Wie wär‘s mit einem Kleid aus Plastiktüten?
Der Künstler Stephan Hann fertigt seine Kreationen aus Abgelegtem und Weggeworfenem fertigt. Wie das aussieht, zeigt jetzt eine Augsburger Ausstellung.
Sein Blick aus der Wohnung war ein Blick in eine unerreichbare Welt. Stephan Hann wohnte als Kind und Jugendlicher im letzten Haus vor der Mauer. Was dahinter lag, der andere Teil Berlins und die DDR, war eine fremde Welt. Hann erfuhr schmerzhaft plastisch, wie scharf eine Grenze trennen kann. Ein Bruchstück der Mauer samt Armierungsstahl hat der Berliner Modekünstler bis jetzt in seiner Berliner Wohnung aufbewahrt. Jetzt ist dieses Stück in Augsburg zu sehen, weil hier im Textil- und Industriemuseum eine große Werkschau des Künstlers unter dem Titel „Phoenix“ präsentiert wird.
Dieses Bruchstück der Mauer ist Teil einer zwölf Meter langen Wand-Installation, die normalerweise in der Privatwohnung des Künstlers laufend verändert wird. Sein eigenes Kunst-Kraftfeld, in dem er Fundstücke von Flohmärkten, kleinere Kunstwerke, Kunstdrucke, aber auch Objekte anordnet. Und dieses Stück Mauer, das sich dann noch einmal in einer großen Fotografie widerspiegelt, einem Bild, das den Blick von Hanns Zimmer in den Osten wiedergibt, macht anschaulich, wie Hanns Modekunst verstanden werden kann.
Stephan Hanns Kleider sind Unikate
In seiner Mode treibt er das Prinzip der Grenzziehung auf die Spitze. Kleidung, die sonst den Körper bedeckt, ihn von der Umwelt trennt und ihm eine andere Oberfläche gibt, büßt bei Hann ihre Funktionalität ein. Seine Kreationen dienen nicht mehr dazu, in Serien-Produktion zu gehen und getragen zu werden. Sie sind Unikate – Kunstwerke, die ausschauen wie Abendkleider mit Schleppe oder wie Samurai-Rüstungen. Diese Stücke sind reine Oberfläche, also auch reine Grenze, die nur noch für sich da ist und nichts mehr trennt.
Unwillkürlich richtet sich bei den Kreationen von Stephan Hann der Blick auf das Material. Die Bordüren, aus denen da ein gewagtes Kleid geschneidert worden ist, entpuppen sich als Magnetbänder. Bei anderen Kleidern sind es Architekturpläne, Plastiktüten, Tetra-Pak-Kartons. Für eine Kreation hat Hann zum Beispiel ein Jahr lang jede Tüte von seinen Einkäufen aufgehoben. Es waren so viele, dass das Kleid eine opulente Schleppe bekommen hat. Für eine silbern schimmernde Rüstung wiederum dienen Tabletten-Blister als Grundstoff. Genau die Packungen, die eine querschnittgelähmte Freundin des Künstlers innerhalb eines Jahres einnehmen musste.
So weit es geht, näht Hann seine Kreationen. Das Handwerk, das er als Jugendlicher in einer Herrenmaßschneiderlehre an der Deutschen Oper Berlin erlernt und das er später durch ein Studium der Szenografie und Mode an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee vertieft hat, bleibt in seinen Arbeiten präsent, auch wenn das Ziel nicht mehr Kleidungsstücke zum Tragen sind. Wie auch, wenn das Kleid aus Rosenblättern besteht? Jedem Museumskonservator wird dieses fragile Kunstwerk Bauchschmerzen bereiten, so zerbrechlich sind die Tausende von Blütenblättern, die langsam ausbleichen.
Hann ist ein passionierter Sammler, der immer wieder auf Flohmärkten seine „Stoffe“ findet – alte Fotografien, die in dicken Bündeln angeboten werden, Kostbarkeiten wie Spitzen aus Silber und Gold. Sein Lager wachse beständig, erzählt der Künstler. Und, dass er das Gefühl habe, Stücke der Erinnerung zu schaffen.
Mode mit Material, das aus der Mode ist
Denn vieler der Materialien, die Hann benützt, sind mittlerweile aus der Mode gekommen. VHS-Videokassetten gibt es schon länger nicht mehr, den Plastiktüten hat die Politik den Kampf angesagt, auch das alte Filmmaterial führt im digitalen Zeitalter nur noch eine Randexistenz.
Da kommt der Ausstellungstitel ins Spiel. „Phoenix“, dieser mythische Vogel, der am Ende seines Lebens verbrennt und aus der Asche wieder neu entsteht. Hann sammelt die ausrangierten Stoffe und gibt ihnen in seinen Kreationen eine neue Bedeutung, einen neuen Sinn. Die Architekturpläne, die zusammengerafft sind, kann man nicht mehr lesen, sie verweisen nicht mehr auf das konkrete Bauwerk, aber die Linien hat Hann zu Mustern arrangiert. Das Material wird von seiner Funktion befreit und bekommt dadurch eine neue eigene Geltung.
So gefällig und opulent die Schaufensterpuppen mit den Kollektionen Stephan Hanns im Gesamten ausschauen, so vieldeutig sind sie aus der Nähe und einzeln betrachtet. Selbst Religiöses schwingt mit, wenn Hann zwei Priestergewänder zeigt: das eine aus getragenen Jeans, das andere aus Malervlies.
Die Ausstellung „Phoenix – Modewelten von Stephan Hann“ ist bis zum 29. Juli im Textil- und Industriemuseum Augsburg zu sehen. Geöffnet ist die Schau Dienstag bis Sonntag von 9 bis 18 Uhr. Öffentliche Führungen finden an Sonn- und Feiertagen statt. Für Schulklassen gibt es spezielle Workshops. Der Katalog zur Schau befindet sich im Druck.
Die Diskussion ist geschlossen.