Nicht wenige Konzerte musste der 81-jährige Daniel Barenboim absagen, nachdem er seine schwere neurologische Erkrankung bekannt gegeben hatte und Anfang 2023 – nach drei Jahrzehnten im Amt – als Generalmusikdirektor und künstlerischer Leiter der Staatsoper Berlin zurücktrat. Sieht und hört man ihn nun in Salzburg bei den Festspielen wieder dirigieren, erfasst einen tiefes Mitgefühl: Sein mühsamer Gang zum Pult, sein Abtritt unter höchster Ehrerbietung des Publikums im Großen Festspielhaus wird vom Sohn Michael als Konzertmeister des West-Eastern Divan Orchestra besorgt und scharf beobachtet; er dirigiert im Sitzen bei sparsamsten Impulsen, oft nur knapp über der Pulthöhe der Musiker; zu den Ovationen scheint kaum auch nur der Anflug von Freude über sein Gesicht zu huschen. Nur die Hand geht zum Herzen.
Aber Barenboim dirigiert, auswendig, klar geistesgegenwärtig, was am gelegentlich abrupten Dämpfen der Dynamik erkennbar wird. Wie wenig an Zeichengebung reichen kann, wenn ein Orchester aufeinander eingestellt – und einstudiert – ist, kann hier jeder dirigierender Heißsporn begreifen. Dass Barenboim diesen Abend wahrnimmt, hat gewiss auch (kultur-)politische Gründe: Sein West-Eastern Divan Orchestra, bekanntlich in der Hauptsache paritätisch mit Instrumentalisten aus Israel und den arabischen Ländern besetzt, wurde vor 25 Jahren mit der Maßgabe gegründet, dass „die Trennung von Menschen keine Lösung sein kann für die Probleme, die zwischen ihnen stehen“ (Barenboim). Und dass es in diesem Sinne nach dem brutalen Angriff der Hamas 2023 und den ebenso brutalen Gegenschlägen des israelischen Militärs im Gaza-Streifen umso bedeutender ist, wenn Musiker beider Seiten miteinander öffentlich harmonieren, versteht sich.
Daniel Barenboim bei den Salzburger Festspielen: Ein emotionaler Abend
Selbstredend gab es also auch im Programmheft – sowie mündlich – appellierende Äußerungen dazu: „Mit unserer Musik möchten wir ein Beispiel geben für ein Leben in gegenseitiger Anerkennung zwischen Gleichberechtigten“ schreibt das Orchester selbst, und Anne-Sophie Mutter, Solistin des Abends in Brahms’ Violinkonzert, sagte von der Bühne herab: „Versammeln wir unsere Gedanken und Hoffnungen auf einen baldigen langen Frieden!“
Gleichzeitig scheinen sich Argumentationshaltungen derzeit aber zu modifizieren: Sprach Vater Barenboim gerne – eine bessere Zukunft beschwörend – von Humanismus, Ausgleich, gemeinsamen Interessen, so wies Sohn Michael Barenboim unlängst dezidiert und rückblickend darauf hin, dass „der Internationale Gerichtshof die Besetzung von Ost-Jerusalem, der Westbank und Gaza als rechtswidrig bezeichnet“.
Unter den derzeitigen Brandstiftungen gemeinsam zu musizieren, ist gewiss nicht leichter geworden. Gleichwohl geschieht es – wenn auch die politische Intention und der musikalische Inhalt mit Brahms sowie Schubert (statt dem angekündigten Arnold Schönberg) kaum einander zuarbeiten können. Und so ereignete sich im ausverkauften Großen Festspielhaus ein ernstes, gesetzt musiziertes Brahms-Violinkonzert, bei dem Anne-Sophie Mutter es nicht an Virtuosität, Intonationsreinheit, Innigkeit und Silberstift-Zeichnung mangeln ließ. Aber auch nicht an Süße: Mitunter hätte man sich von ihr eine etwas weniger verschliffene, stattdessen markantere Phrasierung gewünscht. Folgte Schuberts große C-Dur-Sinfonie, ebenso gesetzt, mitunter gar gravitätisch – sowie im zweiten Satz, vor der lange gehaltenen Generalpause, tragisch sich aufbäumend. Dass dieser Abend verschärfte Nachdenklichkeit mit sich brachte, darf behauptet werden.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden