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Foto: Foto: D. Jame
Foto: Foto: D. Jame

John De Andrea: „Selbstporträt mit Skulptur“ (1980) 

Vorsicht Falle!
31.08.2018

Wie Kunst uns hinters Licht führt

Von Rüdiger Heinze

Der Mensch sieht gern Zauberkunststücke – und will wissen, wie’s funktioniert. Eine animierende Münchner Schau zeigt Bilder und Skulpturen zum Titel „Lust der Täuschung“.

Der Mensch liebt es, verblüffende Dinge zu sehen. Zum Beispiel eleganteste Artistik auf dem Fußballfeld und im Zirkus, trickreiche Zauberer bei der Arbeit, Wunder und Abnormitäten und Monströses der Natur – und auch Viecher, die Wolpertinger heißen und Einhorn und Drache. Gerne auch als laufende Bilder im 180-Grad-Kino plus 3-D-Brille.

Auch die Kunst kann artistisch sein, trickreich, des Wunders voll und phantastisch mit den Realitäten des Lebens spielend. Dann ist sie besonders beliebt, denn dann ist sie zum Staunen. Und jeder will wissen, worin ihre Artistik liegt und ihr Trick in der Darstellung und ihr Wunder. Der Mensch will nämlich nicht nur verblüfft sein, er will auch dahinter kommen, wenn ihm jemand ein X für ein U vorzumachen versucht.

Das Publikum ist hingerissen und löst regelmäßig die Alarmanlage aus

Und diese beiden Prinzipien – Trick und Aufdeckung – schlagen sich jetzt auch akustisch in der animierenden Ausstellung „Lust der Täuschung“ in der Kunsthalle München nieder: Kein Besucher in Begleitung, der nicht gelegentlich hinweisend etwas für „toll“ befindet oder als „einen echten Hammer“ betrachtet oder raunt: „faszinierend“, „unglaublich“. Und dass gleichzeitig permanent die Alarmanlage ausgelöst wird, zeigt nur, wie viele der Gäste im Bemühen, hinter einen überraschenden Kunstgriff zu kommen, viel zu dicht an die Ausstellungsobjekte herantreten...

Also die Lust an der Täuschung. Aber vor ihr steht in der Münchner Schau erst einmal die Angst bei der Täuschung – und damit auch die Erkenntnis, dass diese Angst von der Seherfahrung abhängig ist. Die Betrachter des Lumière-Kurzfilms „Ankunft eines Zuges am Bahnhof von La Ciotat“ (1895) schreien heute nicht mehr entsetzt auf und flüchten nicht, wenn ihnen die Dampflok in Schwarzweiß quasi entgegenrauscht. Aber dieselben Betrachter werden dann höchst wacklig und furchtsam, wenn sie sich einen Raum weiter, bestückt mit einer Virtual-Reality-Brille, an einer Hochhausdachkante wähnen und animiert werden, auf einer Art schmalem Sprungbrett ein paar Meter hinauszutreten über die abgrundtiefe Straßenschlucht. Das kostet Überwindung des Ungeheuerlichen, denn die Film-Vortäuschung großer Höhe durch VR-Brille ist enorm.

Der Mensch glaubt erst einmal das, was er sieht

Der Mensch glaubt erst einmal, was er sieht, noch dazu räumlich. Und das ist das Brett und die Fallhöhe – und nicht der tatsächlich reale Kunsthallenboden unter den Füßen. „Richie’s Plank Experience“ (2017) ist im Übrigen nur eine von drei VR-Werken der Schau. Eindrucksvoll zeigt sich auch Laurie Andersons „Chalkroom“, ausgezeichnet bei den Filmfestspielen Venedig 2017, in dem der Betrachter durch einen Kosmos von Buchstaben, Wörtern, Sätzen, Geschichten fliegt.

Diese VR-Produktionen stehen historisch vorerst am Ende des künstlerischen oder wenigstens kunsthandwerklichen Spiels mit der bildnerischen Illusion. Am Anfang aber steht der Zweikampf der antiken Maler Zeuxis und Parrhassios, wie Plinius ihn schildert. Zeuxis malte Trauben so naturgetreu, dass Vögel sie fressen wollten, aber Parrhassios malte einen Vorhang so täuschend echt, dass Zeuxis ihn irrtümlicherweise beiseite schieben wollte, um das anscheinend dahinter steckende Gemälde zu betrachten.

Wie male ich ein zerbrochenen Bildglas?

Die künstlerischen Nachfahren von Zeuxis und Parrhasios stellen nun einen Großteil der illusionistischen Malerei und Bildhauerei in „Lust der Täuschung“. Sei es jener Christus am Kreuz inmitten eines gemalten Schmuckrahmens mit anscheinend eingeklemmtem Zweiglein, der durch Tiefenperspektive, Schatten und elfenbeinfarbenen Glanz so plastisch aufscheint, als wäre er geschnitzt (Joseph-Marie Vien d. J., 1819). Sei es Louis-Léopold Boillys um dieselbe Zeit entstandenes „Porträt eines Mannes mit zerbrochenem Bildglas“ (wobei die Sprünge des Glases natürlich verblüffend gut imitiert sind). Sei es ein mit Ölfarbe von Sebastian Stoskopff nachgeahmter feiner S/W-Kupferstich (1651) mit angetäuschten Falten und Eselsecken.

Trompe l’œil-Malerei („Augentäuschung“) nennt man diese uralte Kunst, die in vielen Variationen bis hin zur Gegenwart eines Michael Triegel in der Kunsthalle zu betrachten ist – und zu begutachten, zu prüfen. Wie groß sind Handwerk und damit Täuschung? Letztlich zählen auch die vielen Stillleben mit Blumen oder erlegten Tieren des flämischen Barock dazu. Die lästigen Fliegen auf saftigen Trauben oder frischen Fischen: Trompe l’œil. Der Vorhang vor Cornelis Gijsbrechts „Falkenjagd-Stillleben“ (1671): Trompe l’œil – und ein Versatzstück-Erbe von Parrhasios und Rembrandt, das übrigens auch Vermeer gerne antrat.

Ein weißes Herrenhemdaus Carrara-Marmor

In der Plastik ist es wiederum die Kunst der zeitgenössischen Hyperrealisten, die frappiert und das staunende Auge automatisch suchen lässt nach möglichen kleinen entlarvenden Patzern im übersteigerten Realismus. John De Andreas plastisches „Selbstporträt mit Skulptur“ (1980), Daniel Firmans Mädchen „Jade“ (2015) und das zusammengefaltete weiße Hemd aus Carrara-Marmor von Jud Nelson (Achtung: Materialtäuschung!) gehören dazu. Viel mehr als verblüffende Präzision lässt sich aus solcher Kunst aber schwerlich herauslesen.

Gegen Ende franst die Schau ein wenig aus. Nun wird aufgeboten, was noch alles täuschen kann: die Fälschung mit Betrugsabsicht (wie handgemalte 1000-Mark-Blüten), die Foto-Tapete, das Make-Up und die Bildbearbeitung der Werbung, Appropriation-Kunst, die kabarettistische Nonsens-Filmreportage, eine Kopie des berühmten Vincent-van-Gogh-Schlafzimmer-Gemäldes aus dem chinesischen Kopisten-Dorf Dafen (Kosten: 350 Euro), dazu nette Hingucker wie zerdepperte Porzellan-Gefäße, aus denen Porzellan-„Milch“ auszufließen scheint, die ebenfalls das Muster des kaputten Gefäßes trägt.

Ein Christuskopf, geritzt mit einer einzigen Spirallinie

Da haben denn doch andere, ältere Ausstellungsobjekte mehr mit der Lust der Täuschung zu tun. Etwa die anamorphosen Bildwerke, deren Motive nur aus einem bestimmten Blickwinkel zu erkennen sind (und eventuell sogar einen Spiegel zum Erkennen benötigen). Holbein der Jüngere und Salvador Dalí haben sich damit beschäftigt; in München sind diesbezüglich Wunderkammer-Arbeiten um 1720 aus Leiden zu sehen sowie (in Kopie) eine römische Kloster-Wandmalerei, darstellend in extrem schräger Sicht den heiligen Franz von Paola im Gebet. Und dann ist da noch der sensationell radierte Christuskopf von Claude Mellan – entwickelt aus einer einzigen Spirallinie, ausgehend von der Nasenspitze (1649). Das ist die Lust an überragender handwerklicher Technik.

Auch Bayerisch-Schwaben trägt seinen Teil zur Ausstellung bei: Der Augsburger Martin Engelbrecht stach im 18. Jahrhundert Prospekte für kleine Guckkästen, keine 30 Zentimeter tief. Und in solch einen Guckkasten kann man nun auch in München blicken – und ausbreitet sich eine barocke Bühnenlandschaft, scheinbar 200 Meter in die Tiefe. Lust der Täuschung.

Lust der Täuschung Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8, Laufzeit bis 13. Januar 2019, täglich von 10 bis 22 Uhr außer Heiligabend. Regulärer Eintrittspreis: zwölf Euro, montags halber Preis. Katalog (Verlag Hirmer): 29 Euro

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