Wo es leicht ist, Witze über Arme zu machen
Ein starker und irrekomischer Start ist beim Festival „Radikal jung“ am Münchner Volkstheater mit "Café Populaire" zu sehen.
Willkommen im Klassenkampf des 21. Jahrhunderts, willkommen in Blinden, das eine Nachbarstadt von Friedrich Dürrenmatts Güllen sein muss. Denn Blinden hat zwar keine Milliardärin auf Besuch, aber Püppi, die rote Klassenkämpferin, die im Hospiz lebt, kann es schon aufnehmen mit Claire Zachanassian. Ihr gehört nämlich der Gasthof „Die goldene Möwe“ – samt Einliegerwohnung. Und sie schafft es, Svenja, die gescheiterte Künstlerin, die als Hospizclown Anti-Pointe an Anti-Pointe reiht, und Aram, der von Svenja generös zum Dienstleistungsproletariat gezählt wird, in einen wahren Bieterwettstreit um die Pacht zu bringen.
„Café Populaire“ heißt das Stück, mit dem das Festival „Radikal jung“ im Münchner Volkstheater am Samstagabend beginnt. Dort sind noch bis zum 5. Mai 15 Produktionen des Regie-Nachwuchses zu sehen. Nach eigenen Angaben ist es das größte und wichtigste Festival dieser Art im deutschsprachigen Raum. Schon der Auftakt zeigt, warum das für das Publikum ein Gewinn ist.
Erst Schauspielerin, dann Autorin und Regisseurin
Das Stück stammt von der Theatermacherin Nora Abdel-Maksoud, 1983 in München geboren. Sie hat es nicht nur geschrieben, sondern auch am Theater Neumarkt Zürich selbst inszeniert. Angefangen hat die junge Regisseurin und Autorin als Schauspielerin, erst mit einem Studium an der Filmhochschule Konrad Wolf, später als Bühnenschauspielerin unter anderem am Berliner Ballhaus Naunynstraß und am Maxim Gorki Theater Berlin. Und dann fand es Abdel-Maksoud befremdlich, als Schauspielerin nur Rollen angeboten zu bekommen, die sie aufs Frau-sein festlegten. Also wechselte sie die Seiten.
In „Café Populaire“ lässt sie ihre vier hervorragenden Darsteller auch mit Klischees spielen, aber eben nicht über Geschlechterrollen, sondern über die Klassenunterschiede, die jeder wahrnimmt, aber niemand wahrhaben will, weil die Klasse als Begriff in unseren Breiten ausgedient hat. Nein, da ist Svenja (Eva Bay), der Hospizclown, viel weiter. Sie hat doch ein großes Herz auch für das Dienstleistungsprekariat. Und sie hat fest vor, immer darüber hinwegzusehen, dass Aram (Maximilian Kraus) das Expedit-Regal von Ikea praktisch statt hässlich findet. Er weiß es einfach nicht besser. Wie auch, er hat ja nicht studiert.
Schnell geht es drunter und drüber
Auf einer schmalen Galerie findet das alles statt, die Schauspieler können den Körperkontakt kaum vermeiden, wenn sie aneinander vorbei wollen. Alles ist in gepflegten Pastell-Tönen gehalten, der Hintergrund, der Vordergrund. Aber ziemlich schnell geht es in dieser Wohlfühlatmosphäre drunter und drüber. Abdel-Maksoud entlarvt in rasantem Tempo, wie viel kleinbürgerliches Klassenbewusstsein jeder Theaterbesucher spielend einfach aufbringt. „Warum Witze über Arme hier so gut funktionieren? Weil sie sich die Karten fürs Theater nicht leisten können!“
Gekonnt verknüpft Abdel-Maksoud die bitterböse und irrekomische Kritik mit der Rahmenhandlung um das Gasthaus „Die goldene Möwe“. Sie legt Fährten zu anderen Werken, reiht Pointen an Pointen und schafft Momente reinen Slapsticks. Es ist ein Vergnügen, wie sie dem Publikum ziemlich offensichtlich den Spiegel vorhält. Ein starker Festivalbeginn in München.
Das Festival „Radikal jung“ findet noch bis zum 5. Mai im Münchner Volkstheater statt. Noch gibt es wenige Karten für die Vorstellungen.
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