Peter Bialobrzeski zeigt die Stadt von ihrer wilden Seite
Asiatische Megacities sind das Spezialgebiet des deutschen Fotografen. In einer Schau im Stadthaus Ulm teilt er seinen Blick auf "Urbane Räume" in der Welt.
Berlin ist mehr als das Brandenburger Tor, Paris nicht nur Eiffelturm und Arc de Triomphe. Städte existieren jenseits von Postkartenmotiven und Instagram-Spots. Fotograf Peter Bialobrzeski rückt in seiner Reihe "City Diaries" die Alltagsbilder einer Stadt in den Fokus, die sonst kaum gezeigt werden. Wie viel mehr es in Städten rund um den Globus mit der Kamera noch zu entdecken gibt, zeigt seine Ausstellung "Urbane Räume" im Stadthaus Ulm.
19 City Diaries sind bisher als Buch erschienen. In der Ulmer Ausstellung können Besucherinnen und Besucher auch in bereits vergriffenen Ausgaben blättern. Diese Stadttagebücher sind der Dreh- und Angelpunkt im Schaffen Bialobrzeskis, der zu den prägenden Fotografen unserer Zeit gehört. Der 61-Jährige wurde unter anderem mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet.
Anders als in seinen Büchern ist es in der Ausstellung für Bialobrzeski nicht von zentraler Bedeutung, in welcher Stadt ein Foto aufgenommen wurde. Auf entsprechende Beschriftungen haben er und Kurator Raimund Kast verzichtet, allein die Bilder sollen auf die Betrachter wirken. Die intuitive Ordnung der Fotografien ist aufgehoben: Minsk hängt nicht bei Minsk, sondern auch mal neben Dhaka oder anderen tausende Kilometer entfernten Orten. Das dröge Bild einer europäischen Stadt wie Linz dürfe gern mit dem einer asiatischen kontrastiert werden, meint Bialobrzeski. Das Format der Ausstellung biete - anders als die Bücher - auch die Möglichkeit, Verbindungen zwischen Städten zu suchen und aufzuzeigen.
Es sind nicht unbedingt die berühmten Metropolen, die Peter Bialobrzeski für seine City Diaries auswählt. Es gehe ihm auch nicht um Ästhetik, macht er deutlich. Bialobrzeski will eine Stadt zeigen, wie sie ist, sie erforschen, wie es die Fotografen des 19. Jahrhunderts auf ihren Reisen getan haben. "Heutzutage wird so viel fotografiert wie nie, aber man bekommt kein Bild einer einfachen Straßenkreuzung", sagt Bialobrzeski, als er berichtet, wie die Idee zu den Citiy Diaries entstanden ist. 2011 war er nach Dhaka in Bangladesch eingeladen. Befragt danach, wie es dort aussieht, habe Google nur Bilder aus zwei Kategorien ausgespuckt: hübsche, bunte Fotografien von Sehenswürdigkeiten und triste Abbildungen von Menschen, die unter prekären Bedingungen ihr Leben leben. Bialobrzski macht es seither anders, auch wenn dann nicht Dhaka, sondern Kairo als erstes City Diary veröffentlicht wurde.
Warum Fotografieren auch "Selbstverarsche" ist
Und schließlich fotografiert Peter Bialobrzeski, der auch als Professor an der Akademie der Künste in Bremen arbeitet, um die Welt für sich zu sortieren. "Alles wird immer komplexer und verrückter, aber in dem Moment, in dem ich ein Foto mache, eigene ich mir die Welt an", erklärt er und räumt schon im nächsten Satz ein, dass das ganze natürlich reine "Selbstverarsche" sei - "aber für mich funktioniert's."
Asien mit seinen Megacities zählt zu Bialobrzeskis favorisierten Motiven. Die Millionenstädte tauchen auch in anderen Serien auf, in die "Urbane Räume" einen Einblick gibt. "The Raw and the Cooked" ist eine Reihe, die die Entwicklung einer solchen Megacity erzählt. Auch hier kommt es Bialobrzeski nicht auf den konkreten Schauplatz an, sechs verschiedene Städte verschmelzen zu einer Serie, an deren Anfang provisorisch wirkenden Behausungen stehen, am Ende riesige Hochhäuser. Die Städte werden immer größer, doch es gebe keinen Plan, wie sie sich entwickeln sollen, erklärt Peter Bialobrzeski. Seine Bilderreihe zeichnet den Weg nach, den einige Städte bereits gegangen sind und auf dem sich einige noch befinden - inklusive der vielen Gebäude, die man mit europäisch gefärbten Blick gerne als "Wildwuchs" bezeichnet.
Fotograf Bialobrzeski hat eine Hassliebe zu Mumbai
Mumbai machte Bialobrzeski zum Hauptcharakter seines Bildbandes "No Buddha in Suburbia". Der Fotograf spricht von einer Hassliebe zur indischen Hauptstadt, die er mehrfach besucht hatte. "Auf der einen Seite anstrengend, auf der anderen aber auch faszinierend", so Bialobrzeski. Er erzählt von den immer heillos überfüllten Pendelzügen, die zwischen den Vororten um dem Zentrum Mumbais verkehren. Es ist eines der vielen Beispiele, die deutlich machen, wie sehr sich die Lebensrealität der Menschen dort von der unseren unterscheidet. Jeden Tag würden auf und an den Gleisen im Schnitt acht Menschen sterben, berichtet Bialobrzeski. Doch die Züge fahren weiter, bislang ändert sich nichts an der Situation.
Was für uns unvorstellbar scheint, sei anderswo Normalität. "Die verzweifeln nicht täglich daran, dass sie keine Krankenversicherung haben", sagt der Fotograf. Doch er hat Respekt vor diesen Menschen, die ihr Leben unter derart prekären Umständen gestalten. Ihnen ist der Bildband "Case Study Homes" gewidmet, der mit einfachsten Mitteln zusammengezimmerte Hütten aus den Slums von Manila zeigt.
Wer in der Ausstellung "Urbane Räume" dann die Treppe Richtung oberstes Stockwerk einschlägt, landet unvermittelt in einer anderen Welt. Bialobrzeski vermag nicht nur uns fremde Welten mit seiner Kamera festzuhalten. Auch in Deutschland ging er auf Entdeckungsreise. Ganz oben im Ulmer Stadthaus hängen ausgewählte Fotografien aus dem Projekt "Die zweite Heimat". Es sind Bilder Deutschlands, die eine besondere Art der Allgemeingültigkeit haben. "Fremdvertrautheit" nennt Henning Sußebach das in seinem Begleittext zu Bialobrzeskis Buch. Eine genaue Zuordnung fällt schwer; doch die Motive kommen einem alle irgendwie bekannt vor.
Info: Die Ausstellung "Urbane Räume" mit Fotografien von Peter Bialobrzeski ist noch bis zum 15. Januar im Stadthaus Ulm zu sehen. Der Eintritt ist frei.
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