Vladimir Horowitz: Berlin-Konzert erstmals auf CD
Berlin (dpa) - Es war der Abschied eines Weltgenies: Mit seinem Konzert in der Berliner Philharmonie am Pfingstsonntag 1986 gab der Pianist Vladimir Horowitz (1903-1989) eines seiner letzten Konzerte.
Nach sechs Jahrzehnten kehrte damals der Musiker in die Stadt zurück. Mit 82 Jahren wollte Horowitz an den Ursprungsort seiner Karriere zurück. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht seines Auftritts verbreitet. Erstmals erscheint nun die Live-Aufnahme des legendären Konzerts am 18. Mai 1986 auf einer Doppel-CD - am Ende seiner Laufbahn wird hör- und spürbar, warum Horowitz zu den größten Künstlern des 20. Jahrhunderts zählt.
"Holen Sie den! E" - mit der knappen Notiz hatte der Intendant der Berliner Festspiele, Ulrich Eckhardt, im September 1985 seinen Mitarbeiter Elmar Weingarten aufgefordert, den Pianisten für die Philharmonie zu engagieren. "Der spinnt", dachte Weingarten. Nach Hitlers Machtübernahme hatte der ukrainische Jude Horowitz Deutschland nie wieder betreten.
"He'll never go to Germany", sagte auch Roland Wilford, Chef der Künstleragentur Columbia Artist Management, als Weingarten in New York anklingelte. Doch Weingarten hatte Glück. Nicht Wilford, sondern Peter Gelb war für Horowitz in der Firma zuständig - und der zeigte sich gesprächsbereit. Nach einem Treffen in Mailand sagte Gelb zu, beim eigenwilligen Maestro nachzufragen. Gelb entwarf den Plan, Horowitz an den frühen Stationen seiner Laufbahn auftreten zu lassen: Moskau, Leningrad, Hamburg und Berlin.
1925 hatte Horowitz Berlin im Sturm erobert. Mit Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 hatte der damals 23-Jährige für Furore gesorgt. Im Oktober 1926 kehrte er in die Stadt zurück für drei Konzerte mit den Berliner Philharmonikern unter Wilhelm Furtwängler. Doch es kam zum Eklat. Immer wieder wurden die Proben unterbrochen - "so spielt man in Amerika", ging Furtwängler den Pianisten an. Wenig später debütierte Horowitz in New York - und setzte zur Eroberung Amerikas an.
Es wurde eine Karriere wie aus einem Hollywood-Film. "The greatest pianist - dead or alive", "Meister der Entstellung und Übertreibung", - Horowitz stieg zum Helden auf - und wurde zunehmend von Depressionen belastet. Immer wieder musste er Pausen einlegen. Zwischen 1953 und 1965 trat er überhaupt nicht auf. Seine Ehefrau Wanda Toscanini, die das stürmische Temperament ihres Vaters Arturo Toscanini geerbt hatte, konnte Horowitz nur schwer der Verschlossenheit entreißen.
Als Horowitz im Mai 1986 in Berlin landet, wird er wie ein Popstar empfangen. Die Fans folgen ihm auf Schritt und Tritt, die Zeitungen berichten wie über einen Staatsgast. Horowitz lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Jeden Abend, so erinnert sich Weingarten, speist der Pianist in der Paris Bar an der Kantstraße.
Das Konzert in Berlin wird dann eine bewegenden Begegnung mit dem Publikum, zu einer kollektiven Meditation, schreibt der Kritiker Jürgen Kerstin im lesenswerten CD-Booklet. Ob Scarlatti-Sonaten, Etüden von Skrjabin, oder Chopin-Polonaise - es wird das Ende einer Reise, die "vom Glanz eines Heiligenscheins überstrahlt wurde". Eine CD-Sonderausgabe des Mitschnitts mit dem Live-Bericht des damaligen Senders Freies Berlin (SFB, dem heutigen Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), gibt die Spannung in der Philharmonie wieder.
Nach dem Auftritt, als sich die Bewunderer um Horowitz scharen, bleibt der Pianist im Auto sitzen, die Hände über das Gesicht gefaltet. Sechs Tage später gibt er ein Wiederholungskonzert. Das Programm notiert Horowitz auf eine Menükarte des Hotels Kempinski.
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