Wagners "Siegfried" im Tropenhaus
Hamburg (dpa) Kein deutscher Wald, kein Blätterrauschen, kein romantisches Natur-Idyll.
In Claus Guths und Christian Schmidts Neuinszenierung von Richard Wagners "Siegfried", mit der sich der neue Hamburger "Ring" nun entscheidend auf sein "Götterdämmerungs"- Ende 2010 zubewegt, spielte sich Siegfrieds Kampf mit dem Drachen im kalten Kachel-Saal eines Tropenhauses hinter künstlich getrimmten Gummibäumen und Philodendren ab.
Ironische Verfremdung, Desillusionierung also als Akt einer höheren Wahrheitsfindung für einen Helden, der als germanischer National-Mythos noch immer gefährliches Glorifizierungspotenzial birgt?
Das Premierenpublikum in der Hamburger Staatsoper nahm die Siegfried-Kapriolen im beklemmend abgründigen Kunst-Dschungel jedenfalls staunend und gebannt mit starkem Beifall und Bravorufen für die Sänger auf. Überraschende Einfälle hatte es bereits im ersten Akt gegeben. Dort durfte sich Jung-Siegfried, Wagners und Wotans furchtlos weltenstürmendes Wunschkind, sein mythisches Schwert Nothung auf dem Motor einer Waschmaschine und anderen Heimwerker- Utensilien im WG-Loft clever zusammenschweißen. Ein Rabauke, ein Berserker, der nicht weiß, wohin mit seiner Lebens- und Siegeskraft.
Doch das Beeindruckende an Guths Regie-Entwurf war, dass er diesen kraftstrotzenden Youngster gerade nicht als blindwütig grausamen Schlagetot, sondern immer wieder als einen Menschen mit Herz, Gewissen und Mitgefühl auf die Bühne bringt. Gewiss, Siegfried tötet auch hier (wenn auch unsichtbar) den Lindwurm, hinter dem sich der Riese Fafner samt Nibelungen-Hort verbirgt, er erschlägt auch seinen bösen, heimtückischen Ziehvater Mime. Umso anrührender zu sehen, mit welchem Respekt, welch anmutiger Fürsorge, ja, Zärtlichkeit er selbst von den Toten Abschied nimmt.
Und Guth hatte das Glück, in dem großen Wagner-Tenor Christian Franz einen Siegfried zu finden, der genau diese Facetten einer noch völlig unverbogenen Menschlichkeit mit Verve und wunderbarer Behutsamkeit zu grandioser Geltung brachte. Als habe diese seine Paraderolle hier neuen Sinn, neue Würde und Tiefe gewonnen. Wobei ihm in brillanten Charakterzeichnungen vor allem Peter Galliard als irrwitziges Nervenbündel Mime, Wolfgang Koch als versoffener Alberich, Falk Struckmann als imposanter Wanderer und die stimmprächtige Catherine Foster als Brünnhilde glänzend zur Seite standen.
Simone Young schwang sich am Pult des anfangs noch etwas unsicheren, dann aber packend und einleuchtend musizierenden Philharmonischen Staatsorchesters ebenso einfühlsam wie auch mit präziser Wucht und grellen Attacken in diese intelligente "Siegfried"-Lesart ein.
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