Und die Liebenden kriegen sich doch
Es ist nicht schwer, das „Käthchen von Heilbronn“ kräftig durch den Kakao zu ziehen. Das Staatstheater Augsburg rückt ihr eher verschmitzt-ironisch auf den Leib
Das Käthchen von Heilbronn ist – als Mädchen und als Stück – ein wahrer Wunderbau der Welt. Heinrich von Kleist hat sein Drama als ein „großes historisches Ritterschauspiel“ erfunden – wie es als Bühnengenre heute nicht mehr im Zentrum allgemeiner Theaterbemühungen steht.
Kleist schrieb was Pralles, Saftiges, Possierliches, Ergötzliches fürs Volk – auf dass es mitgehe und bange um zwei, die – himmlisch vorherbestimmt – zusammengehören und sich, wie in jedem ordentlichen Liebesroman auch, gegen alle Imponderabilien dieser Erde kriegen. Vor Gott und dem Kaiser schließen die beiden Adeligen denn auch den heiligen Bund der Ehe. Amen.
„Missgriffe“ aber gestand sich Kleist ja selbst im Nachhinein ein. Und weil im Staatstheater Augsburg gerade auch die berühmt-berüchtigte „Zauberflöte“ auf dem Spielplan steht, darf man schon daran erinnern, wie auch dort die Posse neben Heiligem steht. Auch in der „Zauberflöte“ hochzeitet schlussendlich ein hohes adeliges Paar, auch in der „Zauberflöte“ gibt es eine Feuer- und Wasserprobe, und eine nicht wirklich integre Blaublütige sucht sich eine Mörderin zu dingen.
Kurz: Hier wie dort gibt es für aufgeklärte Regisseure der Jetztzeit keine unüberwindlichen Hürden, das pathetische bis unfreiwillig-komische Volkstheater mal kräftig durch den Kakao zu ziehen. Ist in den vergangenen Jahrzehnten ja andernorts auch hinreichend passiert. Mancher zog sich aus der Affäre durch Parodie und platten Witz bei diesem dramatische Haken schlagenden Ritterschauspiel. Immer ist es fürs Publikum auch ein Anschauungsobjekt dafür: Wie gehen Spielleiter mit den Stecken um, die ihnen Kleist zwischen die Beine wirft? Und sei es ein reißender Forellenbach, der zu überwinden ist – die Wasserprobe fürs Käthchen.
Obwohl (gut so!) dieses „Käthchen von Heilbronn“ am Staatstheater Augsburg personell und textlich gestrafft ist: Das Publikum hat Zeit und Muße, ihrer hartnäckigen, unbeirrbaren Liebe – entgegen aller privaten, gesellschaftlichen, politischen Widrigkeiten – zuzuschauen und sie auf ihrem langen, steinigen Weg zu begleiten. Regisseur Christian von Treskow schlägt diesen Weg ganz ernsthaft ein – mit der väterlichen Klage über die erst 15-jährige, gleichwohl anscheinend schon hörige Tochter. Und er beendet die Tragikomödie auch mit gehörigem Ernst, wenn er die illustre und bizarr gestylte Hochzeitsgesellschaft zwar wie eine Perlenschnur menschlicher Kuriositäten an die Rampe treten lässt (Kostüme: Oliver Kostecka), aber unterschwellig, nicht zuletzt durch düster dräuenden Sound, zu verstehen gibt: Hoffentlich geht das wirklich gut mit den beiden, hoffentlich steht diese Ehe wirklich unter dem himmlisch vorherbestimmten guten Stern.
Noch ein letztes Mal fällt Käthchen in Ohnmacht – so wie mancher an diesem Abend in Ohnmacht fällt oder sich in den Staub wirft. Jetzt könnte der nächste, der sechste Akt folgen: die traute Zweisamkeit zwischen dem gerne unangenehm herrischen Grafen vom Strahl und dem gerne devot dienenden Käthchen. Wie das wohl klappt? Kleist schrieb aber nicht weiter.
Zwischen Exposition und Finale freilich bietet auch diese Inszenierung kräftige Wechselbäder. Volkes Erwartung auf ein deftiges Spektakulum erfüllt Christian von Treskow auch mit Parodistischem wie Ritterturnier-Steckenpferden, mit Travestie (herrlich: Gerald Fiedler als nüchtern lenkende Übermutter vom Strahl), mit Slapstick und Kolportage. Aber Treskow diffamiert dabei nicht das Personal – oder nur ein wenig wie im Falle Kunigundes. Mehr zeigt er das wunderliche Geschehen in verschmitzt-ironischer Distanz, auch gegenüber Theatergepflogenheiten. Es kann nicht abgehen ohne kleine Albernheiten und Widersprüche – auch weil Treskow (gut so!) dem Abend die hochtönende Sprache Kleists belässt. Paradigmatisch dafür steht der Rheingraf, offensichtlich ein Ritter von und zu der Persönlichkeitsspaltung: hier leicht tuntige Diva, die verklemmt ihr Wasser abschlägt, dort waffenklirrender, martialisch brüllender Recke (Sebastian Müller-Stahl).
Aber allen ist gut und gespannt zuzuschauen bei der Bewältigung ihrer großen und kleinen Probleme auf geadelter Staatsbühne und Präsentierteller – und richtig dramatisch wird’s tatsächlich beim Schlossbrand (Bühne: Oliver Kostecka). Man fiebert mit und möchte am liebsten rüberrufen: „Beeilt euch!“ – so wie Trump neulich anlässlich der Notre-Dame.
In diesem Moment entlarvt sich ja auch die Kunigunde der Ute Fiedler, die geboten eitel gestartet war und sich sehr plastisch über eine bühnenfüllende Schreckschraube zu einer hinterhältigen Untoten entwickelt. Sie schickt Käthchen ins Feuer, und weil das nicht die gewünschte Wirkung erzielt, soll Gift nachhelfen. Aber ein Engel wie Käthchen ist nicht so leicht um die Ecke zu bringen – und schon gar nicht so ein unbedingt liebender Engel, wie ihn Karoline Stegemann umreißend und hinwerfend gibt. Traumverloren, wie in Trance und mit Blick auf Unendlichkeit, verfolgt sie ihr Ziel – und keine peitschende Demütigung des Grafen vom Strahl (Patrick Rupar als Heißsporn) kann sie davon abbringen – auch wenn das für ihn zunächst lästig und stalkerinnenhaft bleibt. Mehr als ein Mal ringen die beiden miteinander; ihre Annäherung ist ein langer Kampf.
Käthchens Vater Theobald ist bei dem einfühlsamen Klaus Müller auch sprachlich gut aufgehoben; wir verstehen seine immense Empörung, seine Klage gegen den Grafen vom Strahl, auch wenn er am Schluss klein beigeben muss. Daneben gibt unter anderen Thomas Prazak den Ritter Flammberg und Daniel Schmidt mit gutem, aber schlichtem Gemüt den Gottschalk, fast so eine Art Papageno. Dass er ursprünglich der Verlobte des Käthchens war, ist: apart, apart. Bleibt aber ausgespart.
Kleist hat viel reingepackt, Treskow etliches davon einfallsreich-anregend ausgepackt.
9., 19., 24., 29. Mai; 1., 5. Juni
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