Schuhe aus Orangenschalen: "Design Goals" im Textil- und Industriemuseum
Im Textil- und Industriemuseum Augsburg zeigen neun Designerinnen, wie sich aus Natur, Produktionsresten und Ungebrauchtem völlig Neues schaffen lässt.
Durch diese Ausstellung im Staatlichen Textil- und Industriemuseum zu schlendern, das fühlt sich fast so an, wie durch einen hippen Mode-Katalog zu blättern: Ein hochglanzwerbetaugliches Foto an der Wand setzt ein oranges Paar Sneaker ins Licht. Daneben hängt ein grauweißer Mantel, der so kuschelig wie durchdesignt wirkt und um die Ecke tragen Schaufensterpuppen sportliche Jacken und Hosen in matten, edlen Champagnertönen. Also alles nur Kleidung? So wie man sie kennt und trägt? Tatsächlich – nicht. Im Sneaker-Stoff stecken Orangenschalen. Die Laufsteg-Jogger-Klamotte besteht aus dem Material aussortierten Airbags. Und der Mantel? Sieht so flauschig aus, weil er aus Flusen besteht. Aus Fusseln, die Stoff abwirft. Die Botschaft trifft das Auge auf den zweiten Blick, wenn man die Begleittexte zur Mode an den bunten Stellwänden liest. Neun Designerinnen wollen hier ein Zeichen setzen, für Nachhaltigkeit. „Design Goals“ – übersetzt: Ziele für das Design –, so heißt die originelle Schau im Textilmuseum, die dort bis zum 24. September zu erleben ist.
Da hatte unsere Gesellschaft doch gerade erst den drohenden Klimakollaps erkannt, ihn zumindest im Ansatz begriffen? Aber dann kam Corona. Und danach der Krieg. Die Menschheit ächzt an allen Enden – und das Klima heizt ungebremst weiter auf. Dass an dieser globalen Patsche auch die Modebranche ihren Anteil hat, weiß Karl Borromäus Murr. Der Leiter des Textilmuseums kennt die Zahlen: „Die Textilindustrie stößt weltweit gut 1,2 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr aus. Diese Branche gilt nach der Öl-Industrie auch als der zweitgrößte Verschmutzer.“ Das zu ändern, sei eine Herausforderung, „ethisch, wissenschaftlich, künstlerisch“.
Und diese Aufgabe nehmen die Designerinnen an, die in Augsburg ihre Konzepte zeigen. Eine Professorin und acht Studentinnen der Krefelder Hochschule Niederrhein, die dort Design-Ingenieur oder Textil- und Bekleidungstechnik studieren, haben sich für dieses Projekt samt Schau zusammengetan.
Ihren Stoff findet Katharina Grobheiser in Wäschetrocknern. Für Entwürfe, die sie „Fuzzy“ nennt, sammelt die Designerin Fitzelchen, Stoffabrieb, schlicht: Fusseln. Die recycelt sie zum Beispiel zum Wollmantel mit wasserabweisenden Flächen. Wo solche Flusen ab- und anfallen? „Auch von Theatern mit Wäscherei habe ich ganz viel Material erhalten“, erklärt Grobheiser. Für sie war dieses Experiment vor allem ein intensiver Ausflug in die Materialforschung.
Mode aus Resten: Elise Esser tritt da noch einen Schritt weiter zurück in der Produktionskette, zum Ursprung. Orangenleder nennt sie das Material ihres Sneakers, weil sie darin tatsächlich Zitrusfrucht-Schalen verarbeitet. Aus Ginkoblättern und Tannennadeln schafft sie außerdem Brillenetuis. Im Prozess verbindet sie Naturmaterial mit Biopolymeren, die den Stücken Stabilität geben – und sie bleiben kompostierbar.
Professorin Marina-Elena Wachs sagt glasklar, was sich ihr Ansicht nach ändern muss: „Die Modeindustrie muss künftig weniger produzieren, dafür aber auch qualitativ hochwertiger.“ Als Wachs ihre Laufbahn begann, hieß ihr Beruf noch Damenschneidermeisterin. Sie selbst steuert nun eine Kombi aus den 90ern bei: Jacke, Weste, Rock, zeitlos schwarz. Das Material: Seidenorganza, Knöpfe aus Horn, eine Schnalle aus Perlmutt. Nachhaltigkeit von früher.
Und heute? Die Welt wandert ab ins Netz, digitalisiert sich und die Mode zieht mit. Hier knüpft Gesa Balbig mit ihrer Nachhaltigkeitsphilosophie an: „Digital arbeiten, um unnötigen Verbrauch zu vermeiden.“ So entwirft sie am Computer Teppiche, Textilflächen oder auch schalartige Konstrukte, die sie rund um eine Säule strickt. Was den Stücken gemein ist: ein schillernder 3D-Effekt in schwarz und weiß. Fast architektonisch mutet das an. Aber der neue Schein trügt: Per Hand zeichnen, Stoff anfassen, Material prüfen – das gehört auch für Balbig zur Ingenieurarbeit an der Mode. Sie nennt es „das textile Wissen, das jahrhundertealte Wissen“.
Auch ihre Kollegin Etien-Marie Hofbauer baut mit ihren Werken auf das Prinzip „Zero Waste“ – was bedeutet, dass nichts verlorengeht, alles ist (wieder-)verwertbar. Blätter von Ananaspflanzen, die bisher als unnutzbar galten, nimmt sie als Basis für einen Lederersatz, aus dem sie vegane Handtaschen formt.
Ausschussware? Melissa Grustat bedient sich bei Überbleibseln, und zwar aus der Verkehrssicherheitsindustrie. Ausgemusterten Airbag-Stoff schneidert sie zur sportlichen Kleidung. Ihre Airbags liefen schon auf der Berliner Fashion Week über den Catwalk. Visionen wie diese, für bessere Mode, für eine gesündere Industrie, zeigt das Textilmuseum.
Die Diskussion ist geschlossen.