Umjubelter "Jedermann" in Salzburg
Salzburg (dpa) - Sie sind jung und kamen irgendwie an Geld. Das feiern sie jetzt so sorgen- und skrupellos wie möglich. Der Typ mit den Dreadlocks, der Gothic-Fan in schwarzer Lederkluft und natürlich der präpotente Jedermann als Brutalo-Chef mit weit aufgeknöpftem Hemd.
Leider kommt der liebe Gott mit seinen uncoolen Moralansprüchen samt Tod und Teufel dazwischen. Hugo von Hofmannsthals "Jedermann" war als traditionsreiches Eröffnungsstück der 90. Salzburger Festspiele zeitgenössisch wie nie zuvor. Beim eher konservativen Publikum - viele in Dirndl oder Trachtenanzug - punktet der Facelift am Sonntagabend vor allem durch den neuen Hauptdarsteller Nicholas Ofczarek. Er gibt mit Raufereien und spektakulären Stürzen einen sehr körperbetonten reichen Mann. Statt Tränen der Rührung überwiegen auf dem Domplatz am Ende Lacher und Jubel. Auch sonst bleibt es trocken: Trotz herbstlicher Temperaturen verziehen sich die drohenden schwarzen Wolken wieder.
Mit Ofczarek und Birgit Minichmayr als Buhlschaft haben die Festspiele das aktuelle junge österreichische Theater-Traumpaar verpflichtet. Die beiden Burgschauspieler standen schon häufig miteinander auf der Bühne und schätzen sich sehr. So entspannt wie sie sich vorher in Interviews gaben, so locker füllten dann beide bei der actionreichen Premiere auch den riesigen Domplatz.
Als gewissenloser Lebemann stolziert Ofczarek über die Bühne, der im entscheidenden Moment mit Worten wie Fäusten knallhart ist. Den armen Schuldner tritt er zusammen, seine Buhlschaft drückt er im Warten auf eine Antwort so fest, dass diese "Aua" schreit. Der Machtmensch weiß, was er will, hat seine eigenen Gesetze und ist stolz darauf - durchaus zeitgemäßer Ego-Wahn. Den Übergang zum reumütigen Sünder schafft der Ausnahmeschauspieler überzeugend: Klingen Jedermanns "Ich glaube"-Schreie zunächst im Angesicht des Todes noch so schaurig wie zuvor die Jedermann-Rufer, ist der Gotteslästerer zum Schluss in Tränen aufgelöst und legt sich völlig überrascht von Gottes Gnade in dessen Schoß.
Minichmayrs Buhlschaft nimmt ihr Leben in die Hand, statt bloß dekorativ säuselnde Geliebte zu sein. Im Rücken ihres Mannes schleicht sich das Partygirl im orangeroten Corsagekleid an, um ihn mit Musik und Silberglitter zu überraschen. Sie küsst ihn ausgiebig, trinkt gerne mal ein Glas zu viel und hält ihm bis zu seinem Ende die Treue. Als er aber von ihr fordert, mit ihm zu sterben, wendet sie sich ohne den Hauch eines Zweifels ab und geht - fast entrüstet. "Jedermann" in Zeiten gleichberechtigter Lebensabschnittspartnerschaft.
Sie habe völliges Verständnis für das Verhalten ihrer Rolle, sagte Minichmayr in einem Interview: "Es ist typisch Mann, zu sagen, "du gehst nicht mit in den Tod, also bist Du eine Hure". Der Mensch kommt und geht alleine. So etwas wie einen gemeinsamen Tod gibt es gar nicht."
Mit dem Auftritt der Tischgesellschaft in schriller Kleidung (Kostüme: Marlene Poley) zwischen Gothic, Rokoko und Mittelaltermarkt wirkt das Stück dann vollends wie eine Kostümparty leicht exzentrischer Neureicher, die für den Gastgeber zum Horror-Trip wird. Einzig Peter Jordan als Teufel und guter Gesell schreitet exakt gekleidet und gescheitelt im Nadelstreifenanzug umher. Später zeigt er schwarzglänzend wie dem BP-Ölteppich entstiegen mit langem Rattenschwanz seine wahre Gestalt. Mit allen Mitteln kämpft er überzeugend um die reiche Seele - sei es auf dem Rücken vom Jedermann oder mit Tai Chi gegen die Gestalt der Guten Werke (Angelika Richter).
Als Ben Becker als schwammig-modriger Tod in silbergrauem Bodypaint schließlich Jedermann die Hand auf das Herz legt und dieser einen letzten - erleichterten - Atemzug tut, hat der Teufel längst frustriert aufgegeben. Aber selbst für Satan gibt es noch Hoffnung. "Ich habe auch ohne ihn genug zu tun", spricht er und zeigt in das gut betuchte Publikum: "Ich komme wieder."
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