Seit der Antike wird Musik politisch instrumentalisiert. Warum die Nazis von Wagner besessen waren – und wie sich die Musikbranche immer mehr liberalisiert hat.
Schon bald schallen wieder weihnachtliche Evergreens aus den Lautsprechern der Einkaufsläden und Christkindlesmärkte. Sie stimmen die Kundinnen und Kunden auf die besinnliche Zeit ein. Ganz uneigennützig machen die Händler und Marktbetreiber das aber nicht: Mit Musik kann man Menschen manipulieren. Im Kaufhaus funktioniert das genauso wie in der Fernsehwerbung oder beim Film. Musik ist Psychologie, Musik hat Macht. Und diese machen sich die Mächtigen gerne zunutze.
Was US-Präsident Joe Biden und die alten Römer gemeinsam haben
Schon seit der Antike wird mit Tönen instrumentalisiert. Im alten Rom gehörte Musik bei Brot und Spielen fest zum Programm. Heutzutage fährt ein US-amerikanischer Präsident bei seiner Amtseinführung schon mal die ganz große Kapelle mit Weltstars auf. In Tausenden von Jahren scheint sich die politische Funktion von Musik im Wesentlichen nicht verändert zu haben.
Die griechischen Philosophen der Antike hielten Musik für eine Gabe von den Göttern. Platon beschreibt in seinem Buch Politeia (übersetzt „Staat“) die psychologische Wirkung von Musik: Etwa, dass süßliche Flötenklänge verzücken und verweichlichen können. Im richtigen Maß sei das nützlich, so Platon.
Platon warnte vor Verrohung der Gesellschaft durch "falsche" Musik
Aber hinter den Tönen verberge sich eine Gefahr: Ein übermäßiger Hörgenuss der süßlichen Musik könne Kriegsmänner entmutigen. Für diesen Fall hat Platon ein Gegenmittel parat: pompöse und martialische Militärmusik – buchstäblich mit Pauken und Trompeten. Die soll bei den Soldaten auf dem Schlachtfeld für den nötigen Motivationsschub sorgen.
In der antiken Weltanschauung ist Musik fundamental für einen funktionierenden Staat. Philosoph Platon beschreibt, wie man jemandem in der Erziehung die Lehren durch Gesang förmlich einimpfen kann. Er warnt dabei vor schlechten Tönen, also „falscher“ Musik, die mit einer möglichen sittlichen Verrohung einhergeht. Ein Gedanke, der bis in die Neuzeit reicht. Auch heute noch unterbinden autoritäre Systeme moderne, westliche Popularmusik.
Wie Musik auf psychologischer Ebene wirkt
Friedrich Geiger ist Professor für Musikgeschichte an der Münchner Musikhochschule. Er sagt, das Besondere an Musik sei, dass sie im Vergleich zu anderen Künsten bei den Menschen direkter wirke. „Wenn ich ein Gemälde betrachte, muss ich es oft erst interpretieren. Was sehe ich da überhaupt?“ Musik dagegen funktioniere unterbewusst, jedoch nicht bei jedem Menschen gleich. Entweder sie löst positive oder negative Emotionen aus, entweder sie gefällt einem oder eben nicht.
Ob Musik gefällt, hängt vor allem von der Sozialisierung und den persönlichen Erfahrungen mit einem Musikstil beziehungsweise einem konkreten Stück ab, erklärt Musikpsychologe Christoph Louven von der Universität Osnabrück. „Sie kann positive Assoziationen auslösen oder auch negative Erinnerungen wecken, zum Beispiel durch ein Stück, das man einmal auf einer Trauerfeier gehört hat und wieder im Radio hört.“
Friedrich Geiger beschäftigt sich mit Musik in autoritären Staaten. „Musik als Propagandainstrument hat es zum Beispiel in der NS-Zeit gegeben. Hochgeachtete Komponisten und ihre Nachfahren sind unterdrückt oder vertrieben worden, weil sie nicht arischer Abstammung waren“, erzählt Geiger. Felix Mendelssohn Bartholdys Werke etwa durften während der Nazi-Herrschaft nicht gespielt werden. Adolf Hitler war ein Musik-Fanatiker. Besonders die Werke von Richard Wagner hatten es ihm angetan, schon in seiner Zeit in Wien ging er oft ins Opernhaus. Nach allem, was bekannt ist, begeisterte ihn die heroische Musik und die heldischen Handlungen in Wagners Werken.
Warum Adolf Hitler von Richard Wagner besessen war
Dass Wagner selbst bekennender Antisemit war, habe Hitler sicherlich gefallen, sagt Geiger. „Wagners Judenhass machte er – anders als Goebbels und weitere aus der Nazi-Führung – aber nie zum Thema.“ Das Überwältigende in der Musik Wagners sei es gewesen, was Hitler imponierte, so Geiger.
Parallel zu den Nationalsozialisten wurde Musik auch in der Sowjetunion für Propaganda benutzt. Dort spielte unter anderem Tschaikowsky eine wichtige Rolle. Oder Komponisten, die zu ihren Lebzeiten – mehr oder weniger freiwillig – proaktiv Propaganda betrieben.
Der russische Komponist Dmitri Schostakowitsch hat sein Leben lang unter dem politischen Einfluss gelitten. So hatte er Angst, dass seine Werke dem Kreml nicht gefallen und er im Gefängnis landen könnte. 1949 huldigte Schostakowitsch in seinem „Lied von den Wäldern“ dem Diktator Stalin.
Auch heute noch beeinflusst der Staat Musikerinnen und Musiker
Staat und Musik haben eine Jahrtausende lange Verbindung, die bis heute anhält. Immer wenn ein Staat Künste finanziert, besteht zumindest in der Theorie die Möglichkeit, politischen Druck auf Künstlerinnen und Künstler auszuüben. Friedrich Geiger sagt, es gebe zwar die gesetzlich garantierte Kunstfreiheit. Aber es gebe auch Künstlerinnen und Künstler, die tendenziell weniger Risiken eingehen, um die finanzielle Förderung von Institutionen nicht zu gefährden.
Internet und Computer haben seit einigen Jahren die Musikbranche liberalisiert. Zwar können heute selbst Laien rundfunktaugliche Musik produzieren – und das mit einem geringen Budget in einer kleinen 1-Zimmer-Wohnung. Manche Abhängigkeiten sind jedoch trotzdem geblieben. „Es gibt eine Machtverlagerung. Weg von den großen Plattenfirmen, hin zu den durch Algorithmen gesteuerten Streamingdiensten und sozialen Netzwerken“, sagt Geiger. TikTok ist soziales Netzwerk und Musikplattform zugleich. „Dass TikTok aus China kommt, aber auch im Westen sehr erfolgreich ist, zeigt: Musik ist Teil der Globalisierung.“
Für die Zukunft sieht der Münchner Musikprofessor zwei Strömungen: einerseits eine Verfestigung des Mainstreams, andererseits individuelle Bedürfnisse der Musikhörenden. Der Geschmack, also die musikalische Identität, lässt sich an den Playlisten der Streamingdienste erkennen. „Da folgt schon mal auf Heavy Metal erst Mozart und danach vielleicht eine unbekannte Indie-Band.“ Musikgenres könne man immer weniger bestimmten Milieus zuordnen, sagt Geiger. „Es ist die Demokratisierung von Musik, jeder kann das hören, wonach ihm gerade ist.“