm der Volksluxus Wassertoilette alles erspart. Auch nicht, dass dieser Geniestreich auf den Briten Alexander Cumming zurückgeht, der 1775 das "water closet" erfand, wie wir es heute kennen. Daher übrigens auch die Abkürzung WC. Cummings Erfindung hat die Welt verändert wie das Rad, der Buchdruck, das Internet - und sie hat unzählige Menschenleben gerettet.

Dass mit Cummings Patent Nr. 814 manchmal aber doch nicht alles weggespült wird, davon kann Walter Landfahrt ein Lied singen. Auf seiner Mütze steht "hardcore". Passt irgendwie. Um den Dreck anderer zu beseitigen, muss man hart im Nehmen sein. In fast zehn Jahren als Klomann hat der 46-Jährige schon einiges gesehen. Einer habe mal eine Sauerei und gleich noch seine dreckige Hose hinterlassen. Das zu beseitigen, sei nicht angenehm, mache ihm aber nichts aus. "Es gibt selten Leute bei mir, die Schweine sind. Die meisten sind sauber", sagt er. Vielleicht wäre es anders, wenn er nicht da säße und die Leute nicht wüssten, wer hinter ihnen herputzen muss. Vielleicht reißen sich manche deshalb zusammen. Wer weiß das schon? Hauptsache sauber, das ist Landfahrts Motto. Sein Sauberkeitsempfinden ist sein Maßstab.

Hinter Walter Landfahrt kommt nun ein älterer Herr aus der Tür, zückt seinen Geldbeutel, pling, "Pfiagott" - "schönen Tag noch", antwortet der Klomann. Den meisten ist der Service ein kleines Trinkgeld wert. Einige freuen sich auch über den Kloschmuck. Die Madonna von Altötting auf dem Seifenspender des Damenklos etwa, oder die frischen Blümchen am Waschbecken. Bei den Männern steht ein kleiner Bierbruder. So ist die Stadtmarkttoilette kein 0815-WC. Herrn Sim dürfte das auch gefallen.

Man muss Toiletten sexy machen, sagt der Singapurer. Nach rund 20 Jahren als Toilettenmessias weiß Jack Sim: Es bringt nichts, in armen Ländern den Menschen mit dem Sinn und Zweck von Hygiene zu kommen. Auch die Gesundheit ist für viele kein Argument. "Anerkennung ist für arme Menschen am wichtigsten. Man muss ihnen helfen, Toiletten als Lifestyleprodukt zu sehen, wie ein Handy, Satellitenfernsehen oder ein Motorrad." Jack Sim reist um die Welt, sammelt Bilder und Geschichten, trifft wichtige Menschen und wirbt für den Klobau. Sein größtes Projekt läuft in Indien. 120 Millionen Toiletten sollen dort in den nächsten Jahren errichtet werden. Zu seinen wichtigsten Verbündeten bei der "Revolution gegen Schmutz und Dreck" zählen Frauen.

"Indien ist das Land mit dem größten Toilettenproblem - in Zahlen wie auch kulturell", erklärt Jack Sim. 600 Millionen Menschen sind dort ohne Toilette. Die meisten von ihnen leben auf dem Land. Bei seinen Reisen auf den Subkontinent hat er gelernt: Die Religion macht’s kompliziert. Im Islam, im Christentum, im Buddhismus etwa werde über Hygiene gesprochen, es gebe Anleitungen zur Sauberkeit, Reinheit gelte als göttlich. "In Hindu-texten gibt es nicht viel dergleichen. Nur, dass die Toilette weit weg vom Haus sein soll", sagt Jack Sim. Deshalb wollen viele Hindus nicht mit ihren Exkrementen in einem Raum sein. Für Frauen und Mädchen birgt das Gefahren. Aus Scham gehen sie in der Dunkelheit auf die Felder, um sich zu erleichtern. Sie riskieren dabei, überfallen zu werden. "Jeden Tag werden in Indien Frauen und Mädchen vergewaltigt, weil sie im Freien auf die Toilette gehen müssen", erklärt Jack Sim. Kein Wunder also, dass manche Frauen inzwischen vor einer Heirat auf eine Toilette im Haus des Ehemannes bestehen. No toilet, no wedding.

Solche Geschichten klingen in den gefliesten Quadratmetern auf dem Stadtmarkt wie aus einer anderen Welt. Irgendwie unvorstellbar. Ach ja, und dann ist da noch die Sache mit dem Händewaschen. "Frauen sind sauberer als Männer. Ein oder zwei von zehn Frauen waschen sich nicht die Hände", verrät Walter Landfahrt, "bei den Männern sind es acht von zehn. Und Asiaten waschen sie sich vorher und nachher." Der Augsburger "Mister Toilet" mag seinen Job, mag, dass Menschen zu ihm kommen und ab und zu sogar Zeit für ein Pläuschchen haben. Manchen Touristen erklärt er, wenn nötig, auch den Weg.

Zurück nach Singapur. Jack Sim erzählt weiter von "toilets" und "shit". An seiner Bürotür hängt ein Schild: Poo boy - Toilettenjunge. Er ist eloquent, lacht viel, reißt Witze. Zum Beispiel: "Am Welttoilettentag sollten Sie Ihrer Toilette Blumen schicken!" "Wie bitte?" "Na, die Toilette ist doch Ihr Lebenspartner. Sie ist der einzige Partner, bei dem Sie jedes Mal die Hose runterlassen, wenn Sie ihn sehen. Korrekt? Dat is rischtig?" Jack Sim kichert wieder und setzt nach: "Danken Sie ihr für diesen guten Service. Sie spült die Scheiße eines Jahres weg. Hihi."

Die Leute hören besser zu, wenn man ein ernstes Thema mit Humor verpackt, sagt Jack Sim. Wer ihm zuhört, ahnt auch schnell, dass er ein guter Verkäufer ist. Seine Argumente sitzen. Sein Verkaufstalent hat den Slumjungen von einst reich gemacht. Mit 40 war er Millionär. Und nach der asiatischen Wirtschaftskrise Ende der 1990er Jahre dachte sich Jack Sim: Wozu das alles? Was bringt mir das Geld? So viel brauche ich nicht zum Leben! Ich will Sinnvolles tun, gute Spuren auf dem Planeten hinterlassen.

Eines Tages las er das Zitat seines Premierministers, dass sich der Zustand einer Gesellschaft an den öffentlichen Toiletten messen lasse. Endlich hatte er sein massentaugliches Thema gefunden. Eines, um das sich niemand kümmern möchte, das aber alle angeht. Er gründete also die "Restroom Association of Singapore", rief die Presse an und war am nächsten Tag auf den Titelseiten - auf dem Klo sitzend. Die Leute lachten. Hahaha, Toilettentalk. Erst einmal kümmerte er sich um die öffentlichen Toiletten in Singapur. Dann ging es weiter. 2001 gründete er die Welttoilettenorganisation. 2013 erklärten die Vereinten Nationen den 19. November zum offiziellen Welttoilettentag. Jene Organisation, die in ihren Millenniums-Entwicklungszielen auch das Welttoilettenproblem angehen wollte - und bisher scheiterte.

Inzwischen lachten die Leute anders über "Mister Toilet", respektvoll, ermutigend, sagt Jack Sim. Sie hören ihm zu. Er gibt ihnen die Erlaubnis, über das Thema Scheiße zu sprechen. Aus seiner Idee ist eine Bewegung geworden, an der sich jeder beteiligen kann. Er hat Mitstreiter auf der ganzen Welt. Mit ein paar von ihnen hat er den Dokumentarfilm "Flush Revolution" gedreht und die Kampagne "Give a shit" ins Leben gerufen.

Dass das Welttoilettenproblem zu Sims Lebzeiten gelöst wird, ist eher unwahrscheinlich. Trotzdem hat er sein Ablaufdatum in sein Handy eingegeben. "Statistisch gesehen werde ich an meinem 80. Geburtstag plötzlich tot sein. Also in 7428 Tagen. Hihi." Typischer Sim-Humor. Etwas absurd, aber mit wahrem Kern. Sein Handy erinnert ihn: Die Zeit drängt, um weiter Sinnvolles zu tun. "Sonst stirbst du für nichts", sagt Jack Sim. Und das wäre in seinen Augen nun wirklich ... .

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