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Foto: Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth, dpa
Foto: Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth, dpa

Stephen Gould (Tristan) und Catherine Foster (Isolde) haben in "Tristan und Isolde" die Bayreuther Festspiele eröffnet.

Bayreuther Festspiele 2022
27.07.2022

"Tristan und Isolde" eröffnet Wagner-Festspiele herausragend und gefühlvoll

Von Stefan Dosch

Die Bayreuther Festspiele eröffnen mit einer bewusst zurückhaltenden Inszenierung von Wagners Musikdrama "Tristan und Isolde". Gleichwohl hat die Neuproduktion Herausragendes zu bieten.

Als das Saallicht schon herunterfährt, stehen viele noch vor ihren Sitzen in den engen Publikumsreihen des hochsommerlich dampfenden Festspielhauses. Es will halt noch schnell das Jackett ausgezogen, die Maske vors Gesicht gezogen und ein letzter Blick nach hinten geworfen werden – ob nicht vielleicht doch noch in der Loge „die Angela“ zu erhaschen wäre? –, da tönt es auch schon leise dringlich aus dem verdeckten Orchestergraben, das unsterbliche aufsteigende Intervall, hinführend zum nicht minder ewigkeitstauglichen Tristan-Akkord, und schon liegen aus dem Munde hartgesottener Wagner-Fans die ersten Zischer in der Luft. Sofort hinsetzen, Ruhe geben, mitverfolgen! Hier gilt’s der Kunst. In der radikalen Einforderung dieses Anspruchs sind die Bayreuther Festspiele noch immer unvergleichlich.

Festspiele in Bayreuth 2022: Dirigent Markus Poschner stieg bei "Tristan und Isolde" erst spät ein

Irgendwie auch verständlich, es sind ja nicht irgendwelche Klangfolgen, die da aufsteigen, sondern ein Tongebilde, das Epoche gemacht hat. Und so, wie Markus Poschner sich dieses Vorspiels zu „Tristan und Isolde“ annimmt, lässt das gleich Bestes erhoffen für das Dirigat des Mannes, der erst gegen Ende der Probenphase einstieg in diese Neuproduktion.

Straff und transparent der Wagner’sche Mischklang, Dramatik wird mehr durch rhythmischen Puls als durch Lautstärke erzeugt, und doch wird das Rauschhafte dieser Partitur nicht unterm Tisch gehalten. Poschner kennt seinen Wagner, das ist nicht zu überhören an diesem Eröffnungsabend der Festspiele 2022. Er trifft hier auf ein bravourös disponiertes, elastisch reagierendes Orchester, und wenn doch mal eine Passage zu deckend gerät für die Durchhörbarkeit der Sänger, so nimmt das nichts vom Gesamteindruck: Ein glänzender „Tristan“, mit dem Poschner sich für Weiteres empfiehlt.

Aber auch ein anderer aus dem Produktionsteam imponiert bei diesem neuen Bayreuther „Tristan“ – für seinen Mut, der berühmt-berüchtigten äußeren Handlungsarmut dieser Oper nicht mit Aktualisierungen (ob sie nun gelingen oder nicht) beikommen zu wollen. Regisseur Roland Schwab konzentriert sich ganz auf das Liebesgefühl der Protagonisten Tristan und Isolde, ein Paar, das durch tragische äußere Umstände nicht zueinanderfinden, ebenso wenig aber voneinander lassen kann, dem somit Gemeinsamkeit nur in grenzüberschreitender Flucht möglich ist, im Tod.

Regisseur zeigt bei Bayreuther Festspielen, was Wagner in der Geschichte von "Tristan und Isolde" sah

Was Wagner in Tristan und Isolde sah, den eskapistischen Rausch und die auflösende Verschmelzung, das will auch Schwab zeigen. Allenfalls, dass die Sehnsucht nach solch allumfassendem Gefühl – das Sanskrit-Wort für „ewig“ als roter Buchstaben-Aufsteller auf dem Bühnenboden deutet ebenso darauf hin – eine überzeitlich-menschliche ist: Ein Mädchen, ein Junge sitzen während des Vorspiels eng beieinander auf der Bühne, und am Schluss der Oper sind sie, zu Greisen geworden, nochmals auf der Bühne zu sehen.

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An der Einheitsbühne, wie Piero Vinciguerra sie entworfen hat, ist auch im dritten Aufzug noch kein Sattsehen. Denn sie – durchaus modern geraten – wird von Akt zu Akt jeweils minimal variiert, Deckchairs zeigen am Anfang das Schiff, das Isolde als Braut zu König Marke bringt, während einige Felsbrocken im letzten Bild für die Burg stehen, vor der Tristan und Isolde sterben. Über einer im Halbrund die Bühne umspannenden Wand sieht man ein Dach, in dem eine riesige ovale Öffnung den Blick in den Himmel freigibt, während man am Boden durch denselben ovalen, nun gläsern bedeckten Ausschnitt in tiefes Wasser blickt. Blutrot beginnt es sich zu färben als Zeichen, was da im Innern der Protagonisten vorgeht; der durch die Deckenöffnung erkennbare Nachthimmel mit seinen pulsierenden Sternen ist später nicht weniger bildhaftes Zeichen seelischer Prozesse.

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Foto: Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth, dpa
Foto: Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth, dpa

Auf den Inhalt des Stückes statt eine große Inszenierung setzt Roland Schwab bei "Tristan und Isolde".

Das Licht, eingerichtet von Nicol Hungsberg, spielt in dieser Inszenierung eine herausragende Rolle, nimmt auch hier Wagner beim Wort, kulminierend darin, dass Tristan seine todbringende Verletzung durch herabfahrende Lichtklingen erleidet. Der „tückische Tag“ ist es, der der „Nacht der Liebe“ entgegensteht.

Dem Kern des Dramas ordnet die Inszenierung die übrigen Figuren deutlich unter. Kurwenal, Brangäne, selbst der getäuschte Marke bleiben auf der Schwabschen Szene unterbelichtet, was den Interpreten wiederum Gelegenheit verschafft, ihren Rollen mit sängerischen Mitteln Kontur zu geben. Markus Eiche als Kurwenal gelingt der Wandel von herber Trutzigkeit im ersten Aufzug zur sorgenden Betroffenheit an der Seite des sterbenden Tristan hervorragend. Eine Brangäne wie Ekaterina Gubanova, die ihr „Habet Acht“ während Tristans und Isoldes Liebesduett nicht als Einladung zu ausladender vokaler Geste, sondern als sanft strömende Warnung versteht, verleiht der Rolle eine erfrischend ungewöhnliche Dimension. Georg Zeppenfeld schließlich gibt einmal mehr ein Beispiel seiner Kunst als einer der herausragenden Wagner-Tieftöner unserer Zeit. Bestechend klar und vokal hoch überzeugend, was er als König Marke zu sagen hat – ein König, dem einmal so gar nicht nach edler Einsicht zumute ist, der vielmehr kämpferisch sein Verletztsein artikuliert.

Stephen Gould und Catherine Foster sind Stück bei Wagner-Festspielen sängerisch gewachsen

Mit Stephen Gould und Catherine Foster bilden zwei höchst Wagner-kundige Interpreten das neue Tristan-und-Isolde-Paar. Gould ist ein Heldentenor von schier unglaublichen Reserven, dem man nach der mörderischen Strecke des dritten Aufzugs durchaus noch einen vierten zutrauen würde. Seine Intonation wackelt zwar wiederholt, oft singt er die Töne von unten an. Doch wenn die Stimme steht, wirkt sie wie eingefasst in warm schimmerndes Metall, beste Voraussetzung für Präsenz auch in leisen, zurückhaltenden Momenten, die Gould überzeugend herausmodelliert. Catherine Foster ist der Isolde in stimmkonditioneller Hinsicht ebenso gewachsen, auch wenn ihr rasch aufeinanderfolgende Spitzen im Wagner’schen Furioso etwas unkontrolliert geraten. Doch Foster entschädigt durch die Gefühlsintelligenz, mit der sie ihre Partie gestaltet, und souverän setzt sie den vokalen Schlussstein, oben bei der höchsten „Lust“.

Frenetischer, in sich fein gestufter Jubel für die Interpreten. Bayreuth ist auch hier distinktiv im Gebaren. Mit dem Regieteam um Roland Schwab ist man ebenfalls zufrieden, wenn auch bei leicht reduzierter Phonzahl. Die erste Neuinszenierung des Festivaljahrs 2022 ist geglückt, jetzt stehen, von Sonntag an, die „Ring“-Premieren auf dem Programm. Man darf gespannt sein, wie das wird.

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