Zwei Kurzopern von verschiedenen Vätern, die ein unzertrennliches Geschwisterpaar bilden, weil sie seit jeher im Doppelpack erscheinen: Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci“ von Ruggero Leoncavallo. Über formale Parallelen und dieselbe Entstehungszeit hinaus haben „Cav“ und „Pag“, wie der Opernbetrieb die beiden kurzerhand tituliert, auch inhaltlich manches gemeinsam. Beide Handlungen spielen zwischen 1870 und 1880, beide beleuchten das ländliche Milieu in Italiens Süden. Da liegt der Versuch nahe, beide Opern nicht streng abgeschlossen voneinander, sondern als miteinander verknüpfte Geschichten zu präsentieren.
Der italienische Regisseur Francesco Micheli hat das unternommen für die Neuproduktion von „Cavalleria“ und „Pagliacci“ an der Bayerischen Staatsoper. Und dafür ein naheliegend verbindendes Thema für das Stücke-Duo herangezogen: die Migration süditalienischer Arbeiter nach Deutschland in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Konkret sieht das dann so aus: Turiddu, Hauptfigur der „Cavalleria Rusticana“, der Lola liebt, die jedoch vom lokalen Paten Alfio geheiratet wird, weshalb der gekränkte Turiddu sich um Santuzza bemüht, ihr ein Kind macht und doch weiter mit Lola techtelt – dieser Turiddu stirbt im Zweikampf mit Alfio nicht physisch, sondern in der Neuinszenierung nur „sozial“. Und so nimmt er, man schreibt das Jahr 1960, den Zug in Richtung Norden, Endstation München.
Im Zugabteil treffen sich zwei italienische Migranten
Nach „Cavalleria“ sieht man Turiddu im Zugabteil sitzen, wo er einen Landsmann trifft und sich ein Dialog entfaltet – auf der Bühne ist das pantomimisch dargestellt – über das Spiel mit Masken. Der Gesprächspartner ist Tonio, die Inszenierung somit aufs Gleis von „Pagliacci“ gekommen, und die beiden Italiener steigen nun, wie man während des Orchestervorspiels zu sehen bekommt, in München aus dem Zug und finden Arbeit in einem italienischen Ristorante. Turiddu ist nun Canio geworden, und der begegnet am Bahnhof einer neuen Liebe, Nedda, Migrantin auch sie.
Turiddus Metamorphose zu Canio, die Überführung der sizilianischen „Cavalleria“ in die nun in München spielenden „Pagliacci“, das hat bezwingende Schlüssigkeit. Und es hat Charme, wie Micheli und sein Team das erzählen, in Anknüpfung an die veristische Tradition der ursprünglichen Libretti, in klaren, einfachen Bildern, wofür beispielhaft die schon in der „Cavalleria“ mehrfach über die Bühne gezogenen Eisenbahnwaggons stehen und nur in Gestalt einer riesigen, von oben herabgelassenen Rundbühne die Staatsopern-Technik an diesem Abend ihre Muskeln spielen lassen darf.
Vieles ist recht statisch in Szene gesetzt
Doch bei allem Reiz, den diese Italo-Migrations-Saga auch im Detail entfaltet – in „Pagliacci“ ist die Wirtshausszene umgestaltet zu einer von Alteingesessenen und Neubürgern gemeinsam und zunehmend hitzig verfolgten Fernsehübertragung des WM-Halbfinales zwischen Italien und Deutschland 1970 in Mexiko (4:3 n. V.) –, so hat die Inszenierung doch auch ihre Schwächen. Wie der im Gastrobereich arbeitende Turiddu/Canio zugleich zum Chef einer Komödiantentruppe geworden ist – die Grundlage der „Pagilacci“-Tragödie, wo der eifersüchtige Canio die untreu gewordene Nedda am Ende einer Commedia dell‘arte-Aufführung ersticht –, das muss man sich selber zusammenreimen. Problematischer ist, dass sowohl in der Bajazzo-Geschichte wie auch zuvor in derjenigen Turiddus vieles auf der Bühne recht statisch in Szene gesetzt ist, gerade auch dort, wo der Chor (bestens einstudiert von Christoph Heil) involviert ist.
In „Pagliacci“ findet vieles und wichtiges im Innern der hereingeschobenen Waggons statt, die nun, zum Publikum hin aufgeklappt, ein Restaurant-Ambiente abgeben müssen. Was die szenische Wirkung auf der Riesenbühne des Münchner Nationaltheaters stark beeinträchtigt, ganz besonders bei „Vesti la giubba“, Canios ikonischer Arie, bei der sich in einer engen Waggonküche Tenor Jonas Kaufmann das Clownsgesicht anschmieren muss (noch dazu, man ist ja beim Italiener, mit Ricotta und Tomatensugo). Canios seelische Krise, Dreh- und Angelpunkt der Oper, sie verpufft. Das alles trübt die szenografische Bilanz, zum Schluss gibt’s für Francesco Micheli auch nur sparsamen Beifall, sogar Buhs.
Als einziger in beiden Opern: Wolfgang Koch
Wann, wenn nicht bei dieser Produktion von „CavPag“, hätte es nahegelegen, die männlichen Protagonisten, die hier ja auch als eine Person verstanden sein wollen, mit ein und demselben Tenor zu besetzen? Wer jedoch in beiden Werken singt, ist als einziger der Bariton Wolfgang Koch: als Tonio, der von Nedda höhnisch abgewiesen wird, noch eine Nummer finsterer denn als Alfio, latent Bedrohliches dem Stimmklang beimischend schon im Prolog zu „Pagliacci“. Ailyn Pérez ist eine quecksilbrige Nedda, die ihre Partie sängerisch ausgesprochen differenziert gestaltet; mehr, als dies Yulia Matochkina tut, die geradliniger aussingt – und doch gerät ihr Santuzza in der „Cavalleria“ packend, überzeugend in ihrem Schmerz als Ungeliebte mit aufkeimender Rachsucht. Eben diese Mitteilungskraft mag sich beim Turiddu von Ivan Gyngazov nicht einstellen, auch wenn er noch so strahlend metallisch gerüstet sich in der Höhe bewegt. Durchwegs auf hohem Niveau die kleineren Partien, und ungemein wirkmächtig das Bayerische Staatsorchester: Kernig im Klang, elastisch-beweglich, stets die Transparenz wahrend – auch ein Verdienst des unermüdlich treibenden, dennoch achtsamen, die emotionale Temperatur nie übersteigernden Dirigenten Daniele Rustioni.
Und Jonas Kaufmann? Das Rollendoppel, Turiddu und Canio, hatte er durchaus schon im Portfolio, diesmal aber beschränkt er sich auf den Letzteren. Der Zugriff von Kaufmanns Tenorstimme ist nach wie vor elektrisierend, nicht zuletzt wegen des hauchfeinen Tränentons darin, und zusammen mit dem dunkler gewordenen Timbre fügt sich das ideal für die Trauerwut des Canio. Dennoch hat man Kaufmanns Bajazzo sängerdarstellerisch schon überzeugender erlebt, blickt in der Münchner Neuinszenierung doch ein wenig die Routine eines großen Tenors hervor.
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