"Die Angestellten" ist eine kleine Sensation der Science-Fiction
"Die Angestellten" von der dänischen Poetin Olga Ravn sorgt mit einer Vision an den Grenzen des Menschseins im 22. Jahrhundert für Furore. Und wo stehen wir heute?
Mal ehrlich: Wer käme schon darauf, einen Science-Fiction-Roman aus Dänemark zu lesen? Aber dann passieren eben manchmal – auch in einem Genre, das sonst nur so vor bildgewaltigen Epen strotzt – feine literarische Wunder, und ein eigenwilliges kleines Buch geht um die Welt.
In diesem Fall noch beschleunigt durch die Nominierung für den sehr renommierten International Booker Price. Fast ein Märchen also, das sich da gegenwärtig abspielt um ein Werk, das selbst mit dunkel märchenhafter Zukunft eher vor spannende Fragen stellt als in Abenteuer stürzt.
Olga Ravn stellt den alles durchdringenden Kapitalismus infrage
„Die Angestellten“ ist der zweite Roman der früh schon als Dichterin hervorgetretenen Olga Ravn – und erzählt laut Untertitel „über Arbeit im 22. Jahrhundert“. Nur langsam entfaltet sich das Szenario, das eines Raumschiffs, auf dem eine Mischmannschaft aus natürlich gezeugten Menschen und künstlich gezüchteten Humanoiden Dienst tut. Die 36-jährige Ravn nämlich lässt ausschließlich diese Angestellten in kurzen, offenbar regelmäßig abgefragten „Zeugenaussagen“ über ihre Verfassung und die Stimmung an Bord zu Wort kommen.
Und dieser Chor aus lediglich Nummerierten führt so zunächst immer wieder zu hübschen Kleinoden, so etwa in „Zeugenaussage 031“: „Ich bin dazu geschaffen zu arbeiten. Ich habe auch nie eine Kindheit gehabt, aber ich habe versucht, mir eine vorzustellen. Mein menschlicher Kollege spricht manchmal davon, nicht arbeiten zu wollen, und dann sagt er etwas sehr Merkwürdiges, etwas ganz Albernes, wie war das noch gleich? Er sagt Man ist mehr als seine Arbeit oder war es Man ist nicht bloß seine Arbeit?“ Führt so aber auch unweigerlich zu großen Fragen, in „Zeugenaussage 052“ zum Beispiel: „Ich ähnle einem Menschen und fühle wie ein Mensch, ich bestehe aus den gleichen Teilen. Ist das, was fehlt, nur eine Änderung meines Status in euren Papieren? Ist es eine Frage des Namens? Kann ich zu einem Menschen werden, wenn ihr mich einen nennt?“
Was also ist der Unterschied von (hier bereits oft technisch erweitertem) Mensch und Humanoid, was wird er künftig noch sein? Sehr nah kommen sich beide im Verlauf der Aussagen auch in ihrer zusehends schlechter werdenden Stimmung, auch seltsame Objekte, die das Schiff fern der Erde zur Begutachtung sammelt, machen das nicht besser. Die Menschen beginnen, sich nach der Sinnlichkeit der Erde zu sehnen, die Humanoiden nach Sinn.
„Die Angestellten“: Reduziert auf seine Funktion geht der Mensch zugrunde
Die einen reagieren wie 067: „Es kann vorkommen, dass ich denke, ihr wärt fehlbar, dass ihr es seid, mit denen etwas nicht stimmt, aber dann werde ich wütend auf mich selbst und denke, dass ich es bin, mit dem etwas verkehrt ist. Warum habe ich all diese Gedanken, wenn es doch vor allen Dingen meine Aufgabe ist, die Produktion zu erhöhen? Aus welcher Perspektive sind all diese Gedanken produktiv? Ist ein Fehler beim Update passiert? In dem Fall möchte ich gern neu gestartet werden.“ Die meisten aber eher wie 092: „Wir haben einen Zugang zu Teilen des Programms, zu denen Menschen nie vordringen. Vergesst das nicht. Wir können sehr lang ohne Wasser überleben. Nur die wenigsten von uns mögen die Erde betreten haben, aber keiner von uns ist bloß ein Ding.“
So viel jedenfalls wird bei aller Stimmenvielfalt klar: In der Logik der bloßen Produktivität geht der Mensch zugrunde, selbst als Reproduktion. Science-Fiction, die als kunstvolle Kapitalismuskritik amüsiert zum Denken und zum Träumen anregt – ein starkes Stück!
Das Buch Olga Ravn: Die Angestellten. Übersetzt von Alexander Sitzmann, März Verlag, 143 Seiten, 20 Euro
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