Träumst du noch – oder wachst du schon? Die Frage ist ihm durch den Kopf gegeistert, diesem Samuel Pepys aus London. Er war Staatssekräter der Marine, ein Mann von Kultur, Musiker und Tagebuchschreiber. Damals, es waren die 1660er Jahre, kroch die Pest über die Insel, und Pepys notierte, was er nur sah, hörte, schmeckte, aufschnappte. Im Kaffeehaus begann er mit Stammtischbrüdern zu philosophieren, wie die Seuche das Zeitgefüge auszuhebeln schien: „Was wir tun, tun wir es gerade im Traum oder in der Wirklichkeit?“ Vielleicht fand Pepys mit seinen Gedanken auch Trost und Antworten an den Saiten seiner Laute. Er beherrschte das Instrument, beschloss, auch die Blockflöte zu lernen. Ein Leben mit wachen Augen und vielen Tönen – und das hat nun mehr als 350 Jahre später ein Musik-Duo in Augsburg inspiriert.
Iris Lichtinger und Axel Wolf auf Samuel Pepys' Spuren
Als die Pandemie, diesmal Corona, über die Welt zog, haben Iris Lichtinger und Axel Wolf einmal mehr zusammengefunden. Sie: Augsburger Blockflötistin, Sopranistin, Pianistin und vieles mehr. Er: Könner an Theorbe und Laute, mit dem Echo Klassik ausgezeichnet. „Musik ist für mich ein Mittel, um Heilendes oder Tröstliches zu kommunizieren“, erklärt Lichtinger im Booklet zu ihrem Duo-Album „Dreaming und Waking“ (Label: Perfect Noise). Und beim Blättern in Pepys Pest-Tagebuch sei ihr die Idee zum Album gekommen: Musik des Barock, gerne aus London, mit Flöte, Laute, Theorbe.
Die Studio-Kulisse hallt auf der CD zart mit, samt ihrer Geschichte: Im Felicitas-Saal des Augsburger Maximilianmuseums, unter dem Wolkenhimmel einer Renaissance-Deckenmalerei, hat das Duo seine Mikrofone aufgebaut. Den Reigen eröffnet das Werk des Godfry Finger mit dem Poem „A Ground“: Was wie eine sommerlich gezupfte Saiten-Ballade anklingt, blüht im Kern auf mit tanzenden Fingerspielen der Flöte. Aber dann folgt schon die Ruhe, eine Ciaccone, bei der der Bass im immerselben Muster schreitet und die Flöte obenauf Melodien malt und variiert.
Das Album "Dreaming and Waking" verbindet Flöte und Laute
Giovanni Girolamo Kapspergers Toccata steuert das schönste Beispiel bei für die barocke Traumversunkenheit: Wolf spielt sie so zart wie zeitvergessen, wie Meditation und Gebet. Ein Beispiel dagegen für rasende Wachzustände: Bei Solomon Eccles Volldampf-Miniatur „Bellamira“ beginnt die Flöte fast wie von der Tarantel gepikst, zackig und mitten ins Leben gestürzt, mit Staccato, klarem Zungenschlag.
Lichtinger lässt hören, wie viel Leben sie einer Blockflöte einhauchen kann. Das Stück Holz lässt zwar nicht viel Spiel in der Klangfarbe, Riesencrescendi scheinen unmöglich – aber umso mehr zählt der lebendige Atem. Da klingt die Flöte erst wie eine Stimme, bald wie eine Orgelpfeife. Und in Axel Wolfs Spiel schwingt mit, dass er nebenbei ein kreativer Improvisateur am Saxofon ist. Freies Spiel, das verbrüdert Barock und Jazz.
Dieses Album von 27 Werken und Sätzen ist ein Forscherstück mit Wiederentdeckungen – und zugleich eine Verneigung vor altbekannt Meisterhaftem. Ein Beitrag zur Frage: Wie klang der Barock, nicht nur auf der Insel?
Info: Das Album "Dreaming and Waking" ist ab sofort erhältlich und ist beim Label Perfect Noise erschienen.