„Unendlicher Spaß“: Das Star-Gastspiel des Brechtfestivals
"Unendlicher Spaß" wird beim Augsburger Brechtfestival eher abseits seiner Roman-Vorlage inszeniert. Doch das schadet dem Stück gar nicht - im Gegenteil.
Die Schauspieler: mit Devid Striesow und Sebastian Blomberg, Jasna Fritzi Bauer und Ursina Lardi, Andre Jung und Heiko Pinkowski allesamt Stars. Das Stück: die Bühnenversion eines modernen Kultromans mit „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace. Die Inszenierung: als eines der zehn besten des Jahres in Deutschland zum Berliner Theatertreffen eingeladen.
Und an diesem Sonntagabend nun der Martinipark in Augsburg beim Gastspiel: komplett ausverkauft, auch nach der Pause in der Mitte der vier Stunden unverändert voll besetzt – und stürmischer Applaus samt Getrampel am Ende. Ein Triumph zum Abschluss des Brechtfestivals also?
"Unendlicher Spaß" beim Brechtfestival - Ensemble reißt Publikum mit Spielfreude mit
Tatsächlich reißt vor allem die große Spielfreude dieses mit Könnerschaft so reich gesegneten Ensembles an diesem Abend mit. Es ist eine Freude, sich den voll aufdrehenden Striesow und Blomberg, der Eindringlichkeit von Lardi und Jung, der Wucht von Pinkowski und Bauer auszusetzen. Und es gibt in dieser Inszenierung ja auch gar keinen Ausstattungs-Schnickschnack, keine technischen Effekte, die davon ablenken würden.
Eine quer eingezogene Eisenwand beschränkt den Bühnenraum auf vielleicht fünf Meter bis zur Rampe. Als Hilfsmittel genügen etwa Stühle, um die Situation eines Treffens der Anonymen Alkoholiker in Szene zu setzen, blaue Kissen, mit denen an die Wand gelehnt die Situation Bett an Bett liegend illustriert wird – einzig ein fahrbarer Rundpool wird zur Extravaganz der Kulisse einer Darbietung, die dafür an Exzessen umso reicher ist.
Wie der Regisseur "Unendlicher Spaß" ins Groteske abgleiten lässt
Denn Regisseur Thorsten Lensing hat sich aus dem auf über über 1500 Seiten starken und wild mäandernden Wallace-Roman vor allem die effektvollen, die kräftigen Szenen herausgepickt, um das Monstrum theatral zu machen. Und so gerät „Unendlicher Spaß“ dadurch geradezu zur Groteske. Wenn Foster Wallace eines gerade nicht tut in seinem an scheiternden, taumelnden pathologischen Figuren so reichen Roman, dann ist es: diese vorzuführen.
Die Dramen des Brüder-Trios Incandenza (der überbegabte Hal, der schwerstbehinderte Mario, der geltungsbesessenen Orin) auch angesichts des Selbstmords ihres Vaters, die Schicksale im Drogenentzugszentrum, der Kampf des dortigen Betreuers Don Gately wie der entstellten Radio-Ikone Joelle Van Dyne... - sie alle werden im Buch bei all ihrer teils aberwitzigen Abenteuerlichkeit eben nicht zu Protagonisten einer Freakshow. Auf der Bühne geschieht das sehr wohl und mit Wucht.
Zumindest zur Hälfte. Einmal der personellen Hälfte: Denn nur Lardi als Hal, Jung als Mario und Pinkowski als Gately verkörpern menschliche Dimensionen des Leids, während vor allem Blomberg/Striesow voll ins Groteske (über-)drehen und Bauer nicht nur durch die stoffliche Verschleierung ihrer Figur immer mehr in die Karikatur kippt. Zum anderen die Hälfte der Inszenierung: Vor der Pause entsteht so eine Nummernrevue an schauspielerischen Kabinettstückchen, die sicher drei Mal so oft Lachen machen wie der Roman in seinem hundert Mal größeren Umfang.
"Unendlicher Spaß" ist Schauspieler-Theater auf Kosten der Vorlage
Das erfährt seine Spitze zu Beginn der zweiten Hälfte, wenn Devid Striesow als Tennismädchen im Wäldchen, also mit großem Geäst in der Hand, auch noch im luftigen Nachthemdchen zu trillern und kieksen beginnt. Doch dann kippt das Ganze doch noch. Und spätestens wenn Ursina Lardi nun als Krankenschwester Heiko Pinkowski als delirierenden Don Gately einer ruppigen Wäsche seines wuchtigen nackten Körpers unterzieht, während dieser einen inneren Monolog der Todesangst hält, hat der „Unendliche Spaß“ das abgrundtiefe Loch, das ihm gebührt.
Es ist also im eigentlichen Sinne keine Umsetzung des Romans auf der Bühne – was wohl auch ein deutlich schwierigeres, wenn nicht unmögliches Unterfangen wäre. Es ist viel mehr eine theatrale Aneignung des Stoffs mit einer deutlichen Akzentverschiebung ins Groteske. Und das kann schiefgehen. Wenn es etwa die Empathie für die Charaktere dadurch verspielt.
In dieser Inszenierung aber wird das durch die Sympathie für diese fulminanten Darsteller aufgewogen. Es ist Schauspieler-Theater – ein bisschen auf Kosten der Vorlage, ja. Aber vielleicht wird sich daraufhin doch der eine oder andere auch an diesen Roman herantrauen. Denn seine Brillanz wurde immerhin erahnbar.
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